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Müller, Michael Christian; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Orgeldenkmalpflege: Grundlagen und Methoden am Beispiel des Landkreises Nienburg/Weser — Hameln: Niemeyer, Heft 29.2003

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.51261#0072
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Bad Rehburg (Stadt Rehburg-Loccum)
Ev. Friederikenkapelle (Abb. 67-69)

Die Orgel der Friederikenkapelle ist ein kleineres
Instrument der Werkstätte Meyer & Söhne in Hannover
aus dem Jahre 1853. Bis auf die möglicherweise erneu-
erte Spieltraktur, einige Elemente der Spielanlage und
Unregelmäßigkeiten im Bereich des Gehäuses ist es bau-
zeitlich erhalten. Es bildet somit in sich und im Zusam-
menhang mit der ebenfalls erhaltenen übrigen Ausstat-
tung der Kapelle eine historische Einheit, woraus ein
geschlossener Zeugnis- und Erlebniswert resultiert.
Die geschichtliche Bedeutung der Orgel bezieht sich pri-
mär auf die Tätigkeit der Orgelbauerfamilie Meyer im
Gebiet des heutigen Landkreises Nienburg. Die Bauzeit
der Orgel fällt in die Jahre, während der Meyer & Söhne
vermehrt auch größere Instrumente aufstellten, zum
Beispiel 1854 in der ehemaligen Klosterkirche Loccum.
Auch unter Berücksichtigung seiner Größe markiert das
Bad Rehburger Instrument diesen Zeitabschnitt in der
Geschichte der Meyerschen Werkstätte, denn auch in
ihm spiegeln sich materialbezogene und orgelbautech-
nische Charakteristika, von denen aus auch auf die zeit-
gleichen Instrumente geschlossen werden kann.
Die Gestaltung des Prospekts zeigt, dass bei Meyer mit
Grundmustern gearbeitet wurde, die es ermöglichten,
mit vertretbarem Aufwand eine Einpassung in den
Kirchenraum mitsamt seiner Ausstattung zu erreichen:
hier mit einem gotischen Formenvorrat, der in die for-
male Grundstruktur integriert worden ist. Die Konzep-
tion des Prospektes und seine Ausführung, zum Beispiel
die Schleierbretter, sind auf diese Weise durchaus als aus
dem Hause Meyer stammend erkennbar.
Soweit noch bauzeitlich erhalten dokumentieren Spiel-
anlage, Trakturen und Windladen den handwerklich-
technischen Stand der Fertigung in der Orgelbauwerk-
stätte Meyer. Bemerkenswert ist schließlich auch die
erhaltene und anschauliche Windanlage, deren zwei
Keilbälge noch immer in Betrieb sind.
Die Disposition und die Klanggestaltung fallen in die
Phase der sukzessiven klanglichen Umorientierung im
Orgelbau. Mit Blick auf diese Zeitstufe und im Vergleich
zum Beispiel mit den Instrumenten Ph. Furtwänglers,
insbesondere dem in Hoyerhagen, ist auffallend, dass
keine Klangkrone (Mixtur) vorhanden ist. Dass dies nicht
allein mit der bescheidenen Größe des Instruments
erklärt werden kann, zeigt das Register Bordun 16'. Es
gibt der allein manualiter ausgeführten Choralbeglei-
tung die nötige Gravität, ohne das Pedal hinzunehmen
zu müssen. Diese funktionale Motivation mag die
Disponierung eines 16'-Registers bei nur sechs Stimmen

im Manual bei gleichzeitigem Verzicht auf eine
Klangkrone erklären. Die Orgel der Friederikenkapelle ist
daher ein Beispiel für solche Abwägungsprozesse, die
insbesondere bei kleineren Orgeln zu interessanten
Kompromissen führen mussten.
Die geschichtlichen Gründe für den Denkmalwert der
Orgel werden dadurch ergänzt, dass sie mit den übrigen
Ausstattungselementen Teil einer besonderen Bauaufga-
be ist, einer Kapelle, die zum Gedenken an seine ver-
storbene Frau durch König Ernst August errichtet wor-
den ist. In der Zusammenschau ergibt sich somit ein
eigenständiger Denkmalwert, der in erster Linie
geschichtlich begründet ist, durch den Seltenheitswert
von Bauaufgabe und Ausstattungsgesamt aber unter-
mauert wird.

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