Die Clugnyverkündigung ist noch ein starres, die neuen Möglichkeiten wenig nützendes Werk. Von
sehr viel höherem Range ist Rogiers späteste Verkündigungstafel auf dem linken Flügel des den Staats-
sammlungen in München gehörenden Columbaaltares (Abb. 102). Erst in ihr ist die klassische, endgültige
Lösung des Themas gefunden. Der Altar als Ganzes, in den Maßen größer als der Bladelinaltar, stammt
aus der Kölner Kirche St. Columba, die man 1456 zu erweitern begann. Der Stifter des Werkes ist wahr-
scheinlich der 1489 verstorbene Goedart von dem Wasserfaß gewesen, der von 1437—1462 Bürgermeister
von Köln war und von dem wir wissen, daß er eine neue Kapelle von St. Columba gebaut hat. Der Altar
stand bis nach 1800 in der Wasserfaßschen Familienkapelle, die auch als Taufkapelle der Kirche gedient
hat59. Daß das Werk sich schon im 15. Jahrhundert in Köln befand, ist sehr wahrscheinlich, da seine Ein-
wirkung auf Werke damaliger kölnischer Meister wie der Meister der Lyversbergischen Passion, des
Marienlebens und der Hl. Sippe nachweisbar ist. Gänzlich abwegig ist die Annahme, wie der Bladelin-,
so habe auch der Columbaaltar mit dem flandrischen Middelburg und Peter Bladelin zu tun. Zu dieser
Vermutung war man gekommen, weil in den Mittelstücken der beiden Altäre der gleiche Turm dar-
gestellt ist. Dieser Turm jedoch, der romanische Fenster zeigt, hat in dem ja eben erst zuvor gegründeten,
also spätgotischen Middelburg, wohl nie existiert. Zudem erscheint er das eine und das aridere Mal in ver-
schiedener Umgebung, auf verschiedenen Seiten der in beiden Bildern vom Stadteingange her gesehenen
Straße. Mit Sicherheit kann deshalb geschlossen werden, daß es Rogier ganz fern lag, eine bestimmte
Stadt porträtieren zu wollen, auch in seinen anderen Werken hat er dies, soviel wir sehen, niemals getan.
Schließlich ist auch der Stifter, der hinter der Gestalt des Joseph im Mittelbilde kniet, ein anderer, kein
herzoglicher Hofbeamter wie Bladelin, sondern ein Bürger. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts erwarben
die Brüder Boisseree »den großen Eyck«, wie der Altar bei den Romantikern hieß, und schon 1808 ließen
sie ihn, wohl allzu ausgiebig, restaurieren. Der Columbaaltar ist daher keineswegs so vorzüglich erhalten
wie der Bladelinaltar.
Zwei schmale Flügel mit der Verkündigung und der Darstellung im Tempel fassen das Hauptbild mit
der Anbetung der Könige ein. Links und rechts Innenraumdarstellungen, und zwar solche, in denen, wie
schon im Berliner Johannesaltar, die dem Auge sichtbaren Außenwände an den Außenrändern perspek-
tivisch nach innen zu fluchten, freilich, wie immer bei Rogier, auch hier wieder ohne exakte perspek-
tivische Konstruktion. Der Blick wird gegen die Altarmitte hin raumeinwärts gelenkt, wobei in dem
linken Flügel die Verkürzungen entschiedener sind als im rechten. Dem entspricht, daß auch im Mittel-
bilde das perspektivische Zentrum der Darstellung aus der geometrischen Mitte der Fläche nach links
— es liegt in Horizonthöhe über dem Scheitel Marias — verschoben erscheint.
Rogier hat kein zweites Werk geschaffen, in dem Gestalten und Raum auf großer Fläche so bedeutend
Zusammenwirken und in dem, wenn wir von streng symmetrischen Darstellungen wie der des Beauner
Gerichts absehen, von der Mittelgestalt eine so weitreichende und beherrschende Wirkung ausgeht. Wie
sehr es der Meister jetzt gelernt hat, Gestalten und Raum in einem zu sehen und aufeinander abzustim-
men, wird vor allem bei einem Vergleich des Münchener Verkündigungsbildes nicht nur mit der frühen
Pariser Verkündigung (Abb. 21), sondern auch mit der nur wenige Jahre zuvor entstandenen in New
York offenbar. Von heutigen Betrachtern, denen man die Frage vorlegen würde, welches der drei Bilder
das künstlerisch wertvollste sei, würden die meisten wahrscheinlich das Frühwerk im Louvre nennen.
Es ist das im eigentlichen Sinne malerischeste der drei, es hat den Spätbildern gegenüber, wie gesagt wer-
den konnte, die »wärmere Temperatur«. Jedoch ist es auch das unausgeglichenste Werk, seine Reize sind
die des frischen, jugendlichen Beginns. Den Wert der in sich vollendeten Schöpfung hat erst der Flügel
des Columbaaltars.
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sehr viel höherem Range ist Rogiers späteste Verkündigungstafel auf dem linken Flügel des den Staats-
sammlungen in München gehörenden Columbaaltares (Abb. 102). Erst in ihr ist die klassische, endgültige
Lösung des Themas gefunden. Der Altar als Ganzes, in den Maßen größer als der Bladelinaltar, stammt
aus der Kölner Kirche St. Columba, die man 1456 zu erweitern begann. Der Stifter des Werkes ist wahr-
scheinlich der 1489 verstorbene Goedart von dem Wasserfaß gewesen, der von 1437—1462 Bürgermeister
von Köln war und von dem wir wissen, daß er eine neue Kapelle von St. Columba gebaut hat. Der Altar
stand bis nach 1800 in der Wasserfaßschen Familienkapelle, die auch als Taufkapelle der Kirche gedient
hat59. Daß das Werk sich schon im 15. Jahrhundert in Köln befand, ist sehr wahrscheinlich, da seine Ein-
wirkung auf Werke damaliger kölnischer Meister wie der Meister der Lyversbergischen Passion, des
Marienlebens und der Hl. Sippe nachweisbar ist. Gänzlich abwegig ist die Annahme, wie der Bladelin-,
so habe auch der Columbaaltar mit dem flandrischen Middelburg und Peter Bladelin zu tun. Zu dieser
Vermutung war man gekommen, weil in den Mittelstücken der beiden Altäre der gleiche Turm dar-
gestellt ist. Dieser Turm jedoch, der romanische Fenster zeigt, hat in dem ja eben erst zuvor gegründeten,
also spätgotischen Middelburg, wohl nie existiert. Zudem erscheint er das eine und das aridere Mal in ver-
schiedener Umgebung, auf verschiedenen Seiten der in beiden Bildern vom Stadteingange her gesehenen
Straße. Mit Sicherheit kann deshalb geschlossen werden, daß es Rogier ganz fern lag, eine bestimmte
Stadt porträtieren zu wollen, auch in seinen anderen Werken hat er dies, soviel wir sehen, niemals getan.
Schließlich ist auch der Stifter, der hinter der Gestalt des Joseph im Mittelbilde kniet, ein anderer, kein
herzoglicher Hofbeamter wie Bladelin, sondern ein Bürger. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts erwarben
die Brüder Boisseree »den großen Eyck«, wie der Altar bei den Romantikern hieß, und schon 1808 ließen
sie ihn, wohl allzu ausgiebig, restaurieren. Der Columbaaltar ist daher keineswegs so vorzüglich erhalten
wie der Bladelinaltar.
Zwei schmale Flügel mit der Verkündigung und der Darstellung im Tempel fassen das Hauptbild mit
der Anbetung der Könige ein. Links und rechts Innenraumdarstellungen, und zwar solche, in denen, wie
schon im Berliner Johannesaltar, die dem Auge sichtbaren Außenwände an den Außenrändern perspek-
tivisch nach innen zu fluchten, freilich, wie immer bei Rogier, auch hier wieder ohne exakte perspek-
tivische Konstruktion. Der Blick wird gegen die Altarmitte hin raumeinwärts gelenkt, wobei in dem
linken Flügel die Verkürzungen entschiedener sind als im rechten. Dem entspricht, daß auch im Mittel-
bilde das perspektivische Zentrum der Darstellung aus der geometrischen Mitte der Fläche nach links
— es liegt in Horizonthöhe über dem Scheitel Marias — verschoben erscheint.
Rogier hat kein zweites Werk geschaffen, in dem Gestalten und Raum auf großer Fläche so bedeutend
Zusammenwirken und in dem, wenn wir von streng symmetrischen Darstellungen wie der des Beauner
Gerichts absehen, von der Mittelgestalt eine so weitreichende und beherrschende Wirkung ausgeht. Wie
sehr es der Meister jetzt gelernt hat, Gestalten und Raum in einem zu sehen und aufeinander abzustim-
men, wird vor allem bei einem Vergleich des Münchener Verkündigungsbildes nicht nur mit der frühen
Pariser Verkündigung (Abb. 21), sondern auch mit der nur wenige Jahre zuvor entstandenen in New
York offenbar. Von heutigen Betrachtern, denen man die Frage vorlegen würde, welches der drei Bilder
das künstlerisch wertvollste sei, würden die meisten wahrscheinlich das Frühwerk im Louvre nennen.
Es ist das im eigentlichen Sinne malerischeste der drei, es hat den Spätbildern gegenüber, wie gesagt wer-
den konnte, die »wärmere Temperatur«. Jedoch ist es auch das unausgeglichenste Werk, seine Reize sind
die des frischen, jugendlichen Beginns. Den Wert der in sich vollendeten Schöpfung hat erst der Flügel
des Columbaaltars.
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