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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Restaurierungsgeschichte mittelalterlicher Wandmalereien im Gebiet des heutigen Niedersachsen — Petersberg: Imhof, Heft 41.2014

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Zur Freilegungs- und Restaurierungspraxis in Niedersachsen 1899-1939 am Beispiel ausgewählter mittelalterlicher Wandmalereien
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https://doi.org/10.11588/diglit.51159#0081
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Zur Freilegungs- und Restaurierungspraxis in Niedersachsen 1899-1939
am Beispiel ausgewählter mittelalterlicher Wandmalereien

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erkennbaren Konturen nachgezeichnet. Die Architek-
turrahmung wurde- aber auch hier rekonstruiert. In
einem Bericht an das Regierungspräsidium urteilte
Bezirkskonservator Holtmeyer kritisch über die Res-
taurierung: „Die Wände der Chorpartie enthielten
zum Teil wohl erkennbar, die zwölf Apostel. Durch
Übermalung sind sie völlig unkenntlich geworden bis
auf zwei Stück, die durch die Patronatsempore ver-
deckt werden und deren Erhaltung in ihrer ursprüng-
lichen Form der Denkmalpflege möglich war, noch
rechtzeitig durchzusetzen. Die östliche Abschlußwand
des Chores zeigte die Darstellung des heiligen Chris-
topherus [I] und des Eremit mit Laterne. Wiederum
hat die Denkmalpflege sich bemüht, durch äußerstes
Entgegenkommen den Interessen des Presbyteriums
gerecht zu werden, bzw. es davon zu überzeugen,
daß ein altes vorsichtig konserviertes Wandgemälde
wertvoller ist, als ein übermaltes und dadurch un-
kenntlich gewordenes Stück. An Hand einer Photo-
graphie und auf Grund einer örtlichen Besprechung
sind dem Maler Olbers, der die Arbeiten im Auftrage
der Gemeinde ausgeführt hat, eingehende Angaben
darüber gemacht worden, was und in welcher Form
an den Wandgemälden einfach in seinem Bestände
zu sichern und was nach diesseitiger Auffassung
unbeschadet des Gesamtwertes ergänzt werden
konnte. Bei der Behandlung des Christopherus [I] hat
sich wiederum gezeigt, daß der Maler nicht in der
Lage war, den diesseits gegebenen Anregungen zu
folgen. Auch dieser ist durch Übermalung vollkom-
men entstellt. Die Denkmalpflege sieht sich daher
gezwungen, den Standpunkt zu vertreten, daß eine
weitere Beschäftigung des Malers Olbers bei den
Wiederherstellungsarbeiten nicht gutgeheißen wer-
den kann."490
Die außergewöhnlich klaren Worte des Bezirkskonser-
vators zeugen von großem Engagement und einem
umfassenden Denkmalpflegeverständnis, dass sich
mit den theoretischen Grundsätzen der fortschrittli-
chen Denkmalpfleger kurz nach der Wende zum 20.
Jahrhundert deckt. Die kirchlichen Behörden und die
Gemeinde strebten hingegen unverändert nach
Schmuck, Farbe und Vollständigkeit. Ein großer Teil
der Quellen und besonders die Verhandlungen im Fall
Hattendorf verdeutlichen, dass spätestens bei den
Restaurierungen nach der ersten Dekade des 20. Jahr-
hunderts unterschiedliche Bedürfnisse und Zielset-
zungen bestanden.
Grundlage dieser Wünsche waren Werte, anhand
derer eine Restaurierung beurteilt wurde. Archivalisch
genannt ist oft der sogenannte Schauwert. Was aber
waren die Faktoren, die diesen Schauwert ausmach-
ten? In den Quellen finden sich einige Schlagworte,
aus denen sich Folgerungen hierzu ableiten lassen,
zum Beispiel harmonische Raumwirkung, Erzeugung
andachtsvoller Stimmung, würdevoller Raum,
Schmuck. Der Schauwert beruhte demnach vor allem

auf subjektiven Empfindungen bzw. auf einer Stim-
mung, die erzeugt werden sollte.
Die verschiedenen Wertebenen spielten bei den histo-
rischen Restaurierungen eine wichtige Rolle, waren
dabei aber den Beteiligten nicht immer bewusst. Den
Entscheidungen über die Restaurierungsmethodik lag
zumeist ein tradiertes oder aber neu entwickeltes
Wertempfinden zu Grunde.
Die Ansicht der Denkmalpfleger, die für rein konserva-
torische Maßnahmen plädierten, beruhte auf den
Theorien Georg Dehios und anderer progressiver
Denkmalpfleger, die sich gegen die vorherrschenden
Methoden der Restaurierung wandten. „Als im histo-
risch' gesinnten 19. Jahrhundert ein Pietätsverhältnis
zu den Resten der Vergangenheit erwachte, glaubte
man, diesen etwas Gutes zu erweisen, wenn man sie
auf diejenige Gestalt zurückführte, die man sich als
die ursprüngliche dachte. Aber der feinere historische
Sinn konnte dabei keine Befriedigung finden: es hieß,
den historischen Verlauf rückwärts korrigieren, und
zwar auf fast immer unsicherer Basis."491 Dehio ver-
suchte Denkmalpflege zu objektivieren, indem er den
Wert von Denkmalen ihrer Geschichtlichkeit zu-
schrieb. Die „Achtung vor der historischen Existenz als
solcher" sei ausschlaggebend: „Wir konservieren ein
Denkmal nicht, weil wir es für schön halten, sondern
weil es ein Stück unseres nationalen Daseins ist.
Denkmäler schützen heißt nicht Genuß suchen, son-
dern Pietät üben. Ästhetische und selbst kunsthistori-
sche Urteile schwanken, hier ist ein unveränderliches
Wertkennzeichen gefunden."492 Da jegliche Alters-
spuren Teil der Geschichte eines Kunstwerks waren,
mussten sie, wie alle anderen Spuren, die das Kunst-
werk zum Teil der Geschichte gemacht haben, erhal-
ten bleiben. Ziel war die Konservierung des Werkes in
seinem gewordenen, überlieferten Zustand.
Die Hattendorfer Restaurierung verdeutlicht diesen
Ansatz der Denkmalpflege. Um den historischen Wert
zu bewahren und kommenden Generationen unver-
fälscht zu überliefern, sollten wohl konservatorische,
nicht aber restauratorische Maßnahmen ergriffen
werden, denn diese nach dem zeitgenössischen
Verständnis rekonstruierenden und fiktiv ergänzen-
den Maßnahmen würden nur zur Verfälschung des
Kunstwerkes führen. Die Kirchengemeinde sah zwar
ebenfalls den historischen Wert der Wandmalereien,
schließlich wollte auch sie die mittelalterliche
Ausmalung erhalten. Letztlich bedeutsamer war aber
deren Bedürfnis nach Unversehrtheit. Hier handelt es
sich um eine Kombination aus historischem Wert
sowie dem .relativen Kunstwert' und dem .Neuheits-
wert'493 nach Alois Riegl. Der „Neuheitswert" sei
grundsätzlich auf alle neu entstehenden Kunstwerke
anzuwenden, die schon allein ihrer Neuheit wegen
einen gewissen Wert hätten. Auch bei Denkmalen
läge der „Neuheitswert" in der Vollständigkeit und
Unversehrtheit des Kunstwerkes. „Nur das Neue und
 
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