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DIE WIENER GOBELIN-
SAMMLUNG
HERMANN SCHMITZ1
u den bedeutsamsten künstlerischen Veranstaltungen der Jahre nach
dem Kriege gehört zweifellos die Ausstellung der ehemalig kaiserlichen
Gobelinsammlung in dem oberen Belvedere in Wien, die in zwei Ab-
schnitten in den Jahren 1920 und 1921 stattfand. Durch die Darbietung dieser,
neben der königlich spanischen großartigsten Sammlung von Bildteppichen
wurde zum erstenmal weiteren Kreisen von Kunstfreunden ein vollkommener
Begriff von dem Können und dem Umfang der europäischen Bildwirkerkunst
in den Jahrhunderten ihrer höchsten Blüte übermittelt. Selbst auf die Kenner
der Gobelin Wirkerei mußte diese stattliche Vereinigung in voller Farben-
pracht erhaltener gold- und seidedurchwirkter monumentaler Textilgemälde
überwältigend wirken. Handelt es sich doch hier fast durchgängig um Aus-
führungen von seltener Qualität, die teilweise von den ersten Fabrikanten im
Auftrage des Kaiserhauses oder der österreichischen Statthalter in Belgien
gearbeitet wurden. Vor dieser in den ehemaligen Prunksälen des Prinzen
Eugen ausgebreiteten, nicht enden wollenden Folge riesenhafter Wandbehänge
von größter Kostbarkeit enthüllte sich dem geistigen Auge der Besucher
noch einmal die welthistorische Bedeutung, der Glanz und die Macht des
Hauses Habsburg im Augenblicke, da die ehrwürdige Monarchie eben von
dem Schauplatz der Weltgeschichte abgetreten war. Neben der künstlerischen
und technischen Vollendung wirkte die geistige Kraft nicht minder über-
raschend, die sich in der überzeugenden Schilderung all dieser in der
Tafelmalerei so ungewöhnlichen biblischen, mythologischen und geschicht-
lichen Darstellungen betätigte.
Nur ein kleiner Teil der ehemals kaiserlichen Gobelins war in den Ge-
mächern der Wiener Hofburg und des Schlosses Schönbrunn der Öffentlich-
keit und der Forschung zugänglich gewesen. Die überwiegende Menge des
über 900 Stück zählenden Bestandes wurde in dem Depot von Schönbrunn
bewahrt und konnte nur bei seltenen Anlässen und mit großen Schwierig-
keiten flüchtig gesehen werden. In dem Jahrbuch des Allerhöchsten Kaiser-
hauses hatte Birk in den Jahrgängen 1883 bis 1885 ein kurzes Verzeichnis
der Teppiche mit Mitteilung der Marken und Beifügung einer Auswahl von
Lichtdrucken geliefert. Anläßlich der Ausstellung erschienen zwei ausführliche
kritische Kataloge, bearbeitet von Ludwig von Baldaß und eingeleitet von
Hermann Trenkwald, herausgegeben durch die staatliche Lichtbildstelle in

1 Über die Wiener Gobelinsammlung wird im „Belvedere“ eine Reihe von Aufsätzen veröffentlicht, denen 44
zum Teil farbige Abbildungstafeln beigegeben werden. Aus technischen Gründen müssen diese nach zeitlicher
Folge geordneten Tafeln auf mehrere Hefte verteilt werden.



Belvedere II/4

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