ZUR KOMPOSITION DER MALEREIEN IM GRAB-
MAL DES WESIRS RECHMIRE
VON HEINRICH BALCZ
W enn ägyptische Figurendarstellungen im Relief oder in der Malerei betrachtet werden,
so liegt meist das Hauptgewicht auf der Analyse der einzelnen Figur. Ganz begreiflich,
da ihre Wiedergabe von der uns geläufigen denkbar weit entfernt ist und daher den
Geist des Forschers am meisten anregt, über den Grund solch verschiedener Auffassungs-
weise nachzudenken1. Nur nebenher geschieht es, daß man, vom Bildganzen ausgehend,
auf die Komposition achtet. Hat dem ägyptischen Künstler die gegebene Fläche etwas
bedeutet oder hat er seine Bilder ohne Rücksicht auf Gestalt, Größe und Lage des zur
Verfügung stehenden Raumes aufgebaut? Ist es zu einer Bindung zwischen auszu-
malender Architektur und einzugliederndem Gemälde gekommen?2.
Ganz allgemein gilt, daß die ägyptischen Künstler die Darstellungsfläche in wagrechte
Streifen zerlegten: innerhalb derselben bewegte sich die Handlung seitlich in der Bild-
fläche. Diese bekannten Tatsachen bilden die Grundzüge des Bildaufbaues. Sie sind
aber nur der Nährboden, aus dein erst die Fülle von Kompositionslösungen erblüht.
Wir wollen im folgenden eine derselben verfolgen, die sich im Anschluß an eine Auf-
gabe ergab, wie sie sonst der altägyptischen Wandmalerei nicht gestellt wurde. Es
handelt sich um den Bildschmuck im Längsraum des Grabmals für den Wesir Rechmire
in Schech abd el Gurna3. Seine Decke steigt nämlich vom Eingang gegen die Rück-
front in einem Winkel von ungefähr 12 Grad an, während der Boden wagrecht ver-
läuft. So kommt es, daß die beiden Längswände nicht Rechtecke sind, wie gewöhnlich,
sondern trapezförmige Flächen der Bemalung darbieten. Der Künstler hat sich dieser
Gegebenheit vollkommen eingepaßt und auch die Schräge in die Felder mit figuraler
Darstellung einbezogen. Es ist das durchaus nicht so selbstverständlich, wie man auf
den ersten Blick meinen sollte. Man könnte ebensogut erwarten, daß die Darstellung
oben ein horizontales Ende hätte finden können und das nun freibleibende Dreieck
ornamental ausgefüllt worden wäre4. Durch die vollkommen einheitliche Behandlung
1 Ich möchte hier besonders der tiefgreifenden Untersuchungen Heinrich Schäfers gedenken, deren Resultat er
in dem Werk „Von ägyptischer Kunst usw.“ veröffentlicht hat. 2 In dieser Richtung liegen interessante Be-
merkungen in der „Geschichte der Kunst in Ägypten“ von Maspero-Rusch, S. 52 ff., vor. 5 Das genannte
Grab ist eine der vielen, in den Osthang der Berge der thebanischen Westseite gehauenen Anlagen. Der Tote
war eine der einflußreichsten und angesehensten Persönlichkeiten unter den Königen Thutmosis III. und Ameno-
phis II. (um 1450 vor Christo). Wichtigste Literatur: Philippe Virey, Mein. d. 1. Mission arch., tom. V., Cairo
1894; Percy E. Newberry, The life of Rekhmara, Westminster 1900; Walter Wreszinski, Atlas zur altägypti-
schen Kulturgeschichte, Tafeln 5, 5, 10, 89, 90, 510 bis 358. Zu den Inschriften: Alan H. Gardiner, The
installation of a Vizier, Rec. de Trav. XVI, pag. 1 ff., Paris 1904 und Ä. Z. Bd. 60 vom gleichen Autor.
4 Ornamente als oberer Abschluß der Malereien sind ja bekannt. So sind zum Beispiel oftmals die Segment-
felder an den Stirnwänden von gewölbten Gräbern gefüllt. Siehe etwa das Grab des Chnumhotep in Beni-
Hasan, Capart, L’art Egypt., pl. 47.
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MAL DES WESIRS RECHMIRE
VON HEINRICH BALCZ
W enn ägyptische Figurendarstellungen im Relief oder in der Malerei betrachtet werden,
so liegt meist das Hauptgewicht auf der Analyse der einzelnen Figur. Ganz begreiflich,
da ihre Wiedergabe von der uns geläufigen denkbar weit entfernt ist und daher den
Geist des Forschers am meisten anregt, über den Grund solch verschiedener Auffassungs-
weise nachzudenken1. Nur nebenher geschieht es, daß man, vom Bildganzen ausgehend,
auf die Komposition achtet. Hat dem ägyptischen Künstler die gegebene Fläche etwas
bedeutet oder hat er seine Bilder ohne Rücksicht auf Gestalt, Größe und Lage des zur
Verfügung stehenden Raumes aufgebaut? Ist es zu einer Bindung zwischen auszu-
malender Architektur und einzugliederndem Gemälde gekommen?2.
Ganz allgemein gilt, daß die ägyptischen Künstler die Darstellungsfläche in wagrechte
Streifen zerlegten: innerhalb derselben bewegte sich die Handlung seitlich in der Bild-
fläche. Diese bekannten Tatsachen bilden die Grundzüge des Bildaufbaues. Sie sind
aber nur der Nährboden, aus dein erst die Fülle von Kompositionslösungen erblüht.
Wir wollen im folgenden eine derselben verfolgen, die sich im Anschluß an eine Auf-
gabe ergab, wie sie sonst der altägyptischen Wandmalerei nicht gestellt wurde. Es
handelt sich um den Bildschmuck im Längsraum des Grabmals für den Wesir Rechmire
in Schech abd el Gurna3. Seine Decke steigt nämlich vom Eingang gegen die Rück-
front in einem Winkel von ungefähr 12 Grad an, während der Boden wagrecht ver-
läuft. So kommt es, daß die beiden Längswände nicht Rechtecke sind, wie gewöhnlich,
sondern trapezförmige Flächen der Bemalung darbieten. Der Künstler hat sich dieser
Gegebenheit vollkommen eingepaßt und auch die Schräge in die Felder mit figuraler
Darstellung einbezogen. Es ist das durchaus nicht so selbstverständlich, wie man auf
den ersten Blick meinen sollte. Man könnte ebensogut erwarten, daß die Darstellung
oben ein horizontales Ende hätte finden können und das nun freibleibende Dreieck
ornamental ausgefüllt worden wäre4. Durch die vollkommen einheitliche Behandlung
1 Ich möchte hier besonders der tiefgreifenden Untersuchungen Heinrich Schäfers gedenken, deren Resultat er
in dem Werk „Von ägyptischer Kunst usw.“ veröffentlicht hat. 2 In dieser Richtung liegen interessante Be-
merkungen in der „Geschichte der Kunst in Ägypten“ von Maspero-Rusch, S. 52 ff., vor. 5 Das genannte
Grab ist eine der vielen, in den Osthang der Berge der thebanischen Westseite gehauenen Anlagen. Der Tote
war eine der einflußreichsten und angesehensten Persönlichkeiten unter den Königen Thutmosis III. und Ameno-
phis II. (um 1450 vor Christo). Wichtigste Literatur: Philippe Virey, Mein. d. 1. Mission arch., tom. V., Cairo
1894; Percy E. Newberry, The life of Rekhmara, Westminster 1900; Walter Wreszinski, Atlas zur altägypti-
schen Kulturgeschichte, Tafeln 5, 5, 10, 89, 90, 510 bis 358. Zu den Inschriften: Alan H. Gardiner, The
installation of a Vizier, Rec. de Trav. XVI, pag. 1 ff., Paris 1904 und Ä. Z. Bd. 60 vom gleichen Autor.
4 Ornamente als oberer Abschluß der Malereien sind ja bekannt. So sind zum Beispiel oftmals die Segment-
felder an den Stirnwänden von gewölbten Gräbern gefüllt. Siehe etwa das Grab des Chnumhotep in Beni-
Hasan, Capart, L’art Egypt., pl. 47.
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