I. ABENTEUER,
KALOGREANT’S ABENTEUER IM WALDE VON BREZILJAN.
Einst hatte König Artus auf seinem Palast zu Karidol ein großes
Pfingstfest veranstaltet und viele vornehme Ritter und Damen um sich
versammelt. Man vertrieb sich da die Zeit mit mancherlei Kurzweil. Vor
der Kammer, in welche der König mit seiner Gemahlin schlafen gegangen
war, hatten sich auch sechs Ritter zusammengefunden, unter ihnen der
Truchseß Keii und Kalogreant; der letztere hatte eben ein Abenteuer von
sich zu erzählen begonnen, als die Königin davon erwachte und plötzlich
in ihrer Mitte erschien. Die zuvorkommende Höflichkeit Kalogreant’s, der
sie allein hat kommen sehen und zu ehrfurchtsvoller Begrüßung sich von
seinem Sitze erhebt, veranlasst den neidischen Truchseß zu einer spöt-
tischen Zurechtweisung und führt so einen heftigen Wortwechsel zwischen
ihnen und der Königin herbei, sodaß es erst der dringenden Verwendung
der letztem bedarf, um Kalogreant zur Wiederaufnahme seiner Erzählung
zu bringen.
Darauf berichtet er, wie er vor ungefähr zehn Jahren in den Wald
von Breziljan auf Abenteuer geritten sei. Nach einem beschwerlichen
Wege durch den dichten Wald gelangt er zunächst auf eine Burg, wo er
von dem Burgherrn und seiner Tochter auf das gastlichste bewirthet wird.
Am andern Morgen kommt er in eine waldlose Ebene; da bemerkt er mit
Grausen eine große Schaar wilder Thiere, die mit einander kämpfen, mitten
unter ihnen die schreckliche Ungestalt eines Waldmenschen, der über sie
zu gebieten hat. Von diesem wird ihm auf Befragen ein Abenteuer ge-
zeigt; in der Nähe sei ein kühler Brunnen, beschattet von einer immer-
grünen Linde, daneben ein prächtiger Marmorstein, über dem ein goldenes
Becken hänge; damit möge er auf den Stein Wasser aus dem Brunnen
gießen und dann sehen, was sich ereignen werde. Sofort macht sich der
Ritter dorthin auf. Er ist entzückt über di# paradiesische Gegend und
über den wundervollen Vogelgesang, den er dort trifft, und thut alsobald
wie ihm der Waldmann geheißen. Infolge dessen erhebt sich ein furcht-
bares Unwetter mit Donnern und Blitzen und mit Hagelschlag, daß die
Vögel verstummen und die Bäume verderben, ja er selber auf Augenblicke
betäubt wird. Kaum hat sich das Gewitter wieder gelegt, so sprengt im
höchsten Zorne ein gewaltiger Ritter daher, es ist der Herr jenes Waldes,
der den Gast für den ihm angerichteten Schaden zum Zweikampf heraus-
fordert. Kalogreant hat kaum Zeit sich zur Wehre zu setzen, wird aus
1*
KALOGREANT’S ABENTEUER IM WALDE VON BREZILJAN.
Einst hatte König Artus auf seinem Palast zu Karidol ein großes
Pfingstfest veranstaltet und viele vornehme Ritter und Damen um sich
versammelt. Man vertrieb sich da die Zeit mit mancherlei Kurzweil. Vor
der Kammer, in welche der König mit seiner Gemahlin schlafen gegangen
war, hatten sich auch sechs Ritter zusammengefunden, unter ihnen der
Truchseß Keii und Kalogreant; der letztere hatte eben ein Abenteuer von
sich zu erzählen begonnen, als die Königin davon erwachte und plötzlich
in ihrer Mitte erschien. Die zuvorkommende Höflichkeit Kalogreant’s, der
sie allein hat kommen sehen und zu ehrfurchtsvoller Begrüßung sich von
seinem Sitze erhebt, veranlasst den neidischen Truchseß zu einer spöt-
tischen Zurechtweisung und führt so einen heftigen Wortwechsel zwischen
ihnen und der Königin herbei, sodaß es erst der dringenden Verwendung
der letztem bedarf, um Kalogreant zur Wiederaufnahme seiner Erzählung
zu bringen.
Darauf berichtet er, wie er vor ungefähr zehn Jahren in den Wald
von Breziljan auf Abenteuer geritten sei. Nach einem beschwerlichen
Wege durch den dichten Wald gelangt er zunächst auf eine Burg, wo er
von dem Burgherrn und seiner Tochter auf das gastlichste bewirthet wird.
Am andern Morgen kommt er in eine waldlose Ebene; da bemerkt er mit
Grausen eine große Schaar wilder Thiere, die mit einander kämpfen, mitten
unter ihnen die schreckliche Ungestalt eines Waldmenschen, der über sie
zu gebieten hat. Von diesem wird ihm auf Befragen ein Abenteuer ge-
zeigt; in der Nähe sei ein kühler Brunnen, beschattet von einer immer-
grünen Linde, daneben ein prächtiger Marmorstein, über dem ein goldenes
Becken hänge; damit möge er auf den Stein Wasser aus dem Brunnen
gießen und dann sehen, was sich ereignen werde. Sofort macht sich der
Ritter dorthin auf. Er ist entzückt über di# paradiesische Gegend und
über den wundervollen Vogelgesang, den er dort trifft, und thut alsobald
wie ihm der Waldmann geheißen. Infolge dessen erhebt sich ein furcht-
bares Unwetter mit Donnern und Blitzen und mit Hagelschlag, daß die
Vögel verstummen und die Bäume verderben, ja er selber auf Augenblicke
betäubt wird. Kaum hat sich das Gewitter wieder gelegt, so sprengt im
höchsten Zorne ein gewaltiger Ritter daher, es ist der Herr jenes Waldes,
der den Gast für den ihm angerichteten Schaden zum Zweikampf heraus-
fordert. Kalogreant hat kaum Zeit sich zur Wehre zu setzen, wird aus
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