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Restaurierungsgeschichte mittelalterlicher Gewölbe- und Wandmalereien im Gebiet des heutigen Niedersachsen

servator Kostenvoranschläge und Entwürfe vorzule-
gen, und er konnte Empfehlungen bezüglich der aus-
führenden Architekten, Künstler und Handwerker ge-
ben. Dabei hatte er sich auf die denkmalpflegerischen
Belange zu beschränken, Entwurfsbearbeitung und
Ausführung der Maßnahmen lagen bei der Baulei-
tung.118 Wurde seinen Empfehlungen nicht entspro-
chen, konnte er mit Hilfe des Konservators der Kunst-
denkmäler in Berlin die Zentralinstanz im Ministerium
anrufen.119 Da der Provinzialkonservator das Vetorecht
besaß, musste es im Interesse der Kirchengemeinden
liegen, einvernehmliche Entscheidungen zu treffen.
Dass die denkmalpflegerischen Forderungen nicht
immer eingehalten wurden, verdeutlichen eine
Verfügung des Ministers der geistlichen, Unterrichts-
und Medizinalangelegenheiten 1908, worin die
Kirchengemeinden verpflichtet wurden, Verände-
rungen und Instandsetzungen nur unter „zureichen-
der fachlicher und künstlerischer Anleitung" vorzu-
nehmen und ein folgendes Schreiben an alle königli-
chen Konsistorien von 1909 mit dem Wortlaut: „Es ist
wiederholt bemerkt worden, daß Kirchengemeinden
infolge unzureichenden Bewußtseins von dem künst-
lerischen oder geschichtlichen Wert in ihrem Besitz
befindlicher Gegenstände diese vernachlässigen,
beseitigen oder veräußern."120
Der Staat stellte für die Denkmalpflege einen Etat zur
Verfügung, dessen größter Teil für die kirchlichen
Denkmäler verwendet wurde.121 Wenn eine Kirchen-
gemeinde die staatliche Förderung in Anspruch
nahm, lagen die Entscheidungsbefugnisse klarer auf
der staatlichen Seite, und die Einhaltung der staatli-
cherseits geforderten Pflichten war seitens der
Kirchengemeinde unumgänglich. Stellte die Staatsbe-
hörde also finanzielle Mittel zur Verfügung, so konn-
te sie auch über den Verwendungszweck bestimmen
und die Mittel mussten diesem Zweck entsprechend
eingesetzt werden.122
Trotz der Trennung von Staat und Kirche 1918 nahm
der Staat weiterhin die Aufgabe des Denkmalschutzes
auch für kirchliche Kulturgüter wahr. Denkmalpfleger,
Geistliche, Wissenschaftler, Beamte und Vertreter der
historischen Vereine waren sich einig und entwarfen
beim Tag für Denkmalpflege 1919 einen Denkmalar-
tikel, der anschließend in die Weimarer Verfassung
aufgenommen werden sollte. „Die Sorge für die
kirchlichen Denkmäler sollte zwar - wie bisher - auch
fernerhin ,in erster Linie den Kirchen obliegen', ... an
ein Denkmalpflegemonopol des Staates war auch
nach der neuen Verfassungsordnung nicht gedacht.
Aber die staatliche Pflege der kirchlichen Kultur-
denkmäler ... dürfe durch die Trennung von Staat und
Kirche nicht beeinträchtigt werden."123
Denkmalpflege verstand man also weiterhin als
Staatspflicht, die kirchliche Denkmalpflege sollte von
Kirche und Staat gemeinsam übernommen werden.
Die Überschneidungen von Rechten und Pflichten und

das finanzielle Potential des Staats mussten zu einer
gemeinsamen Aufgabenbewältigung führen.124
Kooperation der Behörden in Niedersachsen am
Beispiel ausgewählter Restaurierungen
Diesem Kapitel liegen von der Verfasserin durchge-
führte Recherchen in verschiedenen niedersächsi-
schen Archiven und die auf den Seiten 44 ff. und im
Katalog (S. 198 ff.) ausgeführte Quellenforschung für
Wandmalereirestaurierungen im Zeitraum 1899-1939
zugrunde, bei denen es sich fast ausnahmslos um sol-
che in Kirchenräumen handelt. Da es sich in den vor-
liegenden Fällen um aktenkundige Restaurierungs-
maßnahmen handelt, kann man davon ausgehen,
dass ein gewisses Bewusstsein für denkmalpflegeri-
sche Belange vorhanden war. Die folgende Auswer-
tung beinhaltet daher nicht solche Fälle, bei denen die
Richtlinien der Denkmalpflege möglicherweise schon
von vornherein bewusst oder unbewusst umgangen
wurden.
Aus den erfassten Bauakten (vgl. Katalog, S. 198 ff.)
geht hervor, dass es im Allgemeinen die Kirchenge-
meinden bzw. -vorstände waren, die denkmalpflege-
rische Maßnahmen - zum Teil unwissentlich - initiier-
ten. Im Vordergrund standen nämlich zunächst die
Planung von Renovierungen, Neuausmalungen oder
Umbauten von Kirchengebäuden, also vornehmlich
praktische und gestalterische Maßnahmen. Die Ge-
meinden scheinen sich jedoch überwiegend des
Denkmalwerts ihrer Kirchen und der diesbezüglichen
Bestimmungen bewusst gewesen zu sein, denn von
wenigen Ausnahmen125 abgesehen, teilten sie ihr
Vorhaben, wie gefordert, vor Beginn der Ausführung
den zuständigen Instanzen mit. Die Kirchenvorstände
wandten sich mit der Bitte um Genehmigung der
Renovierungsarbeiten an den Provinzialkonservator.
Dieser meldete das Vorhaben daraufhin zusammen
mit seinem Gutachten an den Regierungspräsidenten.
Lag die Zustimmung des Provinzialkonservators vor,
befürwortete auch der Regierungspräsident die ge-
planten Maßnahmen. Mit dem Konsistorium standen
sowohl die Kirchengemeinden als auch der Provinzial-
konservator in Verbindung.
Die in der vorliegenden Arbeit untersuchten Wand-
malereirestaurierungen zeigen zwischen den beteilig-
ten Institutionen das Bemühen um einvernehmliche
Regelungen. Obwohl sich mit dem Fund von Wand-
oder Gewölbemalereien das ursprüngliche Vorhaben
der Kirchengemeinde, meistens eine Neuausmalung,
zwangsläufig verändern musste, lassen die meisten
Quellen erkennen, dass die geltenden Bestimmungen
eingehalten wurden: Der Fund wurde dem Provinzial-
konservator gemeldet, die weiteren Maßnahmen hin-
gen von dessen Empfehlungen ab.
 
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