MICHELAGNOLO BUONARROTI
zungen an den Monographien weniger wichtiger Meister und Ab-
schnitten, gelang es endlich, die Monographie Michelangelos in
der vorliegenden Weise zu gestalten. Sie enthält:
1. Die graphische Darstellung der Hauptwerke in Toscana in
derselben Weise wie dies für die anderen Meister geschehen war.
2. Die zum ersten Male erfolgte möglichst vollständige
Publikation oder Besprechung aller Originalstudien Michelangelos
für diese Werke, oder älterer Kopien nach untergegangenen Ent-
würfen desselben.
3. Einen Text, der sich darauf beschränkt, diese Werke so
weit als nötig zu beschreiben, stilistisch zu würdigen, die Haupt-
anhaltspunkte für ihre Geschichte in Erinnerung zu bringen und
im Zusammenhang mit den Originalstudien zu betrachten.
4. Einen kurzen Gesamtüberblick über die architektonische
Thätigkeit Michelangelos.
Um Wiederholungen zu vermeiden, werden verschiedene
wichtige Fragen oder Würdigungen der Einzelwerke erst in die-
sem Gesamtüberblick behandelt werden. Das neue Studienmate-
rial, die neuen Aufschlüsse und Gesichtspunkte werden somit
dieser Monographie ebenfalls einen ausgeprägten Originalcharakter
verleihen. Die erwähnten Schwierigkeiten und die angeführten
Absichten mögen sie der Nachsicht des Lesers empfehlen.
I.
DIE ENTWÜRFE UND MODELLE FÜR DIE
FASSADE VON SAN LORENZO IN FLORENZ.
DIE ANGEBLICHE KONKURRENZ.
ie Aufgabe, eine Fassade für San Lorenzo in Florenz
zu bauen, war nicht nur die erste wirkliche architek-
tonische Arbeit, die Michelangelo an vertraut wurde, sie
sein wichtigster Bau in Toscana geworden. Obgleich
wir ihn nur nach den Entwürfen beurteilen können, bieten diese
für die Kenntnis der Schule, an welcher Michelangelo als Architekt
sich weiter entwickelt hatte, wertvolle bisher wenig beachtete Auf-
schlüsse. Da nach einer oft als Konkurrenz geschilderten Art
von Wettbewerb, Michelangelo diesen Auftrag erhielt, wurde die
Besprechung der Beteiligung der anderen Meister für diese Stelle
aufbe wahrt.
Gotti ’) vermutet, es sei gelegentlich des Besuches am Grabe
seines Vaters in San Lorenzo, dass Leo X. nach seinem Ein-
zuge am 30. November 1515, den Entschluss fasste, diese Kirche,
deren Entstehung so eng mit den Medici verbunden war, mit der
ihr fehlenden Fassade zu versehen. Vasari2) sieht diesen Ent-
schluss in der Thatsache, dass Leo der erste Papst aus Florenz
war, und, dass ein so grosser Meister wie Michelangelo, zu der
Zeit lebte. Wie einige Entwürfe Giuliano da Sangallos zeigen
ist eine ältere Anregung nicht ganz ausgeschlossen.
wäre auch
Nach der ferneren Aussage Vasaris hätten Baccio d'Agnolo,
Antonio da Sangallo, Andrea und Jacopo Sansovino endlich
Raffael von Urbino Entwürfe gemacht und wäre dann letzterer
zu diesem Behuf noch während der Anwesenheit Leos X. in Florenz
dorthin berufen worden3). Die Teilnahme Giulianos da Sangallo
erwähnt dagegen Vasari nicht, obgleich er selbst sich im Besitze
mehrerer der Entwürfe Giulianos für diese Fassade befand.
DlE BETEILIGUNG RAFFAELS, J. SANSOVI-
NOS UND BACCIO D’AGNOLOS. Ob, wie Vasari
berichtet, Leo X. wirklich zwischen dem 22. Dezember 1515
und dem 19. Februar 1516 Raffael und Michelangelo hierfür nach
Florenz kommen liess, ist nicht nachzuweisen.
Keinerlei Studien Raffaels sind bisher mit Sicherheit be-
kannt. Immerhin wäre es möglich, dass die Zeichnung der
Albertina in Wien von einem der Zeichner Raffaels (Perino del
Vaga?) und für Raffael angefertigt, für San Lorenzo bestimmt
war. Wir hatten sie hauptsächlich wegen der kaum sichtbaren
Laterne einer Kuppel als für St. Peter in Rom bestimmt ver-
öffentlicht4). Sollte diese Laterne, die in der Axe und in ganz
richtiger Höhe liegt, in Wirklichkeit nicht mit dem Entwürfe Zu-
sammenhängen, sondern gelegentlich einer Besprechung und des
Vergleiches mit St. Peter halber leicht hingezeichnet worden sein,
so wäre die Bestimmung für San Lorenzo nicht ausgeschlossen.
Hierfür würden besonders die Halbsäulen an der Innenseite, die
Ähnlichkeit der Massen und ihrer Gliederung mit der Fassade, die
Giuliano da Sangallo ebenfalls mit zwei Türmen entworfen hatte,
sprechen; endlich auch eine gewisse Verwandtschaft in der Grund-
rissbildung der tiefen Vorräume vor den Thüren.
Auf Befehl des Papstes, schreibt Vasari, hatte Jacopo Sanso-
vino ein Projekt gemacht, welches dem Papste sehr gefiel und
nach welchem Baccio d’Agnolo ein sehr schönes Holzmodell aus-
führte. Er langte mit demselben in Rom an, als dasjenige Michel-
angelos in der Torre Borgia dem Papste gezeigt wurde. Vasari
sagt, es hätte ihm der Papst zugesagt mindestens unter Michel-
angelo einen Teil der Skulpturen zu machen, wie es auch dieser
beabsichtigt hatte, dass nun aber Michelangelo allein sein wolle.
In einem Briefe an Michelangelo5) schreibt Jacopo Sansovino am
30. Juni 1517, dass der Papst ihm, Sansovino, le Storie, d. h. die
Reliefskulpturen der Fassade von San Lorenzo, versprochen habe.
Richa giebt den Stich einer für San Lorenzo bestimmten
Fassade, von den einen Michelangelo, von anderen Raffael zuge-
schrieben. Ihr Aufbau, dem von Fig. 1 ähnlich, zeigt in den Ver-
hältnissen der drei Stockwerke, des zu grossen Massstabs der
Figuren auf dem Giebel wenig Gefühl für Harmonie und darf
hier nicht ohne weiteres an das Werk eines grossen Meisters
gedacht werden. Die Gliederung des Erdgeschosses und seine
hohe Attica, die entfernt an die Loggia am Fusse des Campaniles
von S. Marco in Venedig erinnern, haben wohl Justi6) an Jacopo
Jahren für die Fortsetzung meiner Studien über die Peterskirche zu sammeln
begonnen hatte. Die Beschränkung in der Zahl der Tafeln und Textseiten nötigte
eine Anzahl Detailblätter als Photolithographien statt als Stichblätter zu geben.
1) Gotti, A. Vita di Michelangelo Buonarroti, Firenze 1875, Bd. I. S. 106.
2) Vita di Michelagnolo etc. Bd. VH. S. 188. Milanesi vermutet, es habe
Vasari Antonio statt dessen Bruder Giuliano hier angeführt; wir werden jedoch
sehen, dass auch eine Teilnahme Antonios nicht ausgeschlossen ist.
3) Siehe: Die ursprünglichen Entwürfe für St. Peter in Rom, Bl. 41
und 42 und S. 313—314.
4) Vita di Jacopo Sansovino. Bd. VII. S. 496. Nach den Worten Vasaris
sollte man glauben, der Entwurf Sansovinos und der Michelangelos seien vor der
Abreise des Papstes am 19. Februar 1516 diesem vorgelegt worden.
5) Im Archivio Buonarroti zu Florenz, teilweise veröffentlicht von Gotti,
A., Vita di Michelangelo, Bd. I. S. 136.
Richa, Gius., Notizie istoriche delle chiese Fiorentine. Florenz 1757.
Bd. I. »Disegno creduto di Michel Angelo, e da altri di Raffaello«.
6) Justi, C. Michelangelo, Beiträge zur Erklärung der Werke und des Men-
schen. Leipzig 1900. S. 277.
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zungen an den Monographien weniger wichtiger Meister und Ab-
schnitten, gelang es endlich, die Monographie Michelangelos in
der vorliegenden Weise zu gestalten. Sie enthält:
1. Die graphische Darstellung der Hauptwerke in Toscana in
derselben Weise wie dies für die anderen Meister geschehen war.
2. Die zum ersten Male erfolgte möglichst vollständige
Publikation oder Besprechung aller Originalstudien Michelangelos
für diese Werke, oder älterer Kopien nach untergegangenen Ent-
würfen desselben.
3. Einen Text, der sich darauf beschränkt, diese Werke so
weit als nötig zu beschreiben, stilistisch zu würdigen, die Haupt-
anhaltspunkte für ihre Geschichte in Erinnerung zu bringen und
im Zusammenhang mit den Originalstudien zu betrachten.
4. Einen kurzen Gesamtüberblick über die architektonische
Thätigkeit Michelangelos.
Um Wiederholungen zu vermeiden, werden verschiedene
wichtige Fragen oder Würdigungen der Einzelwerke erst in die-
sem Gesamtüberblick behandelt werden. Das neue Studienmate-
rial, die neuen Aufschlüsse und Gesichtspunkte werden somit
dieser Monographie ebenfalls einen ausgeprägten Originalcharakter
verleihen. Die erwähnten Schwierigkeiten und die angeführten
Absichten mögen sie der Nachsicht des Lesers empfehlen.
I.
DIE ENTWÜRFE UND MODELLE FÜR DIE
FASSADE VON SAN LORENZO IN FLORENZ.
DIE ANGEBLICHE KONKURRENZ.
ie Aufgabe, eine Fassade für San Lorenzo in Florenz
zu bauen, war nicht nur die erste wirkliche architek-
tonische Arbeit, die Michelangelo an vertraut wurde, sie
sein wichtigster Bau in Toscana geworden. Obgleich
wir ihn nur nach den Entwürfen beurteilen können, bieten diese
für die Kenntnis der Schule, an welcher Michelangelo als Architekt
sich weiter entwickelt hatte, wertvolle bisher wenig beachtete Auf-
schlüsse. Da nach einer oft als Konkurrenz geschilderten Art
von Wettbewerb, Michelangelo diesen Auftrag erhielt, wurde die
Besprechung der Beteiligung der anderen Meister für diese Stelle
aufbe wahrt.
Gotti ’) vermutet, es sei gelegentlich des Besuches am Grabe
seines Vaters in San Lorenzo, dass Leo X. nach seinem Ein-
zuge am 30. November 1515, den Entschluss fasste, diese Kirche,
deren Entstehung so eng mit den Medici verbunden war, mit der
ihr fehlenden Fassade zu versehen. Vasari2) sieht diesen Ent-
schluss in der Thatsache, dass Leo der erste Papst aus Florenz
war, und, dass ein so grosser Meister wie Michelangelo, zu der
Zeit lebte. Wie einige Entwürfe Giuliano da Sangallos zeigen
ist eine ältere Anregung nicht ganz ausgeschlossen.
wäre auch
Nach der ferneren Aussage Vasaris hätten Baccio d'Agnolo,
Antonio da Sangallo, Andrea und Jacopo Sansovino endlich
Raffael von Urbino Entwürfe gemacht und wäre dann letzterer
zu diesem Behuf noch während der Anwesenheit Leos X. in Florenz
dorthin berufen worden3). Die Teilnahme Giulianos da Sangallo
erwähnt dagegen Vasari nicht, obgleich er selbst sich im Besitze
mehrerer der Entwürfe Giulianos für diese Fassade befand.
DlE BETEILIGUNG RAFFAELS, J. SANSOVI-
NOS UND BACCIO D’AGNOLOS. Ob, wie Vasari
berichtet, Leo X. wirklich zwischen dem 22. Dezember 1515
und dem 19. Februar 1516 Raffael und Michelangelo hierfür nach
Florenz kommen liess, ist nicht nachzuweisen.
Keinerlei Studien Raffaels sind bisher mit Sicherheit be-
kannt. Immerhin wäre es möglich, dass die Zeichnung der
Albertina in Wien von einem der Zeichner Raffaels (Perino del
Vaga?) und für Raffael angefertigt, für San Lorenzo bestimmt
war. Wir hatten sie hauptsächlich wegen der kaum sichtbaren
Laterne einer Kuppel als für St. Peter in Rom bestimmt ver-
öffentlicht4). Sollte diese Laterne, die in der Axe und in ganz
richtiger Höhe liegt, in Wirklichkeit nicht mit dem Entwürfe Zu-
sammenhängen, sondern gelegentlich einer Besprechung und des
Vergleiches mit St. Peter halber leicht hingezeichnet worden sein,
so wäre die Bestimmung für San Lorenzo nicht ausgeschlossen.
Hierfür würden besonders die Halbsäulen an der Innenseite, die
Ähnlichkeit der Massen und ihrer Gliederung mit der Fassade, die
Giuliano da Sangallo ebenfalls mit zwei Türmen entworfen hatte,
sprechen; endlich auch eine gewisse Verwandtschaft in der Grund-
rissbildung der tiefen Vorräume vor den Thüren.
Auf Befehl des Papstes, schreibt Vasari, hatte Jacopo Sanso-
vino ein Projekt gemacht, welches dem Papste sehr gefiel und
nach welchem Baccio d’Agnolo ein sehr schönes Holzmodell aus-
führte. Er langte mit demselben in Rom an, als dasjenige Michel-
angelos in der Torre Borgia dem Papste gezeigt wurde. Vasari
sagt, es hätte ihm der Papst zugesagt mindestens unter Michel-
angelo einen Teil der Skulpturen zu machen, wie es auch dieser
beabsichtigt hatte, dass nun aber Michelangelo allein sein wolle.
In einem Briefe an Michelangelo5) schreibt Jacopo Sansovino am
30. Juni 1517, dass der Papst ihm, Sansovino, le Storie, d. h. die
Reliefskulpturen der Fassade von San Lorenzo, versprochen habe.
Richa giebt den Stich einer für San Lorenzo bestimmten
Fassade, von den einen Michelangelo, von anderen Raffael zuge-
schrieben. Ihr Aufbau, dem von Fig. 1 ähnlich, zeigt in den Ver-
hältnissen der drei Stockwerke, des zu grossen Massstabs der
Figuren auf dem Giebel wenig Gefühl für Harmonie und darf
hier nicht ohne weiteres an das Werk eines grossen Meisters
gedacht werden. Die Gliederung des Erdgeschosses und seine
hohe Attica, die entfernt an die Loggia am Fusse des Campaniles
von S. Marco in Venedig erinnern, haben wohl Justi6) an Jacopo
Jahren für die Fortsetzung meiner Studien über die Peterskirche zu sammeln
begonnen hatte. Die Beschränkung in der Zahl der Tafeln und Textseiten nötigte
eine Anzahl Detailblätter als Photolithographien statt als Stichblätter zu geben.
1) Gotti, A. Vita di Michelangelo Buonarroti, Firenze 1875, Bd. I. S. 106.
2) Vita di Michelagnolo etc. Bd. VH. S. 188. Milanesi vermutet, es habe
Vasari Antonio statt dessen Bruder Giuliano hier angeführt; wir werden jedoch
sehen, dass auch eine Teilnahme Antonios nicht ausgeschlossen ist.
3) Siehe: Die ursprünglichen Entwürfe für St. Peter in Rom, Bl. 41
und 42 und S. 313—314.
4) Vita di Jacopo Sansovino. Bd. VII. S. 496. Nach den Worten Vasaris
sollte man glauben, der Entwurf Sansovinos und der Michelangelos seien vor der
Abreise des Papstes am 19. Februar 1516 diesem vorgelegt worden.
5) Im Archivio Buonarroti zu Florenz, teilweise veröffentlicht von Gotti,
A., Vita di Michelangelo, Bd. I. S. 136.
Richa, Gius., Notizie istoriche delle chiese Fiorentine. Florenz 1757.
Bd. I. »Disegno creduto di Michel Angelo, e da altri di Raffaello«.
6) Justi, C. Michelangelo, Beiträge zur Erklärung der Werke und des Men-
schen. Leipzig 1900. S. 277.
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