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Müller, Michael Christian; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Orgeldenkmalpflege: Grundlagen und Methoden am Beispiel des Landkreises Nienburg/Weser — Hameln: Niemeyer, Heft 29.2003

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.51261#0034
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35 Bardowick, Dom, Orgel


36 Berlin, Dom, Orgel


auch in den 1920er Jahren eingesetzt - zu einer Zeit,
während der man sich im Orgelbau wieder verstärkt mit
den barocken Orgeln als Vorbilder für einen klassischen
Orgelbau identifizierte. Diese Identifizierung blieb aller-
dings lange Zeit auf klangliche Aspekte beschränkt, die
technische Ausrüstung der Orgel, insbesondere die der
Windladen, wurde beibehalten - auch, weil das Wissen
um die technisch perfekte Anfertigung von Schleifladen
verloren gegangen war.88
Der Orgelprospekt des 19. Jahrhunderts -
Vom Werkprospekt zur „Pfeifenfassade"
Die Dispositionsprinzipien der romantischen Orgel und
deren Konsequenzen für das barocke Werkprinzip und
die pneumatischen Trakturen veränderten auch das
„Gesicht" der Instrumente dieser Zeit. Zu differenzieren
hat man aber zwischen formalen Faktoren, die den
Aufbau des Prospektes betreffen, und stilistischen
Aspekten, die das Erscheinungsbild des historistischen
Prospektes wesentlich ausmachen.89
Bedenken wir noch einmal kurz den Werkaufbau der
barocken Orgel (Abb. 13): Die Manualwerke waren über-
einander angeordnet, zuunterst zum Beispiel das Brust-
werk, darüber das Hauptwerk, eventuell noch ein Ober-
werk. Neben dem Ziel der optimalen Klangabstrahlung
hatte dies auch ein Korrelat in der möglichst sinnvollen
Führung der Trakturen. Als nun die Orgeln immer größer
dimensioniert und die Werke u. a. wegen der dynami-
schen Abstufung auch hintereinander gesetzt wurden,
womit der klassische Aufbau der Orgel aufgelöst wurde,
war auch die Prospektgestaltung vor neue Möglichkeiten
gestellt. Der Prospekt spiegelte den Werkaufbau nicht
mehr wider, er wandelte sich in letzter Konsequenz zur
„Fassade", die frei gestaltet werden konnte. Hierin wur-
zelt der Begriff „Fassadenprospekt", der durchaus auch
einen abwertenden Unterton beinhaltet und daher kri-
tisch betrachtet werden sollte.
Der zweite Faktor bezieht sich allein auf die stilistische
Ausgestaltung des Prospektes, die unabhängig von der
formalen Struktur ist. Sie folgt denn auch konsequent
den jeweils zeitgenössischen Strömungen, dem Stil neu
erbauter bzw. neu ausgestatteter Kirchen. Während die
Engelhardt-Orgel in Herzberg um 1845 ein klassizisti-
sches Formengut zeigt (Abb. 24), entstand bereits fünf
Jahre später der neugotische Prospekt für die Verdener
Domorgel (Abb. 30).90 Ebenfalls in neugotischen Formen
zeigt sich der Prospekt der 1867 von Furtwängler &
Hammer erbauten Orgel für die ehemalige Stiftskirche in
Bardowick (Abb. 35).91 Neben den neugotischen Pros-
pekten entstanden neuromanische und byzantinisieren-
de. In der zweiten Jahrhunderthälfte, besonders aber um
und nach der Jahrhundertwende zeigen sich - wiederum
parallel zur Architekturgeschichte - vermehrt neo-

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