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hinter dem Engel, der in der Stiftertafel die Säule und das kleine Dachstück einer Portalumrahmung ent-
sprechen, sind das einzige, was eine Verbindung zwischen Bild und Bild andeutet, eine Verbindung, die
zudem noch eine rein motivische und ganz und gar nicht formwirksam ist.
Die Louvreverkündigung ist nicht nur wie die Northbrookmadonna und der hl. Georg durch stili-
stische, sondern auch durch gehaltliche Übereinstimmungen mit der Kunst Jan van Eycks eng verbunden,
besonders mit seinem Londoner Doppelbildnis des Ehepaars Arnolfini von 1434. Lange nach diesem ist
wohl auch Bogiers Bild kaum entstanden. Es kann kein Zufall sein, daß auf der Pariser Tafel wie auf dem
Eyckbilde in ganz ähnlicher Weise der vom oberen Bildrande in der Mitte herabhängende schimmernde
Metallkronleuchter begegnet und auf der rechten Bildseite die rote Bettstatt mit dem bis dicht unter die
Decke reichenden Himmel.
Wie stark diese Innenraumdarstellung von der Kunst Jans abhängig ist, erweist sich vor allem, wenn
man Rogiers Verkündigungstafel mit der fast ein Jahrzehnt älteren seines Lehrers Campin, der Mittel-
tafel des Merodealtares (Abb. 5), vergleicht. Dort ist ein steinern kalter, allzu jäh perspektivisch sich ver-
kürzender Raum gegeben, ohne Atmosphäre, ohne klare Lichtführung, trotz des scharf einfallenden Son-
nenlichtes, welches entschiedene, sogar doppelschichtige Schlagschatten wirft. Was dafür ganz fehlt, sind
die in eyckischen Raumbildern, auch in der Verkündigungsdarstellung des Genter Altars, begegnenden
Raumschatten. Diese Schatten binden die Wände weich an den Fußboden und an die hölzerne Decke,
mit denen die Raumwände der Campinverkündigung unvermittelt hart aneinanderstoßen. Wenn im
Gegensätze dazu der rechte Merodeflügel mit der Werkstatt des hl. Joseph und auch die wohl etwas jüngere
Londoner Saltingmadonna bereits einiges von diesem neuen Raumschatten haben25—wohl schon unter dem
Einfluß von Bildern Jans—, so zeigen doch auch diese Tafeln Gestalten und Dinge in jener raumabwehrenden
plastischen Undurchdringlichkeit, die für den Stil Campins so eigentümlich ist. Licht und Schatten und
auch gewisse Reflexlichter wollen im Grunde nur modellierend und formabgrenzend wirken. In Rogiers
Bild hingegen — und das ist in einem tieferen Sinne eyckisch — gibt es wieder so etwas wie Atmosphäre,
indem Licht und Schatten hinter die plastischen Oberflächen tiefer eindringen und sich in alle möglichen
Winkel einnisten. Besonders deutlich wird dies, wenn man etwa das Buch in der Linken der Maria des
Louvrebildes (Abb. 22) mit den von Campin gemalten Büchern vergleicht, etwa auch dem der lesenden
hl. Barbara des Madrider Werlaltarflügels von 1438 (Abb. 9). Welch ein feines bewegliches Leben gewin-
nen durch ihr Hineingetauchtsein in diese Atmosphäre der Lichter und Schatten bei Rogier nicht zu-
letzt auch die Hände! Bis in die Bewegung der einzelnen Finger sind sie jetzt, wo bei Campin alles ins
Materielle gebannt blieb, zart und durchgeistigt.
Dies ist eyckisch, und eyckisch ist es auch, wie das Licht an metallenem Gerät, einem Kronleuchter,
einer Kanne z. B., vor dunkler Hintergrundfläche kleinodhaft auf blitzt und das Lichtschattenspiel des
Gesamtraumes gleichsam konzentriert in sich sammelt. Rein thematisch kennt auch Campin dergleichen,
besonders in den späten Madrider Werlaltarflügeln. Bei ihm jedoch sind es singuläre, mitkeinem allgemeinen
Lichtschattenleben des Raumes verbundene Motive. Man hat beobachtet, daß in dem Barbarabild in
Madrid (Abb. 9) die gleiche Kanne wie in der Louvreverkündigung dargestellt ist; aber sie steht in
einem ganz anderen Lichte, nicht vor einer dunklen, sondern einer helleren Wand, auf die sie — wieder
sucht sich der ältere Meister gerade darin hervorzutun — ihren Schlagschatten wirft.
Wie sehr die Louvreverkündigung bei allen Unterschieden dennoch in der Tradition von Campins
Merodeverkündigung steht, zeigen nicht nur äußere Motive, die in beiden Bildern sich finden, wie die
Ofenbank vor dem Kamin an der sich verkürzenden Seitenwand oder am Sturz des Kamins der seinen
Schlagschatten werfende Wandleuchter mit seinem geschmiedeten Maßwerk. Vor allem zeigt es die Haltung
 
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