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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Restaurierungsgeschichte mittelalterlicher Wandmalereien im Gebiet des heutigen Niedersachsen — Petersberg: Imhof, Heft 41.2014

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Überregionale Einordnung der niedersächsischen Restaurierungspraxis
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https://doi.org/10.11588/diglit.51159#0086
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Restaurierungsgeschichte mittelalterlicher Gewölbe- und Wandmalereien im Gebiet des heutigen Niedersachsen

Überregionale Einordnung der niedersächsischen Restaurierungspraxis

Im Vergleich zu den modernen denkmalpflegerischen
Theorien, die kurz nach 1900 aufkamen, erscheint die
niedersächsische Restaurierungspraxis rückständig.
Der Vergleich mit anderen Regionen zeigt aber, dass
es in der übrigen deutschen Restaurierungslandschaft
nicht anders aussah. Den theoretischen Überlegungen
folgte in der restauratorischen Praxis nur allmählich
der Umbruch und die Abkehr von den alten Auffas-
sungen. Zunächst kam es zur Vermischung verschie-
denster Methoden, die von der rekonstruierenden
Wiederherstellung in der Tradition des 19. Jahrhun-
derts bis hin zur reinen Konservierung alle Abstu-
fungen beinhaltete, aber im allgemeinen mit maleri-
schen Überarbeitungen der mittelalterlichen Darstel-
lungen verbunden war. So wurde auch in Bayern
unter Hager, der schon 1903 für äußerst zurückhal-
tende Ergänzungen plädierte, auch danach nicht auf
Übermalungen und Rekonstruktionen verzichtet.507
Nach von der Goltz wurde noch in der Weimarer Zeit
die von ihm so bezeichnete „überarbeitende Restau-
rierung", die er als pragmatisch und ästhetisierend
bezeichnete, verstärkt in der Baudenkmalpflege ange-
wandt. Das Konzept beinhaltete Ergänzungen,
Oberflächenbehandlungen und gegebenenfalls Über-
malungen. Form und Farbigkeit wurden wiederherge-
stellt, Ziel war ein einheitliches, intaktes, oft auch
gewollt altes Aussehen.508
Um die Restaurierungspraxis in Niedersachsen mit
anderen Regionen Deutschlands vergleichen zu kön-
nen, ist es notwendig, die unterschiedlichen Beteilig-
ten und Zielsetzungen zu trennen, denn alle hatten
Einfluss auf die Ergebnisse der Restaurierungen. Eine
solche Studie wäre aber nur dann möglich, wenn für
alle in Frage kommenden Regionen ähnlich umfang-
reiche Studien angestellt würden, wie hier für Nie-
dersachsen. An dieser Stelle können daher nur exem-
plarische Vergleiche angestellt werden, die haupt-
sächlich auf publizierter Literatur fußen und nicht auf
den gleichen Kriterien aufbauen wie diese Arbeit. Der
Einfluss der Kirchengemeinden bzw. ihre von denen
der Denkmalpflege zu unterscheidenden Zielsetzun-
gen sind beispielsweise in den meisten Quellen nicht
erwähnt. Um diesbezüglich zu Vergleichsmöglich-
keiten zu kommen, können aber die theoretischen
Fundamente vor allem Bayerns und Österreichs heran-
gezogen werden.509
Aufgrund dessen kann man davon ausgehen, dass die
grundsätzlich unterschiedliche Zielsetzung von Kir-
chengemeinden und Denkmalpflege überall in ähnli-
cher Ausprägung vorhanden war und dass demnach
etwaige Unterschiede in der Ausführung der restaura-
torischen Arbeiten anderen Ursprung haben müssen.
Die Vermutung, dass die restauratorische Entwicklung
in den ehemaligen Ländern Niedersachsens nicht

anders, aber durch die verspätete Adaption von
Theorie und Praxis aus anderen Provinzen und
Ländern langsamer verlief als beispielsweise in fort-
schrittlichen Gebieten Bayerns und in Österreich, wird
auch durch die Beobachtungen der oben angespro-
chenen Entwicklung in der denkmalpflegerischen und
restauratorischen Auffassung, die von der Wende
zum 20. Jahrhundert bis zum Ausbruch des Zweiten
Weltkriegs nachzuvollziehen ist, bestärkt. Der Rück-
gang in der Praxis der Übermalung und die Entwick-
lung zu Lasuren und Nachkonturierungen erfolgte in
Niedersachsen nicht, wie durch Riegl für Österreich
und durch Hager für Bayern belegt, schon kurz nach
der Jahrhundertwende, sondern erst einige Jahre spä-
ter. Die Restaurierung in Wittingen-Ohrdorf ist mit
dem Jahr 1907 ein recht frühes Beispiel für eine lasie-
rende Überarbeitung von Wandmalerei in Nieder-
sachsen. Die von Hager 1903 vorgeschlagene Metho-
de der flächigen Auslegung des Hintergrunds, damit
farblich nicht ergänzte Szenen im Vordergrund sich
von der vereinheitlichten Fläche besser abhöben,
wurde in Niedersachsen vor allem durch Martin Gotta
praktiziert, jedoch erst in den 1920er Jahren.
Ähnliche zeitliche Verschiebungen in der Entwicklung
der Restaurierungspraxis finden sich aber nicht nur im
heutigen Niedersachsen, sondern auch in verschiede-
nen anderen Gebieten. Als Beispiele seien Sachsen,
die Pfalz sowie die ehemalige Provinz Westfalen
genannt, wo Übermalungen auch nach 1910 keine
Seltenheit waren.510 Die angewandten Methoden der
Restaurierung sind nicht für einzelne Länder und
Provinzen pauschal zu beurteilen. Vielmehr zeigen
Fallbeispiele, dass regional sehr unterschiedliche
Entwicklungsstadien und Qualitätsstandards neben-
einander bestanden, obwohl dieselben denkmalpfle-
gerischen Einflüsse vorherrschten. So zeigt beispiels-
weise Schädler-Saubs umfassende Studie zur Restau-
rierungsgeschichte in Mittelfranken sowohl fort-
schrittliche als auch traditionelle Ansätze auf.511 In der
Kirche zu Greding wurde beispielsweise bereits 1907
der Hintergrund der figürlichen Darstellungen lasie-
rend überarbeitet, während innerhalb der Figuren
weitgehend auf Ergänzungen verzichtet wurde.512
Dennoch überdauerte die Praxis von Übermalungen
an Einzelbeispielen noch das zweite Jahrzehnt des 20.
Jahrhunderts.513
Gegliedert in die verschiedenen Tätigkeitsfelder, die
zu einer Restaurierungsmaßnahme gehören konnten,
wird im Folgenden ein detaillierterer Vergleich der
restauratorischen Entwicklung Niedersachsens mit der
anderer Regionen anhand von ausgewählten Beispie-
len vorgenommen.
 
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