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50

Bei der Gräfin Scharnier lernte ich schon sehr bald
den Reichsgrafen Felseck kennen. Er hielt sich meistens
in der Residenz ans, wo er ein Hails besaß, nnd war
nur selten ans Felsenheim bei seiner Gemahlin, mit der
er sehr unglücklich lebte. Es währte nicht lange, da
konnte ich bemerken, wie das Herz des Grafen für mich
in Liebe entbrannte. Auch ich war ihm nicht abge-
neigt, doch lag eine Bereinigung außerhalb der Mög-
lichkeit, da er eben schon verheirathet war. Da machte
ein Zufall ihn frei. Dein Bater hatte die Gräfin
Scharmer, mich und Herrn v. Lettow nach Felsenheim
eingeladen, nm daselbst eine mehrtägige Jagd mitzu-
machen. Ich hatte Letzteren, der die Bühne gnittirt
hatte und als Privatsekretär in meine Dienste getreten
war, dem Grafen vorgestellt. Er war mir nachgereist,
nachdem er sich mit dem Schauspieler glücklich abge-
suudeu uud eiue Scheiduug erwirkt hatte. Während
unseres Aufenthaltes dort will es das Glück, daß die
Gemahlin des Grafen eines Liebesverhältnisses mit
ihrem Sekretär überführt wird. Der Grund der Scheidung
war da, nnd der Graf säumte nicht, ihn zu benutzen.
Die Gräfin mußte das Schloß verlassen, die kleine
Tochter Isabella kam zu den Eltern des Grafen und
nach einem halben Jahr war ich Herrin ans Felsen-
heim. Bon meinem Gemahl hatte ich die Erlaubnis;
bekommen, Herrn v. Lettow, der ohne Vermögen war,
in meinen Diensten zu behalten, er zog mit uns aufis
Schloß."
„Und der Vater war wirklich ohne jeden Argwohn?"
sagte Andreas mit einem eigentümlichen Lächeln.
Die Reichsgräfin sah ihren Sohn mit einem wahr-
haft entsetzten Blick an und rief in ängstlichem Ton:
„Um Gottes willen, was meinst Du denn? Die glaubst
doch nicht etwa — ?"
„Die böse Welt, Mama, von der Du schon vorhin
gesprochen, faselt allerdings —"
„O, ich weiß, welche Verleumdnngen über mich ver-
breitet sind -- aber Du, Du wirst es nicht glauben,
nicht wahr? O, ich beschwöre Dich, Andreas, glaube
es nicht! Wenn Du über Deine Mutter dächtest, was
Bosheit und Neid ihrem Rufe augeheftet, es wäre mein
Tod! Alles, Alles, nur das nicht! Sprich es aus,
daß Du nicht so denkst!"
„Was wäre denn schließlich dabei? So etwas kommt
ja täglich vor!"
„Nein, nein! Du darfst meine Worte nicht be-
zweifeln !"
„Warum eigentlich, obere maman, Deine ganze
Biographie?"
„Ich fühle in diesem Augenblick das Bedürfnis;,
bevor ich von meinen Plänen für die Zukunft spreche,
Dir einen kurzen Abriß meines Lebens darzulegeu, auch
dasjenige daraus, was ich bisher zu erwähnen noch
nicht für gut sand, damit Dir das plausibel erscheinen
möge, was ich Dir am Schluß zu sagen habe."
„Ich ward also," fuhr sie nach einer kleinen Pause
fort, „die Gattin des Reichsgrafen Felseck, und wir
führten in den ersten Jahren ein zwar sehr bewegtes,
aber mir sehr zusagendes, amüsantes Leben. Ein Jahr
nach Deiner Geburt hatte Dein Vater das Unglück,
bei einem tollen, durch eine Wette hervorgernfcnen
Reiterwagniß mit dem Pferde zu stürzen. Er verletzte
sich dabei den Rückgrat, und die Folge davon war eine
schleichende Rückenmarksentzündnng, die ihn für den
Rest seines Lebens an das Bett fesselte. War die erste
Zeit unserer Ehe eine glückliche zu nennen, so kamen
jetzt acht lange, fürchterliche Jahre, wo ich als Pflegerin
eines durch die Ungeduld halb wahnsinnig gewordenen
Kranken das elendeste Dasein führte. Mit raffinirter
Grausamkeit, mit dem Terrorismus unerträglicher Launeu
zwaug er mich, ihn während der langen Zeit selbst zu
bedienen; ich durfte kaum das Zimmer, geschweige denn
das Schloß verlassen; er hatte mich zur furchtsamen
Sklavin gemacht, die schon zitterte, wenn er nur die
Stirn runzelte. O, wie gerne wäre ich diesem Jammer
entflohen, und ich hätte es auch gethan, wenn ich nicht
so gänzlich ohne eigenes Vermögen gewesen wäre uud
die gewisse Aussicht vor mir gelegen hätte, daß dieser
Zustand nicht ewig währen könne, denn das Leiden
war ein inkurables. Hütte ich Dich nicht gehabt, und
wäre Herr v. Lettow als treuer Freund mir nicht zur
Seite geblieben, ich Hütte verzweifeln müssen. Mi!
anerkennenswerther Ausdauer harrte er auf dem freud-
losen Schlosse ans, während ihm doch die Welt
offen stand."
„Er wollte natürlich den einträglichen Posten nicht
anfgeben," warf Andreas leicht hin, „verwaltete er nicht
des Vaters Vermögen?" '
„Das eigentlich nicht, aber er wußte sich dem Grafen
doch unentbehrlich zu machen, er las ihm vor, spielte
mit ihm Schach uud vertrieb ihm die Zeit. Nur zu-
letzt wurde die Sache anders. Von irgend einer Seite
war er Deinem Vater verdächtigt worden, so daß dieser
kurz vor feinem Ende einen Plötzlichen sehr ausgeprägten
Haß auf ihn warf. Da endlich wurde der Graf von
seinen Leiden erlöst, ein hinzntretender Schlagflnß
machte seinem Leben ein Ende. Kann man es mir
verdenken, daß ich, nachdem ich acht lange Jahre fasl

Das Buch für Alle.

Nie in einem Kerker gelebt, jetzt auch noch einmal das
Leben genießen wollte? Wir zogen, um der Medisance
im Vaterlande zu entgehen, nach Paris. Hier öffneten
sich eins die ersten Kreise, aber das Leben in diesen
Kreisen kostet enorme Summen. Deine Erziehung, der
Aufwand, den wir zu machen gezwungen waren, ver-
schlangen im Lauf der Jahre den größten Theil meiner
Erbschaft."
„Wobei sich die Taschen des Herrn v. Lettow bis
zum Ueberlausen füllten."
„Laß das gut fein, Andreas; gern will ich es zn-
geben, daß er die Schwäche des Geizes, der Habsucht
besitzt, nnd er mag für feinen Vortheil oft allzu sehr
bedacht gewesen sein, aber stets war er mir bis dahin
ein guter und getreuer Berather. Ich sage bis dahin,
— jetzt gebieten es die Umstände, das Verhältnis; gänz-
lich anfzuheben. In Paris also konnten wir ohne ein
großes Vermögen in der bisherigen Weise nicht weiter ,
fortexistiren. Ich hatte das Leben dieser aufgeregten
Stadt auch herzlich satt, und die Sehnsucht, nach Deutsch- i
land zurückzukehren, erwachte und wurde immer stärker. '
Es kam noch ein anderes Gefühl hinzu, das mit den
Jahren immer lebhafter geworden war. Ich wollte
meine Ehre, mein öffentliches Ansehen in der Heimath
nnd meinen Ruf wieder zu Ehren bringen. Ein aus-
gezeichneter Umstand kam mir zu Hilfe, das letztere zu
erreichen. Mit Deiner Stiefschwester Isabella hatte ich
von ihrer Kindheit an in einem ceremoniellen, wenn
auch nur spärlichen Briefwechsel gestanden. Vor eini-
ger Zeit starb ihre alte GroßiMitter, meine Schwieger-
mutter, bei der sie erzogen war. Sie zeigte mir den
Tod an ;md theilte nur zu gleicher Zeit die überraschende
Neuigkeit mit, daß sie bereits vier Jahre heimlich
mit dein Prinzen Ferdinand verlobt gewesen, daß der
König bisher seine Einwilligung zu dieser Verbindung
nicht habe geben wollen, da er für seinen Sohn bereits
die Prinzessin eines anderen deutschen Hofes ausgesucht
hatte. Endlich jedoch habe der feste ausdauernde Wille
ihres Verlobten alle Hindernisse besiegt und Seine Maje-
stät seinen Konsens gegeben. Aon der Prinzessin Amalie
sei ihr ein Asyl angebvten und die öffentliche Verlobung
solle im August stattfinden. Mein Entschluß war so-
gleich gefaßt. Der Plan sand Deine Billigung, wir
verließen auf der Stelle Paris und siedelten hieher über.
Ans meinen Wunsch blieb Herr v. Lettow zurück, um
unsere Angelegenheiten dort zu ordnen. Erst von hier-
aus antwortete ich Deiner Schwester, schrieb ihr, daß
wir hier jetzt unseren ständigen Aufenthalt genommen,
daß ich hoffe, sie würde das Anerbieten der Prinzessin
Amalie ablehnen nnd sich unter den natürlichsten Schutz,
unter den ihrer Mutter begeben. Ich unterließ nicht,
mit Feinheit durchblicken zu lassen, daß, wenn sie nicht
bei mir wohne, die Welt darin jedenfalls kein gutes
Verhältniß zwischen Stiefmutter und Stieftochter er-
blicken und nur zu leicht dabei ein falscher Schein auf
mich fallen würde. Nach einiger Zeit kam ein Brief
von Isabella wieder, sie theilte mir mit, daß sie
mit ihrem Verlobten darüber schriftlich Rücksprache
genommen nnd daß er und die Prinzessin Amalie
nichts dagegen Hütten. Letztere habe die Aenßernng ge-
macht, sie habe mit großer Freude vernommen, daß ich
sehr oft das Gotteshaus besuche nnd wohlthätig gegen
die Armen sei, sie würde uns mit Isabella zusammen
mit vielem Vergnügen empfangen! — Es ist erreicht,
Andreas," rief die Gräfin jetzt mit verklärten Blicken,
„erreicht, was ich mit brennender Sehnsucht erstrebt —
die Herstellung meines Rufes, den eine allzu leichtfertig
verlebte Jugend verscherzt. Und blickst Du noch etwas !
weiter in die Zukunft, so stehen uns noch ganz andere
Auszeichnungen, noch ganz andere Ehren bevor. Der
König ist alt und schwach, der Kronprinz leidet an
einem unheilbaren Herzfehler nnd ist kinderlos, Prinz
Ferdinand wird dereinst König dieses Landes, Isabella
die Königin, ich bin dann die Königin-Mutter, nnd
Dn bist der Bruder einer Monarchin!"
„Und danach sehnst Dn Dich?" sagte Andreas, „ich
ganz nnd gar nicht! Mein Gott, welche lästigen Rück-
sichten hat man dann zu nehmen — ich werde mir jeden-
falls meine Freiheit zu wahren Nüssen!"
„Dn wirst Dich an das Hofleben gewöhnen, mein
Sohn!"
„Nun, so weit sind wir noch nicht. Doch noch ein-
mal die Frage, wozu die Auszählung dieser mir doch
größtenthcils bekannten Thatsachen?"
„Ich komme jetzt dazu. Zuerst die Bitte an Dich,
lieber Andreas, da wir dem Hofe jetzt so nahe treten,
so viel wie möglich Dich in Acht zu nehmen bei Deinem
etwas ungebundenen Leben, daß nicht Dinge über Dich
zu den Ohren der höchsten Herrschaften dringen —"
„Wie ich leben will, ist meine Sache, kümmere Dich
nicht um mich!"
„L, es war ja nur eine Bitte."
„Was weiter?"
„Dann ist unser Vermögen fast zu Ende. Die letzten
zehntausend Thaler habe ich beim Bankier v. Bollheim
flüssig gemacht. Unsere Stellung aber erheischt jetzt, nns mit
dem nöthigen Lnrns zn umgeben. Woher aber die erforder-
liche Summe nehmen? Du selbst hast erst nach vier Jah-

M 3.
ren freie Disposition über Deine Revenüen, die Vormün-
der werden vor dieser Frist nichts herausgeben. Ob uns
em ausgedehnter Kredit bewilligt wird, ist noch die
Frage. Ich weiß ein einfacheres Mittel. Der Bankier
v. Bollheim ist in den Freiherrnstand erhoben, er ist
poi-8ona rr>ati88inm Lei Hose, und es hängt nnr von
ihm ab, Finanzminister zu werden. Den Grasentitel
könnte er vielleicht später noch durch unsere Vermittelung
erlangen, da er ja bekanntlich zu den reichsten Bankiers
in Deutschland zählt. Herr v. Bollheim hat eine Toch-
ter, eine reizende Sylphide mit blonden Locken, blauen
Augen und seltsam schwarzen Augenbrauen — ich habe
sie gesehen — wenn sie Deine Gattin würde? Ich
war gestern wieder dort, der Vater nahm mit sichtlichem
Wohlgefallen meine ersten Andeutungen auf —"
Sie sah ihren Sohn gespannt an und sagte: „Was
sagst Du zu dem Plan?"
„Wenn sie hübsch ist, warum nicht? Doch will ich
sie, ehe ich mich entschließe, erst sehen."
„Versteht sich, wir machen dort, sowie cs Deine Ge-
sundheit erlaubt, cineu Besuch."
„Dort?" rief Andreas plötzlich sehr laut.
„Was ist Dir?"
„Ja so. Es ist gut, ich gehe mit."
„Ich danke Dir, daß Du so bereitwillig aus meine
Wünsche eingehst."
„Ich hege selbst den Wunsch, reich zu sein, noch
eher, als ich es durch den Antritt meines Majorats
werde. Reichthnm ist Macht, die Macht, leben zu
können, wie man will."
„Ja, Reichthnm ist Macht!" wiederholte die Reichs-
gräfin und fügte hinzu: „Reichthum ist Freiheit! Aber
das Gegentheil ist Demüthigung und Elend. Ich selbst
könnte, um zu dieser Macht zu gelangen, zum dritten
Male mich entschließen, ein. Ehebündniß einzngehen.
Der Freiherr v. Bollheim ist trotz seines gebleichten Haa-
res ein stattlicher, rüstiger Mann, ihm würde ich meine
Hand, wenn er sie verlangte, nicht versagen."
Andreas lachte bei diesen Worten laut heraus.
„Lache nicht, mein Sohn," sagte die Mutter, ohne
dadurch beleidigt zu scheinen, „Reichthnm ist Macht,
doppelte Macht bei hoher angesehener Stellung."
In diesem Augenblick klopfte es zweimal an die
Thüre.
„Es wird Hantelmann sein," bemerkte die Gräfin
und ries „Herein".
Der Kammerdiener Hantelmann trat in's Zimmer,
machte eine tiefe Verbeugung vor seiner Herrin, darauf
vor dem jungen Grafen und sagte im devotesten Tone:
„Verzeihen Hoheit, wenn ich störe, Herr v. Lettow ist
soeben angekommen und wünscht Ihre Hoheit zu sprechen.
Ich habe ihn in den Empfangssalon geführt."
In dem Gesicht der Gräfin flammte eine momen-
tane Entrüstung auf, sie erwicderte aber in ruhigen;
Tone: „Es ist gut, ich werde sogleich kommen."
Nachdem der Kammerdiener sich entfernt, sprang sie
von ihrem Stuhle auf und rief empört ans: „Wie, er
wagt es, hieher zu kommen? Trotz meines ausdrück-
lichen Verbotes? Trotzdem ich ihm aus einander gesetzt,
daß seine Gegenwart hier mir von größtem Nachtheil
werden könne? Er weiß, daß seine Nähe alte begrabene
Gerüchte wieder hervorzurnsen in: Stande wäre, daß ich
Angesichts des Hofes nnd mit Rücksicht ans die nahe
Verwandtschaft mit den höchsten Herrschaften, in die wir
nächstens eintreten, jeden Schein vermeiden muß! Der
Sache will ich ein für alle Mal ein Ende machen!"
Sie untersuchte rasch noch einmal die Wnnde ihres
Sohnes und mit den Worten: „Wenn der Arzt kommt,
so laß mich sogleich rufen," entfernte sie sich aus dem
Zimmer.
Herr v. Lettow war in seiner Jugend ein sehr hüb-
scher Mann gewesen, auch jetzt noch, in seinem sieben-
nndvierzigsten Jahre, war Manches von seiner früheren
Schönheit zurückgeblieben, so namentlich die schlanke
Figur, das volle dunkelbraune Haar und der wohlge-
pflegte, ungefärbte Bart. Nur seinem Gesichte war im
Laufe der Jahre ein Zug ausgeprägt, der im ersten
Augenblicke nicht gleich definirbar war, der aber .nicht
mehr unverständlich erschien, sowie man wußte, daß in
seinem Eharakter Geiz nnd Habsucht die hervorragend-
sten Eigenschaften seien, ans denen dann wieder andere
Eigenschaften resultirten. Er war schon als junger
Mensch auf die Bretter gegangen, hauptsächlich aus dem
Grunde, weil er nach seines Vaters Tode nicht das
nöthige Geld besaß, um weiter zu studiren. Er hatte
in den ersten Jahren seiner Schanspielerlanfbahn bei
herumziehenden Bühnen alle pekuniäre Noth bei kleiner
Gage kennen gelernt, hatte wie seine Eollegen verthan,
was er verdient und mehr dazu. Alsdann hatte er mög-
lichst viele Schulden gemacht und so wenige wie möglich
bezahlt, bis seine Talent ihn an größere Bühnen brachte,
wo er denn bei höherer Einnahme sich einer bei seinem
Stande sehr selten vorkommenden Sparsamkeit befleißigte.
Erst nach dem ersten Tausend, in dessen Besitz er durch
die Prinzessin Weldeck gelangte, ward diese Sparsamkeit
zum ausgeprägten Geiz, der Geiz zur Habsucht, und
nirgends besser tonnte letztere ihre volle Befriedigung
 
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