Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Restaurierungsgeschichte mittelalterlicher Wandmalereien im Gebiet des heutigen Niedersachsen — Petersberg: Imhof, Heft 41.2014

DOI article:
Zur Freilegungs- und Restaurierungspraxis in Niedersachsen 1899-1939 am Beispiel ausgewählter mittelalterlicher Wandmalereien
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.51159#0078
License: Creative Commons - Attribution - ShareAlike
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
72

Restaurierungsgeschichte mittelalterlicher Gewölbe- und Wandmalereien im Gebiet des heutigen Niedersachsen

muß ich die liebevolle Hingebung anerkennen, mit
welcher der Vorsitzende des Kirchenvorstands, der
Architekt und der Maler zusammengewirkt haben,
um die künstlerische Seite der Aufgabe bis in alle
Einzelheiten hinein zu einer gewissen Vollendung zu
bringen. Auf die Erforschung und Erhaltung aller frü-
heren Kunstschöpfungen ist die größte Sorgfalt ver-
wendet."482
Nach heutigem Standpunkt muss man sagen, dass die
Gewölbeausmalung eine starke Überarbeitung erfah-
ren hat. Qualität und Sensibilität der Maßnahmen la-
gen aber, zeitgenössisch betrachtet, in der Zusam-
menführung der verschiedenen Raumteile und in der
Fähigkeit, eine der Vorstellung nach authentische
Wirkung zu erzielen, selbst wenn die Malereien nach
der Restaurierung nicht mehr authentisch waren.
Der gemalte Apostelfries an der Chornordwand der
Sulinger Kirche wurde 1901 vervollständigt, übermalt
und zusätzlich um stilistisch passende Elemente er-
gänzt, um eine Annäherung an eine mittelalterliche
Wandgestaltung zu erlangen und die erhaltene Male-
rei nicht als Fragment zu präsentieren. Auch hier stan-
den also Geschlossenheit und Wahrnehmbarkeit im
Vordergrund, während der entstehungszeitlichen
künstlerischen Individualität geringerer Stellenwert
beigemessen wurde.
Die Restaurierung der Wandmalereien in der Sulinger
Kirche wurden von Provinzialkonservator Reimers als
„in vorzüglicher Weise ausgeführt"483 bewertet.
Ebenso positiv beurteilte er auch die von umfangrei-
chen Übermalungen geprägte Restaurierung der
Wandmalerei in der Kirche zu Melle-Ueffeln 1903 und
die Restaurierung und historisiserende Neufassung
der Chorausmalung in Marklohe 1907.484
In allen Fällen zeigte sich ein zeitgenössischer Gestal-
tungsgedanke, dem zwar die grundsätzliche Wert-
schätzung der historischen Kunstwerke inne wohnte,
der sich aber darüber hinaus insbesondere auf die
geschlossene Wirkung der Malerei und die Einheit des
Kirchenraums bezog.
Schon bald entwickelten sich die Auffassungen von
Kirchengemeinden und Denkmalpflegern auseinan-
der. Die Kirchengemeinden blieben zum größten Teil
bei ihrer Zielsetzung, die in der Erlangung eines reprä-
sentativen und dekorativen Wandschmucks bestand.
Ein fragmentarischer Erhaltungszustand erschien
nicht tragbar. Stattdessen bestand der Wunsch nach
ikonographisch klar identifizierbaren, vollständigen
und farbintensiven Szenen. Die Denkmalpfleger be-
tonten hingegen den Wert des ,Originals', der durch
Überarbeitung verloren ginge.
Diese veränderte Auffassung wird bei den ausgewähl-
ten Wandmalereien erstmalig 1907 in der Ohrdorfer
Kirche deutlich. Weil die finanzielle Förderung von der
Einhaltung denkmalpflegerischer Richtlinien abhängig
gemacht wurde, kam es zur Durchsetzung eines
zurückhaltenderen Restaurierungskonzepts.

Bei der Restaurierung der Chorausmalung der Kirche
in Neustadt-Mandelsloh 1907 waren Konservator und
Maler offenbar unterschiedlicher Ansicht über den
Umfang der im Vorfeld durchzuführenden Einstim-
mungen', denn nach Abschluss der Restaurierung
hieß es im Gutachten des Provinzialkonservators
Reimers: „Die alten Malereien in der Kirche zu Man-
delsloh sind nicht einwandfrei ausgeführt. Aus den
alten Bildern sind neue Malereien geworden."485
Im Vergleich mit den nicht weniger umfangreichen
Übermalungen in Isernhagen-Kirchhorst und Melle-
Ueffeln, die wenige Jahre zuvor noch positiv beurteilt
worden waren, kommt die veränderte denkmalpfle-
gerische Haltung zum Ausdruck.
Verurteilt wurde aber nicht unbedingt das Ausmaß
der Überarbeitung, sondern die stilistische Verfäl-
schung der Malerei. In Melle-Schiplage hieß es nach
der Restaurierung 1913: „Kann die des Ornaments als
befriedigend bezeichnet werden, so trifft das nicht zu
hinsichtlich der großen Wandfiguren, deren Farben-
stellung weit von der um die Zeit ihrer Erstellung ...
abweicht, weil der ausführende Maler offenbar keine
kunstgeschichtliche Kenntnis besaß."485
Ursachen für ein Auseinanderklaffen von Zielsetzung
und Ergebnis lagen häufig in der unzureichenden
Kommunikation zwischen den Beteiligten. Die Formu-
lierungen der Denkmalpfleger waren unpräzise, ihre
Anweisungen somit auslegbar, eine kontinuierliche
Betreuung der Restaurierungen war aus Kapazitäts-
gründen nicht gewährleistet. Dass kaum Sanktionen
zu erwarten waren, dürfte das zum Teil eigenmächti-
ge Vorgehen der Eigentümer und Ausführenden
begünstigt haben.
Dass auf Seiten der Denkmalpflege dennoch ein kon-
servatorischer Standpunkt vorherrschte, zeigen Be-
richte, in denen die Einmaligkeit und Besonderheit
derartiger Restaurierungsleistungen zum Ausdruck
kommt. Schon 1911 wird die zurückhaltende, nicht
verfälschende Restaurierung der Wandmalereien in
der Kirche zu Hannoversch Münden-Lippoldshausen
gelobt.
Auch in den 1930er Jahren besaß eine rein konserva-
torische Bearbeitung von Wandmalereien noch
besonderen Seltenheitswert. Der Verzicht auf jegliche
malerische Zutat bei der Restaurierung der Wand-
und Gewölbemalereien der Kirche in Wunstorf-Iden-
sen bedeutete nach Ansicht des Konsistorialbaumeis-
ters Fischer eine Neuerung in der Geschichte der Res-
taurierung: „Der Bau wird ... nicht nur in Niedersach-
sen, sondern weiter darüber hinaus das einzige und
erste Beispiel sachlicher Wiederherstellung sein, bei
dem die Fresken nicht durch Übermalung und
Ausbesserung verdorben sind."487
Eine Äußerung des Provinzialkonservators Siebern von
1930 begründet den Ausnahmecharakter solcher
Maßnahmen und belegt herrschende Konflikte: „Dass
der Denkmalpfleger sich fast immer mit dem Erreich-
 
Annotationen