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Benndorf, Otto
Die Metopen von Selinunt: mit Untersuchungen über die Geschichte, die Topographie und die Tempel von Selinunt — Berlin, 1873

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https://doi.org/10.11588/diglit.1109#0067
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setzen. Wie in der Sprache die parataktische Ordnung der syntaktischen zeitlich voraufgeht, so
gelangt die Kunst nur allmälich und spät zu einer Gliederung ihrer Fülle, in welcher durchherrschende
Gedanken sich offenbaren.

VIII

Das grösste Interesse der selinuntischen Bildwerke beruht in ihrem Stil. Ich hoffe nicht
mich dem Anschein einer Ueberschätzung ihrer Bedeutung auszusetzen, sondern glaube lediglich einer
versäumten Pflicht nachzukommen, wenn ich im Folgenden die Abstufungen ihres Stils schärfer zu
bestimmen und seine Eigenthümlichkeiten eingehender als bei minder wichtigen Werken schicklich
wäre, zu erörtern versuche.

Die ältesten Stücke geben zunächst den Eindruck einer auf der Gränze des Erträglichen
liegenden Unvollkommenheil, welche für den fremd Herantretenden die Möglichkeit ernsthafter Be-
trachtung ausschliesst und mit griechischer Kunst nichts gemein zu haben scheint. Indessen
führt jede vergleichende Prüfung der gegenwärtig vorliegenden Fülle altgriechischer Monumente
jenen Eindruck rasch auf eine Vereinigung von Eigenschaften zurück, welche an allen alterthüm-
lichen Sculpturen sich wiederfinden und hier nur in ungewohnter Steigerung auftreten. Wohl sind
alle Hauptglieder der Figuren in ihrem allgemeinen Charakter erkennbar geformt, und überall wo
eine hervortretende Absonderung von Theilen die Auffassung erleichtert, wie am Knie welches die
älteste Kunst überhaupt mit besonderer Vorliebe studirt, ist eine bestimmtere Nachbildung nicht
unversucht geblieben. Aber die Beobachtung ist überall oberflächlich und über die kindliche Fähig-
keit zu unterscheiden noch kaum erhoben. Schwieriger zu theilende Partien, wie Brust und Leib,
stehen als unförmliche Massen da. Das Haar ist willkürlicher als anderwärts wie Ornament be-
handelt, oder wie bei dem Bart auf Tafel IV der einer um die Backen gelegten Binde gleicht,
der Malerei ganz überlassen. Die nackten Formen stehen ohne Verbindung, äusserlich zusammen-
gesetzt und gleichbetont, in vielfältigem Einerlei nebeneinander, so dass die Körper in unnatürlich
strotzender Fülle und seltsam angestrengt erscheinen. Es fehlen alle mehr als Mos attributiven
Unterschiede des Geschlechts und Alters; namentlich ist die Gesichtsbildung widerlich gleichmässig:
die Lippenspalte in gerader Linie breit gezogen, die Nase von ungestaltet- Grösse, die Augen in
schiefer Stellung bis zur Reliefhöhe des Stirnknochens vortretend, der Augapfel nicht hinter den
Lidern zurückliegend, sondern gleichsam hervorgequollen und mit diesen eine für Malerei bestimmte
glatte Fläche bildend. So wenig als das Gesicht Typus, hat die Gestalt Proportion. Der Körper-
bau ist mit schwankender Unsicherheit bald schlanker bald gedrungener aufgefasst; einzelne Theile,
so das rechte Bein der Medusa, sind nach jeweiligem Bedürfniss verlängert, während andere zu
kurz kommen. Diese Inconsequenz aller Bildungen und die unentbehrliche Aushilfe der Malerei an
den plastisch schwierigsten Partien bezeichnet sprechend die aufgewandte Mühe einer verständ-
lichen Form Uberhaupt erst habhaft zu werden.

Wie sich in der Kunst der Thierleib immer früher entwickelt als die menschliche Gestalt,
so zeigen die Pferde der Centralmetope auf Tafel III eine grössere Geschicklichkeit und in den
Köpfen sogar ein gewisses Leben, ohne dass man an Verfertigung in späterer Zeit oder durch
andere Hand denken dürfte. Dagegen tritt die Gorgonenmaske als ein ausgeprägter Typus eigen-
artig vor allem Uebrigen heraus. Hier sind die Umrisse des Gesichts, von Mund und Nase, mit
Präcision geführt, die Backen modellirt, Ohren und Augen ausführlicher behandelt; die Lider und
 
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