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Müller, Michael Christian; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Orgeldenkmalpflege: Grundlagen und Methoden am Beispiel des Landkreises Nienburg/Weser — Hameln: Niemeyer, Heft 29.2003

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.51261#0028
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28 Verschiedene Koppelmechanismen (oben: Klötzchenkoppel, unten: Gabelkoppel)

Um dem Anspruch nach Übersichtlichkeit nachzukom-
men, wurden die Registerzüge als Manubrien seitlich der
Manuale senkrecht angeordnet (Abb. 25).76 In der Regel
findet man am oberen Ende der Staffeln die tieferen
Register der Prinzipale und Flöten, wobei die Prinzipal-
register häufig untereinander stehen. Die mehrfach
besetzten Register und die Zungenregister folgen dann
am unteren Ende der Staffel. Diese Organisation der
Spielanlage, inklusive der Zuordnung der Manuale, galt
im Grunde durchgängig auch zur Zeit der romantischen
Orgel. Eine wesentliche Veränderung brachte erst die
pneumatische bzw. die elektrische Traktur, weil nun die
konstruktiven Erfordernisse, wie sie mit der komplizier-
ten Mechanik verbunden waren, in den Hintergrund tre-
ten konnten.
Zeitlich spezifische Bestandteile einer Spielanlage sind
auch die Spielhilfen bzw. Nebenregister. Hierzu zählen
zum Beispiel die Koppeln, dann aber auch die Tremulan-
ten, Zimbelsterne und Kalkantenrufe. Die Koppeln
durchliefen ebenfalls eine „eigene" Geschichte. Zu-
nächst zur Funktion: Koppeln bewirken, dass beim Spiel
auf einem Manualwerk, beispielsweise dem Hauptwerk,
ein anderes Manualwerk, zum Beispiel das Brustwerk,
automatisch mitgespielt wird. Dafür hat eine mechani-
sche Vorrichtung zu sorgen, die - vereinfacht ausge-
drückt - die Traktur zum anderen Werk mitbewegt (Abb.
28). Hierzu muss entweder das anzukoppelnde Manual
verschoben werden, wodurch eine Art Mitnehmervor-
richtung eingeschaltet wird,77 oder die gewünschte
Koppel als Handzug betätigt werden.78 Auch die seit ca.
1600 eingesetzten Pedalkoppeln werden über Züge ein
bzw. ausgeschaltet. Später geht man dazu über, Koppel-
tritte zu bauen. Oberhalb der Pedalklaviatur befinden
sich Hebel, die der Organist einhaken kann, wodurch die
gewünschte Koppel eingeschaltet wird.
Zu den besonders interessanten Nebenregistern79 zählt
zum Beispiel der in Norddeutschland gerne eingesetzte
Zimbelstern, der ungefähr seit dem 16. Jahrhundert auf-
tritt. Die Zimbeln sind hier nun kleine Glocken. Ist das

Register eingeschaltet, wird Orgelwind
zu einem drehbaren Rad geleitet, an
dem außerdem Schaufeln angebracht
sind, auf die der Orgelwind trifft. Durch
die Drehung des Rades werden die
Glocken, die unterschiedlich gestimmt
sind, angeschlagen. Der Zimbelstern ist
aber auch von außen erkennbar. Häufig
ist er an der größten Prinzipalpfeife des
Hauptwerkprospektes angebracht. Im
Prospekt sieht man dann einen Stern,
der sich vor der Pfeife dreht. Der Kalkan-
tenruf ist schließlich ein Zeugnis der Zeit
vor der Einführung des elektrischen
Gebläses. Mit seiner Hilfe konnte dem-
oder auch denjenigen, die den Balg zu
treten hatten, angezeigt werden, dass nun wieder Orgel-
wind benötigt würde.
Was sich mit der Zeit auch änderte, war der Tasten- bzw.
Tonumfang der Orgeln.80 Bedingt durch die Erfindung
des Wellenbretts war bekanntlich erst die Möglichkeit
gegeben, den Tonumfang entscheidend zu erweitern.
Dies vollzog sich aber in diversen Schritten, die ein
Korrelat in der zeitgleichen Orgelliteratur finden, denn
diverse Griffe und Fingersätze sind nur umsetzbar, wenn
die geeignete Tastenbelegung gegeben ist. Für eine
grobe Übersicht mag hier genügen, dass der Manual-
umfang zu Beginn des 15. Jahrhunderts von H bis f2
reichte. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts kamen die Töne
F, G und A hinzu - ohne Halbtöne. Wiederum 100 Jahre
später war der Tonumfang bereits bis zum C ausge-
dehnt, allerdings auch ohne Halbtöne. Das bedeutet,
dass die so genannte große Oktave nur die Ganztöne
von C bis A enthielt, weshalb dieses System auch „kurze
Oktave" genannt wird. Von A reichte der Umfang schon
bis c3. Zur Zeit Arp Schnitgers, also um 1700, hatte die
„gebrochene Oktave" ihre „kurze" Vorläuferin ersetzt.
Nun war die Tonfolge C, D, E bis c3 oder C, D bis c3. Das
heißt, ab F waren auch die Halbtöne vorhanden. Im
Laufe des 18. Jahrhunderts wurde dann auch die gebro-
chene Oktave zur vollständigen großen Oktave ergänzt.
Auch hier handelt es sich somit wieder um eine Entwick-
lung, die in ständiger Wechselwirkung mit der Kompo-
sitionspraxis etc. ablief.
Neue Musik, neue Klänge: Von der barocken
zur romantischen Disposition
An dieser Stelle angelangt ist es sicher sinnvoll, noch
einmal an die „Minimaldefinition" vom Beginn zu den-
ken. Sicher trifft sie auch auf den Aufbau und die
Funktionsweise der Orgel zu, wie sie im Laufe der vor-
herigen Seiten vorgestellt wurde. Aber sicher ist auch
deutlich geworden, wie sich über die Jahrhunderte bis in
die Zeit nach Schnitger gleichsam ein Kanon dessen he-

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