II. ABENTEUER, IWEIN’S SIEG ÜBER ASKALON.
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II. ABENTEUER,
IWEIN’S SIEG ÜBER ASKALON. SEINE GEFANGENSCHAFT
IM FALLTHOR.
Als Kalogreant seine Erzählung beendet hat, erhebt sich Iwein, das
Abenteuer in Breziljan noch einmal zu wagen und seinen Freund und
Verwandten zu rächen. Er lässt sich durch Keii’s Spott nicht irren; und
als Artus, der inzwischen herbeigekommen und von dem Vorgefallenen
gehört hat, feierlich erklärt, daß er in 14 Tagen ebenfalls und zwar mit
all seiner Macht zu dem Brunnen ziehen wolle, begibt er sich heimlich
auf den Weg dahin und sucht ihm zuvorzukommen. Er findet alles so,
wie Kalogreant berichtet hat. Nur ist er glücklicher im Kampfe wider
den Herrn jenes Brunnens, den König Askalon, indem er ihn durch einen
tödtlichen Schlag zur Flucht nöthigt. Darauf eilt er ihm nach bis auf die
Zugbrücke seiner Burg und entgeht dadurch, daß er sich gerade vorwärts
beugt und ihm einen zweiten tödtlichen Hieb versetzt, mit genauer Noth
einem hinter ihm niedergelassenen Fallgatter; durch ein zweites vor ihm
niederschlagendes Fallgatter wird er in das Thor eingesperrt; sein Gegner,
obwohl todt, ist eben noch in den Burghof entkommen. In dieser Noth
naht sich dem Helden die mitleidige Lunete, das Kammerfräulein der Ge-
mahlin des erschlagenen Ritters, und versieht ihn mit einem Zauberring,
dessen unsichtbar machender Stein ihn vor den Nachstellungen der rache-
dürstenden Burgbewohner schützt. Von einem Ruhebette aus erblickt er
hier die um den Tod ihres Gatten wehklagende Laudine. Die Schönheit
dieser Frau fesselt den gefangenen Ritter so sehr, daß er aller Noth ver-
gisst. Lunete hat Mühe ihn abzuhalten, daß er sich jetzt schon ihr zu
erkennen gibt und so in sein Verderben stürzt.
Dö rechente der lierre Iwein
ze künneschaft under in zwein:
er sprach «neve Kalogreant, 805
ez richt von rehte min hant
swaz dir lasters ist geschehen,
ich wil ouch varn den brunnen sehen,
und waz Wunders da si.»
dö sprach aber Keii 810
ein rede diu im wol tohte;
wan er’z niht läzen mohte,
geschach ie man kein vrümekeit,
ez’n wtere im doch von herzen leit:
803—804 künneschaft, Verwandtschaft. — ze künneschaft rechenen, sich
als Verwandte ansehen, verwandt sein; Germania 8, 471. — 806 richt prses.
von rechen stv., rächen. — 81.3 hatte jemand einmal das Glück, daß er
etwas Gutes vollbrachte; gelang einem einmal etwas Tüchtiges. — 814 ez’n
woere im, daß es ihm nicht wäre.
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II. ABENTEUER,
IWEIN’S SIEG ÜBER ASKALON. SEINE GEFANGENSCHAFT
IM FALLTHOR.
Als Kalogreant seine Erzählung beendet hat, erhebt sich Iwein, das
Abenteuer in Breziljan noch einmal zu wagen und seinen Freund und
Verwandten zu rächen. Er lässt sich durch Keii’s Spott nicht irren; und
als Artus, der inzwischen herbeigekommen und von dem Vorgefallenen
gehört hat, feierlich erklärt, daß er in 14 Tagen ebenfalls und zwar mit
all seiner Macht zu dem Brunnen ziehen wolle, begibt er sich heimlich
auf den Weg dahin und sucht ihm zuvorzukommen. Er findet alles so,
wie Kalogreant berichtet hat. Nur ist er glücklicher im Kampfe wider
den Herrn jenes Brunnens, den König Askalon, indem er ihn durch einen
tödtlichen Schlag zur Flucht nöthigt. Darauf eilt er ihm nach bis auf die
Zugbrücke seiner Burg und entgeht dadurch, daß er sich gerade vorwärts
beugt und ihm einen zweiten tödtlichen Hieb versetzt, mit genauer Noth
einem hinter ihm niedergelassenen Fallgatter; durch ein zweites vor ihm
niederschlagendes Fallgatter wird er in das Thor eingesperrt; sein Gegner,
obwohl todt, ist eben noch in den Burghof entkommen. In dieser Noth
naht sich dem Helden die mitleidige Lunete, das Kammerfräulein der Ge-
mahlin des erschlagenen Ritters, und versieht ihn mit einem Zauberring,
dessen unsichtbar machender Stein ihn vor den Nachstellungen der rache-
dürstenden Burgbewohner schützt. Von einem Ruhebette aus erblickt er
hier die um den Tod ihres Gatten wehklagende Laudine. Die Schönheit
dieser Frau fesselt den gefangenen Ritter so sehr, daß er aller Noth ver-
gisst. Lunete hat Mühe ihn abzuhalten, daß er sich jetzt schon ihr zu
erkennen gibt und so in sein Verderben stürzt.
Dö rechente der lierre Iwein
ze künneschaft under in zwein:
er sprach «neve Kalogreant, 805
ez richt von rehte min hant
swaz dir lasters ist geschehen,
ich wil ouch varn den brunnen sehen,
und waz Wunders da si.»
dö sprach aber Keii 810
ein rede diu im wol tohte;
wan er’z niht läzen mohte,
geschach ie man kein vrümekeit,
ez’n wtere im doch von herzen leit:
803—804 künneschaft, Verwandtschaft. — ze künneschaft rechenen, sich
als Verwandte ansehen, verwandt sein; Germania 8, 471. — 806 richt prses.
von rechen stv., rächen. — 81.3 hatte jemand einmal das Glück, daß er
etwas Gutes vollbrachte; gelang einem einmal etwas Tüchtiges. — 814 ez’n
woere im, daß es ihm nicht wäre.