Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
BEILAGE i. DAS ALTE ORATORIUM IN S. GENNARO

87

Bischofchronik und die Vita Severi verhalten sich
also zueinander wie Original und Kopie, wie echte
und gefälschte Überlieferung. Eine urkundliche Nach-
richt von höchster Bedeutung, die uns die Bischof-
chronik bewahrte, ist von dem Verfasser der Vita
Severi mit Absicht verändert worden.
Die Gründe, welche den Verfasser der Vita Severi zu
seiner Fälschung bewogen, sind nicht schwer zu er-
kennen. Sie sind recht harmloser Natur. Einerseits
liegt es jedem Biographen nahe, seinem Helden mög-
lichst viele Verdienste zuzuschreiben und aktuelle Er-
eignisse mit ihm in Verbindung zu bringen. Andrer-
seits aber gab der Text der Bischofchronik selbst Ver-
anlassung zur Korrektur.
Ich habe schon früher darauf hingewiesen1, daß der
Text der Bischofchronik an der angeführten Stelle
verdorben ist. Bischof Severus soll vier Basiliken er-
baut haben - aber es werden nachher nur zwei Kirchen
genannt, S. Severo und S. Giorgio. Entweder ist die
Zahl 4 falsch überliefert oder es sind zwei Kirchen-
namen ausgefallen; wahrscheinlich letzteres. In diese
Lücke, welche die Überlieferung gelassen hatte, machte
der Aktenschreiber seinen Einschub, und er erhob den
Bischof Severus zum Bauherrn von San Gennaro. Die
alte Katakombenkirche konnte keinem Besseren zuge-
schrieben werden als dem ersten großen Kirchen-
erbauer unter den Bischöfen Neapels; die Fälschung
hatte innere Wahrscheinlichkeit.
Wir sind aber damit auch zu einem neuen Verständnis
des eingeschobenen Passus gelangt. Die Worte:
„(Severus) corpus b. Januarii . . . ipse condidit mani-
bus suis in ecclesia“ besagen zwar wörtlich nur, daß
Bischof Severus die Reliquien des heiligen Januarius
nach San Gennaro überführt habe; über den Ur-
sprung der Kirche scheinen sie nichts auszusagen.
Aber sie sind von jeher so verstanden worden, daß
Severus die Kirche zu dem Zweck erbaut habe, um
dort die Reliquien zu deponieren; und ich zweifle
nicht daran, daß der Verfasser der Vita Severi damit
richtig verstanden ist. Denn er spricht an der be-
treffenden Stelle von Kirchbauten und von weiter
nichts. Den Bau von San Gennaro beschreibt er mit
Worten, die er der Bischofchronik entnahm. Denn
eben diese hatte an der angeführten Stelle von Bischof
Johannes das „manu sua“ und das „condidisse“ aus-
gesagt. Es ist auch hier kein Zweifel: die Historiker
von Neapel haben völlig Recht, wenn sie aus den
1 Achelis, Bischofchronik 65. 2 Vgl. Bol’cttino d’arte Bd. 9

Worten der Vita des Severus herauslesen, daß Severus
der Gründer des Oratoriums von San Gennaro sei. So
und nicht anders wollte der Fälscher verstanden sein.
Wir kommen damit freilich zu der weiteren Frage, ob
die Bischofchronik in demselben Sinne zu verstehen
ist, d. h. ob sie den Bischof Johannes als Erbauer von
S. Gennaro bezeichnen wollte; und ich möchte auch
diese Frage bejahen. Wenn Johannes I. die Reliquien
des Januarius nach Neapel brachte, wird er ihnen auch
eine würdige Ruhestätte bereitet haben. Das Orato-
rium, in dem er selbst beigesetzt wurde, ist die jetzt
aufgedeckte alte Kirche gewesen.
Wir dürfen aber nicht vergessen, die zweite Quelle,
die von der Erbauung durch Severus spricht, kritisch
zu mustern, den Libellus Officiorum Ecclesiae Nea-
politanae2. Wenn die Vita Severi die Bischofchronik
zur Vorlage hatte, so benutzt das Kirchenbuch seiner-
seits die Vita Severi. Eine Nebeneinanderstellung wird
auch dies Verhältnis deutlich machen.

Vita Severi3.
Hic fecit basilicas quat-
tuor. Nam corpus b. Ja-
nuarii sacerdotis et mar-
tyris ipse condidit mani-
bus suis in ecclesia foris
porta huius civitatis milia-
rio uno, in qua nunc re-
quiescit usque in praesen-
tem diem, et ipsae basi-
licae, unde superius men-
tionem fecimus, unam fo-
ris urbem iuxta S. Fortu-
natum nominis sui con-
secravit, et aliam in civi-
tate mirifice operationis...

Libellus Officiorum4
Fecit basilicas quatuor, in
quarum una corpus Beati
Januarii ep. et Martyris
ipse condidit suis manibus,
quam ejus nomini conse-
cravit sitam foris portam,

et aliam ecclesiam extra
urbem iuxta sanctum For-
tunatum et suo nomini con-
secravit, et aliam in civi-
tate mirificae operationis.

Über das Verhältnis der beiden Texte zueinander
kann auch hier kein Zweifel bestehen. Das Kirchen-
buch versteht die Vita Severi ganz richtig dahin, daß
Severus die Kirche San Gennaro gegründet habe.
Daher empfindet sein Verfasser die grammatische
Inkonzinnität, die durch den Einschub hervorgerufen
■wurde, als unerträglich und ordnet nun mit leichter
Änderung den Kirchbau von San Gennaro den andern
ein. Nach diesem Text hat also Severus vier Basiliken
gegründet, und es werden nunmehr drei von ihnen nam-
haft gemacht: S. Gennaro, S. Severo und S.Giorgio,
p. 342. 8 Capasso a. a. O. p. 272. 4 a. a. O.
 
Annotationen