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Benndorf, Otto
Die Metopen von Selinunt: mit Untersuchungen über die Geschichte, die Topographie und die Tempel von Selinunt — Berlin, 1873

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https://doi.org/10.11588/diglit.1109#0024
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20

V

Den Reichthum der Selinuntier, von welchem die Schriftsteller reden, kann man in den
Grundrissen ihrer Tempel lesen. Es bedürfte einer ausdrücklichen Ueberlieferung des Thukydides1)
nicht, um zu erkennen, dass mit Ausnahme des kleinen Tempels B ihre Gotteshäuser zugleich
Schatzhäuser waren. Irre ich nicht, so wird erst unter diesem Gesichtspunkt ihre Anlage voll-
kommen verständlich. Der ummauerte Theil des Heiligthums sollte nicht blos für das Cultusbild
und die heiligen Geräthe, sondern für zahlreiche Weihgeschenke und Schätze zum Obdach dienen.
Da für die Balken der Decke das Material nicht in ausreichender Länge brach, so konnte eine
entsprechende Grösse des Aufstellungsraumes über eine gewisse Breite hinaus nur durch Verlänge-
rung desselben erzielt werden. Aus diesem Grund sind die Gellen, namentlich der älteren
selinuntischen Tempel, ungewöhnlich lang gedehnt. Sie gliedern sich in drei Theile: in ein dem
Licht geöffnetes Vorgemach, in einen mittleren Schatzraum, der seiner Bestimmung nach die grösste
Entwicklung erhält, und in die für die Cultusstatue und den heiligen Tisch oder Altar bestimmte
Kammer, für welche geringe Dimensionen genügten. Diese constante Theilung in Pronaos, Thesauros
und Adyton, wie im Interesse der Deutlichkeit zu sagen erlaubt sein mag, markirt sich auf das
Bestimmteste auch im Aufriss, welcher drei ins Innere aufsteigende Terrassen aufweist. Der hintere
Theil der Cella ist durchgängig um einige Stufen über dem vordem und dieser wiederum über dem
Stylobat des ganzen Tempels erhöht. Das Allerheiligste lag also beherrschend über der Umgebung,
die durch dasselbe geschützt wurde, und die Cultusstatue blieb trotz der Höhe des Stereobats und
obwohl in bedeutender Tiefe hinter der Eingangsthür befindlich, wegen ihrer hohen Stellung voll-
kommen sichtbar. Diese Anordnung wird unverständlich, wenn man, wie fast allgemein geschieht,
das Cultusbild in den mittleren langen Raum verlegt, die hintere Kammer als Opisthodom auffasst und
folgerichtig sich über die »reitbahnartige« Länge der Cella2) verwundert oder dieselbe allem antiken
Gebrauch entgegen als »Processionssaal« sich zurechtlegt.

Die Auffassung der selinuntischen Tempel als Schatzhäuser wird auch durch eine interessante
Entdeckung Hittorff's3) bestätigt. Im Tempel E fand er von der obersten Steinlage der Cella
einige Stücke mit viereckigen Löchern vor. in denen, nach seiner Restauration, vorspringende Me-
tallzapfen befestigt waren. Diese letzteren trugen, in geringem Abstände von der Wand, horizontale
hölzerne Stangen, an denen in beliebiger Ordnung Weihgeschenke aller Art sich befestigen Hessen,
in ähnlicher Weise wie noch jetzt in öffentlichen Gallerien Gemälde aufgehängt werden, und wie
es schon für die Pinakothek der attischen Akropolis von verschiedenen Gelehrten vorausgesetzt
worden war.4)

Da man zur Aufbewahrung werthvoller Weihgeschenke nicht blos die durch Thüren geschlos-
senen Innenräume, sondern auch Pronaos und Posticum zu benutzen und zu diesem Zwecke die
Intercolumnien dieser letzteren vom Fussboden bis unter das Epistyl zu vergittern pflegte — eine

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wozu die Scbol. bemerken: rjYOuv xoiva- tf&os -fap toic
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2) Krell Gesch. des dorischen Stils p. 60.

3) Hittorff recueil des monuments p. 153 folg. pl.
47 Fig. V—VIII.

4) Raoul-Rochette lettres archeol. p. 6i. Wel-
cker a. Denkm. IV p. 233.
 
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