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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Die Bilderdecke der Hildesheimer Michaeliskirche — München, Berlin: Dt. Kunstverl., Heft 28.2002

DOI issue:
Kunst und kulturgeschichtlicher Diskurs
DOI article:
Müller, Mechthild: Realien auf ausgewählten Bildern der Decke
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https://doi.org/10.11588/diglit.52523#0064
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60 Kunst- und kulturgeschichtlicher Diskurs

Realien auf ausgewählten Bildern der Decke
Auch wenn die Thematik der Deckenmalerei eine religiöse und somit abstrakte ist, findet sie doch in Bildern ihren Aus-
druck, deren Motive die Maler oft ihrer eigenen Anschauungswelt entnahmen. Gerade Gegenstände des Gebrauchs auf
den Bildern dieser Zeit spiegeln häufig Aussehen und Funktion ihrer Vorbilder in der realen Welt wider. Mechthild Müller
zeigt an Beispielen der Deckenmalerei, welche Rückschlüsse unter anderem auf das damalige Mobiliar und die (vorwie-
gend sakrale) Kleidung gezogen werden können.
Einblick in eine charakteristisch weibliche Beschäftigung gibt die Darstellung der Maria als spinnende Frau. Es handelt
sich hierbei um eine ganz frühe Spinntechnik mit einer Spindel ohne Wirtel, das heißt ohne Gewicht, deren Spitze in einer
Schale gehalten wurde.

Mechthild Müller

Um das Unsichtbare des Glaubens sichtbar zu machen,
werden auf den Darstellungen der Decke neben bestimm-
ten Symbolen zeitgenössische Realien gewählt. In dem
folgenden Beitrag soll dies an einigen Beispielen verdeut-
licht werden.

Bett und Bettzeug

Das Bett, in dem der schlafende Jesse liegt, hat nichts
Ungewöhnliches in seiner Form und Ausstattung. Heutige
Betten setzen sich zusammen aus dem Bettgestell, der
Matratze und dem Bettzeug, das aus Laken, Zudecke und
Kopfkissen besteht. Im Mittelmeerraum waren Bettge-
stelle in Form von Wandbetten oder beweglichen Schlaf-
möglichkeiten in Gebrauch. Man benutzte sie tagsüber
zum Sitzen oder Ruhen, nachts zum Schlafen und gab sie
in diesem Sinne auch Toten mit in die Gräber. Bisher ist

nicht bekannt, seit wann Bettgestelle nördlich der Alpen
zur Einrichtung eines Hauses gehörten. Sicherlich wurden
die bei Grabungen festgestellten Erdbänke oder abge-
teilten Plätze an den Wänden zum Sitzen oder Schlafen

benutzt. Da jedoch Holz zu den vergänglichen Zeugnissen
einer Kultur zählt, können bewegliche Betten nur in
seltenen Fällen nachgewiesen werden. Die schriftlichen
Quellen geben keinen sicheren Hinweis auf den Zeitpunkt
einer generellen Einführung von Bettgestellen nördlich


1 Schlafender Jesse (Hildesheim, St. Michael, Deckenfeld 2)

der Alpen.
In der Verordnung über
die Krongüter und
Reichshöfe Karls des
Großen lässt der König
(vor 800) bestimmen,
dass jedes Krongut
in seinem Lagerraum
Betten oder Bettstel-
len, Matratzen, Feder-
kissen und Bettleinen
vorrätig haben soll.1
Seit im Zuge der ania-
nischen Reform mit der
allgemeinen Einfüh-
rung der Benediktiner-
regel im Frankenreich
auf den Aachener Syn-

oden von 816/17 neue Beschlüsse für die Klöster verab-
schiedet worden sind, erhalten wir auch genauere Kennt-
nisse über die den Mönchen vorgeschriebenen Betten. Die
folgende Aufzählung stammt von Smaragdus, der seit
spätestens 809 Abt des Klosters St. Mihiel in Lothringen
ist und 816/17 zu den oben genannten Beschlüssen den
frühesten erhaltenen Kommentar verfasst. Er schreibt
darin: „Als Polster der Betten (lectus) sollen Matratze
(matta), Decke (sagum), Decke (lena) und Kopfkissen (ca-
pitale) genügen. ,Sagum ist eine gallische Bezeichnung.
Sagum aber bedeutet viereckig, deshalb, weil es bei ihnen
zunächst viereckig oder vierfach war1. Wir aber sagen sa-
gellum durch Verkleinerung von sagum. Lena aber ist ei-
ne Art v/7/oso-Gewebe, das wir große Decke (toxa) nen-
nen, andere aber nennen sie galnapis. Kopfkissen (capita-
le) aber heißt, was wir Federkissen (plumatium) nennen.
Von diesem Satz sagt auch Isidor: ,Es ist dem Mönch nicht
erlaubt, eine auffallende oder mannigfältige Ausstattung
zu haben; seine Lagerstätte bestehe aus Stroh und Decke
und zwei wolligen Fellen, galnapis auch und einem
Schweißtuch und einem Paar kleine Kissen für den
Kopf'."2
Tüchtige Drechsler konnten Betten in großer Muster-
vielfalt anfertigen (Abb. 1). Auf den Bildwerken werden
etwa ab der 2. Hälfte des 10. Jahrhunderts aus gedrech-
selten Elementen zusammengesetzte Betten zuneh-
mend durch Betten mit Pfosten und Brettern auf allen
vier Seiten ersetzt. Durch den großen Bettumhang, der
über die Pfosten gelegt ist, sind an Jesses Bett die Sei-
ten nicht zu erkennen, nur das verlängerte Kopfende
ragt hervor. Die Pfosten allerdings sind wie Säulenba-
sen ausgebildet, Symbol für die vielen Generationen,
die dieses Bett zu tragen hat. Jesse ist mit einer gefüt-
terten Bettdecke zugedeckt, sein Kopf lehnt sich gegen
ein reich verziertes Kopfkissen. Die Bank, die den Zu-
gang zu dem sehr hohen Bettgestell erleichtern soll, ist
leer. Dem allgemeinen Brauch gemäß, die Vorfahren Je-
su mit bloßen Füßen darzustellen, fehlen die an dieser
Stelle sonst anzutreffenden Schuhe und die übrige
Beinbekleidung.
Der im Hintergrund stehende Stuhl mit dem darüber
gelegten Tuch wird von Johannes Sommer zu Recht als
malerisches Pendant zu dem zierlichen Kissen angesehen,
um die „ausgewogene Komposition zu fördern."3
 
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