Noch einmal die Wormser Dombaufrage.
noch im Sinne einer Rekonstruktion des ehemaligen
Zustandes."
Kautzschs Artikel hat den Zweck, darzulegen, daß
diese Vorstellungen „unzutreffend, schies, ja falsch" seien.
Demgemäß urteilt er auch über das Vorgehe» der
Gutachter.
Ich erlaube mir an Kautzsch einige Fragen: Ist cs
wahr, daß am 15. und 16. Juni 1906 dem Kunftrate
für den Dom zu Worms ein von Geh. Obcrbaurat
Professor Hofmann in Darmstadt gefertigter Plan vor-
gelegen hat, an der Hand dessen Hofmann erklärte, daß
die Rekonstruktion des früheren, in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts zerstörten Kreuzganges und Kapitel-
hauses von künstlerischer Seite durchaus zulässig sei
und bedauerte, daß derselbe in dieser Weise nicht aus-
geführt werde?
Ist es wahr, daß in einem an: 25. Mai 1907 ab-
gegebenen Gutachten Herr Oberbaurat Hofmann über
sein Projekt sagte: Es fuße auf den Beschlüssen des
Kunstrates, der sich dahin ausgesprochen habe . . . .
daß im Einzelfall nach künstlerischen Rücksichten zu
prüfen und zu entscheiden sei, und daß ferner ein
etwaiger Anbau am Dom im Sinne einer Re-
konstruktion des ehemaligen Zustandes vorgenommcn
werden möge?
Ist es wahr, daß das Mitglied dcö katholischen
Domkirchenvorstandes (des Bauherrn) Stadtverordneter
Reinhart in der Stadtverordnetensitzung auch noch vom
5. Juni 1907 diesen Plan lebhaft befürwortete, und zwar
unter Äußerungen wie folgende: „Den Plan des Wieder-
aufbaues des Kapitelhauses wird sich der Kirchcnvorstand
unter keinen Umständen nehmen lassen." „Ich werde
nie einen Beschluß zu fassen wagen, durch den ver-
hindert wird, in Zukunft das wiederherzustellen, was
die größten Baumeister (der Vergangenheit) geschaffen
haben"?
Ist es wahr, daß am 19. Juni 1907 Her Ober-
baurat Hofmann in Worms einen Vortrag hielt, in
dem er sagte: „Gerade die hervorragendsten Künstler
sprachen ihr Bedauern aus, daß mein Entwurf (also
die Rekonstruktion) nicht zur Ausführung kam, und
daß man die günstige Gelegenheit, dem Westchor
feinen alten Rahmen wieder zu verleihen, nicht er-
griffen habe"?
Ist es also wahr, daß in WormS die Absicht bis
vor kurzem noch bestand und wohl teilweise noch im
maßgebenden Kirchenvorstandc besteht, den Dom durch
Anbauten zu „verschönern", für die ein Zweck erst
gesucht werden sollte, und denen man die Formen der
zu Anfang des 19. Jahrhunderts abgerissenen mittel-
alterlichen Bauten geben wollte?
Sind diese Dinge wahr, so sind die „Vorstellungen"
der Gutachter nicht „unzutreffend, schief, ja falsch",
sondern zutreffend, gerade, ja richtig.
Ich muß daher abwarten, ob Herr Kautzsch meine
Fragen verneinend beantworten wird oder ob er uns mit
der Mitteilung erfreut, daß er mit den Gutachtern
nur ein Scherzchen gemacht habe. Erheitert bin ich
durch seinen Erstlingsversuch, sich als Beschwichtigungs-
rat zu betätigen, ohnehin schon genug.
Cornelius Gurlitt.
andzeichnungen.
Die Handzeichnung führt direkt zum innersten
Wesen deö Künstlers. Das Bild ist den Be-
dingungen von Raum, Zeit und Kausalität unterworfen.
Diese allgemeinen Schranken menschlichen Tuns werden
in ihn: wie im Schulsalle deutlich, während die Skizze
über sie triumphiert. Das Bild steht im Raume; das
Quadrat, Rechteck, Oval muß ausgefüllt werden, auch
wo die in der Seele des Künstlers schlummernde Idee
es nicht erfordern würde; fremd drängt sich ihr der
Stoff an. Die Ausführung deö Bildes erfordert Tage
und Wochen peinlicher Arbeit; die Zeit übt ihre nagende,
ausgleichende, wandelnde Kraft. Im Bilde vereinigen
sich eine Reihe von Motiven: Menschen werden mit
Menschen, Tiere vielleicht mit den Bäumen der Nähe
und den Hügeln des Hintergrundes, Götter mit Tempeln
in zwar nicht logischer aber künstlerischer Kausalität ver-
bunden.
Freilich, der harte Stahl des Zwanges schlägt neues
Feuer aus dem edlen Stein des Künstlertums; die
Ausgabe als solche reizt und befruchtet den Geist. Aus
der Begegnung von Zwang und Freiheit entsteht die
feinste Blüte der künstlerischen Erziehung, der Stil. Auch
vom Künstler gilt Goethes Wort, daß freiwillige Dienst-
barkeit der schönste Zustand sei.
Die Handzeichnung wird deni Bilde seinen Rang
nie streitig machen; ihr Reiz ist stiller, heimlicher als
die stolze Gebärde deö bis ins letzte durchgerciften Werkes.
Sie emanzipiert sich vom Zwange des Raums; irgendwo,
mitten aus dem Blatt oder aus dem Rande, sucht der
eilige Stift eine Stelle, um den Einfall des Künstlers
niederzuschreiben. Frei ist sic vorn ermattenden Einfluß
der Zeit; sic gibt die Mvrgenfrische der Konzeption, deö
Natureindrucks unmittelbar, ehe die tausend Hemmungen
deö Lebens die Erinnerung gefälscht haben. Und vor
allem: sie sucht die Schönheit an sich, die ungebrochene,
unvcrstümmelte, losgelöst aus dem beengenden Kreise der
Zweckmäßigkeit, der Komposition, des Zusammenhanges,
in dem sie ost ihr Eigenstes als dienendes Glied opfern
muß. Der Künstler sieht die Wolke ziehen und den
Baum sich unter der Wucht des Sturmes neigen; er
folgt der Linie eines sich neigenden Nackens oder er
notiert in hastigen Strichen die grotesken Bewegungen
eines ländlichen Musikkorps. Vielleicht auch, daß der
Stift in graziöser Phantasie über das Blatt fährt, daß
seine verschlungenen Züge Geheimnisse von wilder Laune,
von düsterer Schwermut verraten.
Auch wo die Zeichnung als Studie im Dienste des
werdenden Bildes steht, spricht sic von Heimlichkeiten,
die das Bild stolz verschweigt, von Suchen und Tasten,
von Qual des Schaffens, vom Ringen des Geistes mit
der Materie. Uns, denen der schöpferische Trieb versagt
war, erschließt sich in der Studie ahnungsvoll der Weg
deö Künstlers.
Das Bild hält uns in selbstgewollter Distanz zurück
und fordert zugleich unfern Blick heraus; die Zeichnung
verbirgt sich scheu vor der Menge und will einsam-ver-
trauliche Zwiesprache. Sie spricht in leisen Tönen; sie
verlangt das Verständnis der nur halb gesprochenen
Worte, der Andeutung, ja selbst des Schweigens. Steht
>5«
noch im Sinne einer Rekonstruktion des ehemaligen
Zustandes."
Kautzschs Artikel hat den Zweck, darzulegen, daß
diese Vorstellungen „unzutreffend, schies, ja falsch" seien.
Demgemäß urteilt er auch über das Vorgehe» der
Gutachter.
Ich erlaube mir an Kautzsch einige Fragen: Ist cs
wahr, daß am 15. und 16. Juni 1906 dem Kunftrate
für den Dom zu Worms ein von Geh. Obcrbaurat
Professor Hofmann in Darmstadt gefertigter Plan vor-
gelegen hat, an der Hand dessen Hofmann erklärte, daß
die Rekonstruktion des früheren, in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts zerstörten Kreuzganges und Kapitel-
hauses von künstlerischer Seite durchaus zulässig sei
und bedauerte, daß derselbe in dieser Weise nicht aus-
geführt werde?
Ist es wahr, daß in einem an: 25. Mai 1907 ab-
gegebenen Gutachten Herr Oberbaurat Hofmann über
sein Projekt sagte: Es fuße auf den Beschlüssen des
Kunstrates, der sich dahin ausgesprochen habe . . . .
daß im Einzelfall nach künstlerischen Rücksichten zu
prüfen und zu entscheiden sei, und daß ferner ein
etwaiger Anbau am Dom im Sinne einer Re-
konstruktion des ehemaligen Zustandes vorgenommcn
werden möge?
Ist es wahr, daß das Mitglied dcö katholischen
Domkirchenvorstandes (des Bauherrn) Stadtverordneter
Reinhart in der Stadtverordnetensitzung auch noch vom
5. Juni 1907 diesen Plan lebhaft befürwortete, und zwar
unter Äußerungen wie folgende: „Den Plan des Wieder-
aufbaues des Kapitelhauses wird sich der Kirchcnvorstand
unter keinen Umständen nehmen lassen." „Ich werde
nie einen Beschluß zu fassen wagen, durch den ver-
hindert wird, in Zukunft das wiederherzustellen, was
die größten Baumeister (der Vergangenheit) geschaffen
haben"?
Ist es wahr, daß am 19. Juni 1907 Her Ober-
baurat Hofmann in Worms einen Vortrag hielt, in
dem er sagte: „Gerade die hervorragendsten Künstler
sprachen ihr Bedauern aus, daß mein Entwurf (also
die Rekonstruktion) nicht zur Ausführung kam, und
daß man die günstige Gelegenheit, dem Westchor
feinen alten Rahmen wieder zu verleihen, nicht er-
griffen habe"?
Ist es also wahr, daß in WormS die Absicht bis
vor kurzem noch bestand und wohl teilweise noch im
maßgebenden Kirchenvorstandc besteht, den Dom durch
Anbauten zu „verschönern", für die ein Zweck erst
gesucht werden sollte, und denen man die Formen der
zu Anfang des 19. Jahrhunderts abgerissenen mittel-
alterlichen Bauten geben wollte?
Sind diese Dinge wahr, so sind die „Vorstellungen"
der Gutachter nicht „unzutreffend, schief, ja falsch",
sondern zutreffend, gerade, ja richtig.
Ich muß daher abwarten, ob Herr Kautzsch meine
Fragen verneinend beantworten wird oder ob er uns mit
der Mitteilung erfreut, daß er mit den Gutachtern
nur ein Scherzchen gemacht habe. Erheitert bin ich
durch seinen Erstlingsversuch, sich als Beschwichtigungs-
rat zu betätigen, ohnehin schon genug.
Cornelius Gurlitt.
andzeichnungen.
Die Handzeichnung führt direkt zum innersten
Wesen deö Künstlers. Das Bild ist den Be-
dingungen von Raum, Zeit und Kausalität unterworfen.
Diese allgemeinen Schranken menschlichen Tuns werden
in ihn: wie im Schulsalle deutlich, während die Skizze
über sie triumphiert. Das Bild steht im Raume; das
Quadrat, Rechteck, Oval muß ausgefüllt werden, auch
wo die in der Seele des Künstlers schlummernde Idee
es nicht erfordern würde; fremd drängt sich ihr der
Stoff an. Die Ausführung deö Bildes erfordert Tage
und Wochen peinlicher Arbeit; die Zeit übt ihre nagende,
ausgleichende, wandelnde Kraft. Im Bilde vereinigen
sich eine Reihe von Motiven: Menschen werden mit
Menschen, Tiere vielleicht mit den Bäumen der Nähe
und den Hügeln des Hintergrundes, Götter mit Tempeln
in zwar nicht logischer aber künstlerischer Kausalität ver-
bunden.
Freilich, der harte Stahl des Zwanges schlägt neues
Feuer aus dem edlen Stein des Künstlertums; die
Ausgabe als solche reizt und befruchtet den Geist. Aus
der Begegnung von Zwang und Freiheit entsteht die
feinste Blüte der künstlerischen Erziehung, der Stil. Auch
vom Künstler gilt Goethes Wort, daß freiwillige Dienst-
barkeit der schönste Zustand sei.
Die Handzeichnung wird deni Bilde seinen Rang
nie streitig machen; ihr Reiz ist stiller, heimlicher als
die stolze Gebärde deö bis ins letzte durchgerciften Werkes.
Sie emanzipiert sich vom Zwange des Raums; irgendwo,
mitten aus dem Blatt oder aus dem Rande, sucht der
eilige Stift eine Stelle, um den Einfall des Künstlers
niederzuschreiben. Frei ist sic vorn ermattenden Einfluß
der Zeit; sic gibt die Mvrgenfrische der Konzeption, deö
Natureindrucks unmittelbar, ehe die tausend Hemmungen
deö Lebens die Erinnerung gefälscht haben. Und vor
allem: sie sucht die Schönheit an sich, die ungebrochene,
unvcrstümmelte, losgelöst aus dem beengenden Kreise der
Zweckmäßigkeit, der Komposition, des Zusammenhanges,
in dem sie ost ihr Eigenstes als dienendes Glied opfern
muß. Der Künstler sieht die Wolke ziehen und den
Baum sich unter der Wucht des Sturmes neigen; er
folgt der Linie eines sich neigenden Nackens oder er
notiert in hastigen Strichen die grotesken Bewegungen
eines ländlichen Musikkorps. Vielleicht auch, daß der
Stift in graziöser Phantasie über das Blatt fährt, daß
seine verschlungenen Züge Geheimnisse von wilder Laune,
von düsterer Schwermut verraten.
Auch wo die Zeichnung als Studie im Dienste des
werdenden Bildes steht, spricht sic von Heimlichkeiten,
die das Bild stolz verschweigt, von Suchen und Tasten,
von Qual des Schaffens, vom Ringen des Geistes mit
der Materie. Uns, denen der schöpferische Trieb versagt
war, erschließt sich in der Studie ahnungsvoll der Weg
deö Künstlers.
Das Bild hält uns in selbstgewollter Distanz zurück
und fordert zugleich unfern Blick heraus; die Zeichnung
verbirgt sich scheu vor der Menge und will einsam-ver-
trauliche Zwiesprache. Sie spricht in leisen Tönen; sie
verlangt das Verständnis der nur halb gesprochenen
Worte, der Andeutung, ja selbst des Schweigens. Steht
>5«