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wie die Gestaltenkomposition insgesamt räumlich sich schichtet. Was in ihr vorne oder hinten, vor oder
hinter dem anderen ist, ist nicht belanglos. Im Gegenteil, man möchte fast annehmen, daß Rogier es
darauf angelegt hat, gerade in diesem scheinbar so raumlosen Bilde, zu zeigen, wie sehr es möglich ist,
ohne architektonische oder landschaftliche Umgebungsmotive bereits mit den Gestalten als solchen den Raum
zu erbauen. Ansätze zu einer solchen räumlichen Gestaltengruppierung waren schon in einigen seiner
älteren Werke begegnet, zumal in den Bildern und nicht zuletzt auch in den als steinerne Skulpturen
gemalten Archivoltengruppen des Marienaltars (Abb. 33). In der Kreuzabnahme jedoch ist nun alles, was
dort nur Ansatz geblieben, zu innerer Vollendung gelangt. In ihr, die allein darum schon kein eigentliches
Frühwerk mehr sein kann, zeigt sich des Meisters neuartige Kunst der Gestalten- und Gestaltenraum-
komposition in ihrer höchsten Meisterlichkeit.
Dem Vordergrundhaften Charakter der Komposition entsprechend sind die Farben in diesem Bilde,
in äußerstem Gegensätze zu der Farbigkeit in Jan van Eycks Einzeltafeln, in engstem Anschluß dagegen
an die der großen Einzelfigurenbilder Campins in Frankfurt, gleichmäßig durchlichtet. Es gibt nirgends
größere Massen von dichtem Schatten. Die meisten Farben sind hell und in großen Flächen verteilt, nur
vereinzelt, namentlich an der mächtigen Gestalt des die Beine Christi tragenden Nikodemus, begegnen
farbig gemusterte oder tiefdunkle Gewänder und Gewandteile. Für den bleichen Leichnam Christi ist
Folie das pelzverbrämte Schwarz des Joseph von Arimathia über leuchtend karminrotem Untergewande.
Während hier in der Bildmitte die Farbenvielfalt ins Kleine gebrochen ist, herrschen im linken Bildteil
die größeren Flächen. Von stärkster Ausdruckskraft sind die bleichen Weißtöne um das Antlitz der ohn-
mächtig niedergesunkenen Maria in Verbindung mit dem kalten Blau ihres Kleides, in wirksamen Kon-
trasten umstellt von dem aktiven Rot des Johannes und dem Olivgrün der von hinten her stützenden Frau.
Im rechten Bildteil gibt es nur vereinzelt kräftige Töne wie das Rot der Ärmel der Magdalena. Das Grau
und das Lila ihrer Gewandung sind hier neben dem großen bräunlich und karmin durchsetzten Brokat-
stoff des Nikodemus die dominierenden Farben. Entscheidend ist jedoch nicht der farbige, sondern der
figürlich-plastische, im wesentlichen linear bestimmte Gehalt der in den großen übergreifenden Kurven-
zusammenhängen, bei aller kleinteiligen Gebrochenheit im einzelnen, immer spannungsreich-ausdrucks-
voll durchgebildeten Formen.
Man wird beim nachempfindenden Ablesen dieser Komposition auf die großen überfigürlichen Ver-
flechtungen und Entsprechungen achten müssen, etwa darauf, wie die mit gebogenen Knien vorgebeug-
ten Randgestalten des Johannes links und der Magdalena ganz rechts das Ganze des Gestaltenraumes
rahmend umfassen. Von dem weitausschreitend herbeieilenden Johannes und seiner Nachbarin Maria
Salome fließt die Bewegung in die Gestalt der von der jüngeren der Frauen gehaltenen Maria, die, ohn-
mächtig zusammengesunken halb am Boden liegend, in ihrer Passivität und auch räumlich-richtungsmäßig
mit dem herabgesunkenen rechten Arm der Gestalt des vom Kreuze genommenen Leichnams zugeordnet
erscheint. Mit dem Leichnam setzt ein neues Bewegungsmotiv ein, das bis zu den Figuren der rechten
Bildhälfte, die es aufnehmen und wieder zurückleiten, fortgeführt wird. Für dieses eigentliche Haupt-
motiv der Komposition stellt, wenn wir das Bild von links nach rechts ablesen, das andere der Gestalten
um Maria gleichsam die Introduktion dar.
Allen Motiven begegnen Gegenmotive. Wo etwa ein Antlitz nach links geneigt ist, wird immer auch
ein nach rechts geneigtes nahe dabei sein. Räumliche Überschneidungen spielen im Bildaufbau eine
bedeutsame Rolle. Nur die Hälfte der zehn Gestalten tritt wesentlich in voller Figur in Erscheinung.
Überschnitten ist auch das dunkel in der Mittelachse des Bildes stehende, maßstäblich unverhältnismäßig
klein gehaltene Kreuz mit der Leiter, die von rückwärts her daran angelehnt ist. Vollends durch Über-

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