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Instytut Historii Sztuki <Posen> [Editor]
Artium Quaestiones — 31.2020

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Varia
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Boesten-Stengel, Albert: Leonardos da Vinci Wende in der "Schlacht bei Anghiari": Poetik und genetische Kritik der zeichnerischen Entwürfe
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324

Albert Boesten-Stengel

punctum temporis18, der sich im stillgestellten Bild allein angemessen ver-
wirkliche, lösen und vielmehr eine friesartige Komposition mit bestimmter
Leserichtung oder eben ein Panorama vorstellen, in dem sich die feindlichen
Heere von den Rändern her aufeinander zu- und wieder fortbewegen.
Leonardo indessen entwarf seine Schlacht bei Anghiari von deren Mitte
her. Nach den eigenhändigen Skizzen und den Kopien fremder Hand zu urtei-
len, galt der Lotta perło stendardo seine vorrangige Aufmerksamkeit. Als nur
dieser Teil im Karton vorbereitet war, begann er mit dessen Ausführung auf
der Wand, sofern alles im Entwurf noch Ausstehende später maßstabgerecht
hinzuzufügen gewesen wäre.* * 28 29 Von irgendeiner Heldentat eines Reiters oder
dem Kampf um eine Standarte ist in dem Versepos und dem Exzerpt nicht
die Rede. Erst Cecil Gould wollte 1954, ohne eine andere als diese Quelle, in
dem durch die Kopien bekannten Reiterkampf zwei Mailänder Reiter links
und zwei Florentiner rechts erkennen.30 Peter Meller ging dann 1977 so weit,
den bei Vasari anonymen alten Soldaten mit dem roten Barett als Niccolò
Piccinino, den Heerführer der Mailänder, und den verdrehten Reiter links als
dessen Sohn Francesco zu identifizieren.31 Martin Kemp erwog in der ersten
Auflage 1981 seiner Leonardo-Monographie immerhin, es könne auch um-
gekehrt gemeint gewesen sein: zwei Mailänder rechts und zwei Florentiner
links. Die Figur des alten Soldaten verkörpere durch die dominante Position
und den heroischen Gestus eher einen Sieger als den Verlierer.32 Gerade die-

G. Boehm und H. Pfotenhauer (Hg.), Beschreibungskunst - Kunstbeschreibung, München
1995, S. 123-155; K. Fittchen, Der Schild des Achilles, Göttingen 1973.
28 Den Augenblick als angemessenen Gegenstand bildlicher Darstellung betont nicht
erstG. E. Lessing, Laokoon..., S. 154: „Die Mahlerey kann in ihren coexistierenden Compo-
sitionen nur einen einzigen Augenblick der Handlung nutzen, und muß daher den prägnan-
testen wählen, aus welchem das Vorhergehende und Folgende am begreiflichsten wird."
29 Claire J. Farago legt plausibel dar, daß Leonardo von der Mitte aus nachträglich alle
Hintergrund- und Nebenszenen nach einem einheitlichen Perspektivsystem passend ver-
größert oder verkleinert in der Bildtiefe hätte ansiedeln können, ohne vorab über einen in
allem detaillierten Entwurf zu verfügen. Vgl. C. J. Farago, „The Battle of Anghiari: A Specu-
lative Reconstruction of Leonardo's Design Process", in: Achademia Leonardi Vinci 1996,
9, S. 73-86.
30 C. Gould, „Leonardo's Great Battle-Piece: A Conjectural Reconstruction", in: The
Art Bulletin \.9SA, 36, S. 117-129: 121.
31 P Meller, „La Battaglia d'Anghiari", in: G. C. Argan [et al.), Leonardo. La pittura,
Firenze 1977, S. 187-194: 189.
32 M. Kemp, Leonardo da Vinci. The Marvellous Works of Nature and Man, Cam-
bridge-London-Toronto 1981; siehe auch M. Kemp, Leonardo da Vinci. Le mirabili oper-
azioni della natura e dell’uomo, ins Italienische übersetzt von E Saba Sardi, Milano 1982,
S. 226-227.
 
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