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finden, als in der Nähe einer Dame, die absolut nicht
mit Geld umzugchen verstand und ihm die ganze Ver-
waltung ihrer Angelegenheiten übertrug. Er brauchte
bei manchen Gelegenheiten kaum den Schein zu meiden;
die Prinzessin wußte, daß er für seine Tasche sorgte,
und ihm Ivar es bekannt, daß sie es wußte. Sie drückte
aber ein Auge zu, nicht allein ans grenzenlosen: Leicht-
sinn und Furcht vor unangenehmen Seeneu, sondern
auch deshalb, weil sie gewissermaßen in seiner Hand
war. Er kannte ja ihre abenteuerliche Vergangenheit,
die sie tief berente und von der sie nur Alles in der
Welt nicht gemocht hätte, daß sie überhaupt, namentlich
aber ihrem verstorbenen Gemahl bekannt geworden wäre.
Zu dieser Nachsicht wirkten aber, auch noch andere
Gründe mit.
Herr v. Lettow hatte viele gesellige Gaben und konnte
sehr liebenswürdig sein. Der Gräfin und ihrem Sohne
wußte er sich bis dahin fast unentbehrlich zu macheu, da er
ihnen das Leben sehr bequem gestaltete, alles Geschäftliche
für sic besorgte, alle Wünsche so viel wie irgend mög-
lich erfüllte, mit Geschick für jeden Tag ein passendes
Amüsement ersann und sich aufopferte, um ihnen jede
Mühe zu erspareu. Mit derselben Aufopferung hatte
er damals für die Unterhaltung des kranken Reichs-
grafen gesorgt. Er konnte sich in jede Lage finden,
wenn dabei feine Nebenzwecke erfüllt wurden. Nur seine
jetzige Lage, zu der ihu die Prinzessin verurtheilt hatte,
gefiel ihm ganz und gar nicht. Fern von ihr, nicht
mehr der Verwalter ihrer Kaffe, war ihm die Möglich-
keit genommen, für die seinige sorgen zu können. Er
hatte sich dem fast in Form eines Befehles ausgesproche-
nen Wunsche der Gräfin, vorläufig nicht nach der Resi-
denz zu kommen, mit Murren zwar, aber dennoch ge-
fügt. Er wußte ja, daß sie oft seltsame Marot-
ten hatte, war aber der festen Ansicht, daß sie selbst
über kurz oder lang ihu wieder an ihre Seite rufen
würde, da er ihre Abneigung gegen alles Geschäftliche,
ihren Widerwillen gegen Besorgungen irgend welcher
Art kannte. Er dachte aber nicht im Entferntesten
daran, daß eine Frau,-die ihren Ruf verloren hat und
ihn unter allen Ilmständen wieder sich zu verschaffen
trachtet, sich zu einer außergewöhnlichen Konsequenz aus-
zuraffen im Stande ist. Die Hoffnung auf feine wahr-
scheinlich sehr lukrativ werdende Stellung, nachdem der
unge Graf fein Majorat angetreten, ließ ihn jetzt
Manches schweigend ertragen. Er wäre auch für's Erste
nicht nach der Residenz gekommen, wenn er nicht in
Felsenheim, wo er einstweilen seinen gezwungenen Auf-
enthalt nehmen sollte, nachdem er in Paris alle Geschäfte
abgewickelt, bei feiner Ankunft einen Brief vorgcfundcn,
der ihn selbst sehr beunruhigt hatte. Man hatte den
Brief liegen lassen, weil Herr v. Lettow an den Ver-
walter geschrieben, man solle einige Zimmer für ihn
wohnlich einrichten, er würde nächstens für kurze Zeit
dort sich aufhalten. Der Brief lautete folgendermaßen:
„Sehr geehrter Herr!
Dbgleich ich Ihnen vor vielen Jahren bei meiner
Abreise das Versprechen gegeben habe, nie wieder
von Amerika znrückznkehren, so haben mich doch ein
kränklicher Körper und gänzliche Verarmung daselbst
in die Lage gebracht, mein Wort brechen zu müssen.
Ten letzten Rest meines Vermögens habe ich für die
Ueberfahrt bezahlt, und befinde mich augenblicklich in
der drückendsten Misere. Nur die Hoffnung hält mich
aufrecht, daß Sie, Herr v. Lettow, und Ihre Hoheit,
die Prinzessin Weldeck, den nicht werden Hungers
sterben lassen, der sich überreden ließ, Diejenige zu ver-
rathen, die er von ganzem Herzen liebte, wodurch Ihre
Hoheit das erreicht haben wird, wozu mein Verrath ihr
die Wege geebnet. Vor meiner Abreise habe ich noch
die Gräfin Konradine gesehen, ich spürte ihr nach und
habe ihren Versteck gefunden. Ihr furchtbarer Hoch-
muth und ihr beleidigender Stolz gegen mich ließen mich
noch einen Akt der Rache gegen sie begehen. Mit dieser
Befriedigung reiste ich unangefochten ab. Ein Geheim-
niß in Bezug auf die Gräfin Konradine, welches mir,
als ich sie besuchte, offenbar wurde, und das, falls Ihre
Hoheit Reichsgräsin Felseck geworden und aus dieser
Ehe Kinder entsprossen sein sollten, für Letztere von aller-
höchster Wichtigkeit sein dürfte, würde ich für eine an-
gemessene Summe Ihneu nicht vorenthalten. Sollten
Sie und Ihre Hoheit wirklich so grausam fein, mir
armen kranken Manne nicht ein wenig auf die Beine
Helsen zu wollen, so würde ich in meiner Verzweiflung
abermals die Gräfin Konradine aufsuchen, ihr reuig zu
Füßen fallen und sie um Verzeihung bitten. Sie würde
daun vielleicht von ihrer Armuth mir ein kleines Al-
mosen reichen. Ich erwarte zuversichtlich eine Antwort.
Wenn Sie mir schreiben, adressiren Sie den Brief an
Kasimir Stolzer, wie ich mich jetzt nenne. Altes
Kloster, Klosterstraße."
Herr v. Lettow erschrak, als er den Brief las. Der
Schreiber desselben war also nicht verschollen und todt,
wie er geglaubt hatte, sondern lebte noch und war
zurückgekommen. Das war eine böse Sache, die für die
Prinzessin, aber auch unter Umständen für ihn selbst
verhängnißvoll werden konnte. Und das Geheimniß,
von dem er schrieb — sollte das, was beim Abschied

Das Buch für Alle.


der Greisin Konradine sich die Hausgenossen zuflüsterten,
zur Wahrheit geworden sein? Wem: das der Fall
und Rechte beansprucht würden, so war das für die
Reichsgräsin und ihren Sohn das Bedenklichste von
Allem, ja, wenn das wirklich geschähe, so büßte auch
er seine so gewinnbringende Stellung ein. Der Mann
mußte zum Schweigen gebracht werden! Ah, jetzt war
er wieder der Unentbehrliche, jetzt konnte man seiner
nicht entrathen; wer anders als er war im Stande,
die Gefahr, die der ganzen Existenz drohte, zu be-
schwören'? Jetzt mußten Summen geopfert werden, wo-
bei auch wohl für ihn eine Kleinigkeit abfallen würde.
Noch denselben Tag reiste er von Felfenheim ab.
Herr v. Lettow ging langsam im Empfangssalon
der Reichsgräfin auf und ab, noch einmal den Brief
durchlefend, der ihn hicher getrieben. Er hatte nicht
nöthig, lange auf diejenige zu warten, die er zu fprechcn
wünschte. Die Thür, die nach dem Korridor führte,
wurde heftig aufgerissen und die Prinzessin trat herein,
nicht in der sausten, sich unterordnenden Haltung, wie
wir sie im Zimmer ihres Sohnes gesehen, sondern den
Kopf erhoben, in ihrem Aeußeren jeder Zoll eine stolze
Fürstin und in ihrem Gesicht einen Ausdruck, der die
Absicht zu vcrrathen schien, den Stolz und die Fürstin
in diesem Augenblick auch Vollaus geltend machen zu
wollen.
Nicht wie sonst kam sie ihm entgegen, mit freund-
lichen Mienen ihn: die Hand zum Willkommen reichend,
sondern sie blieb in einiger Entfernung von ihm stehen,
und ohne ein vorangeheghes Wort der Begrüßung sagte
sie in schroffem Tone:
„Was wollen Sie hier, Herr v. Lettow?"
Der in dieser Weife Angeredete war vollständig sprach-
los vor Erstaunen über diese,: ungewohnten Empfang.
Es währte mehrere Sekunden, ehe er Worte finden
konnte. Endlich erwiederte er, ironisch dabei lachend:
„Sind Sie es denn wirklich, meine gütige, mir stets
huldvoll geneigte Herrin?"
„Lassen wir das. Ich habe Ihnen meinen Wunsch
schriftlich ausgedrückt — und ich meine, so nachdrück-
lich wie möglich — daß Sie nicht hieher kommen
möchten, da Ihre Nähe mich hier nur komproinit-
tiren kam:."
„Ich kann mich von meinem Erstaunen gar nicht
erholen. Was ist denn in Sie gefahren?"
„Eine lächerliche Frage! Sie haben also nicht ver-
standen, zwischen den Zeilen meines Briefes zu lesen,
so will ich jetzt nm so deutlicher fein. Meine Ver-
wandtschaft mit den: hiesigen Hofe, meine nahen Be-
ziehungen zu den höchsten Herrschaften, die Anwesenheit
meiner Tochter in meinen: Haufe, der demuüchstigeu
königlichen Hoheit, verbieten mir, ein Verhältnis;
fortzusetzen, dessen ich mich jetzt aus tiefsten: Grunde
meines Herzens schäme — ja schäme! Mit bitterer
Reue blicke ich auf die Verirrungen meiner Jugend,
meiner Vergangenheit zurück, und ich habe die Absicht,
Alles, was bis dahin in: Stande war, meinen klaren
Blick zu trüben, meine Vernunft gefangen zu halten,
bis auf die Erinnerung aus meinen: Gedächtniß zu
verbannen."
„Ah, stehen die Sachen so?" sagte Herr v. Lettow
in malitiösem Ton, indem er langsam den Brief, den
er bis dahin noch zwischen den Fingern gehalten, in
die Seitentasche seines Rockes schob. „Also man will
moralisch werden? Hahaha!"
„Keine Beleidigungen, ich dulde sie nicht mehr!
Nur zu lange habe ich Ihnen die Erlaubnis; gestattet,
sich wie meines Gleichen zu geriren. Das muß eudlich
eiu Eude nehme::! Sie sind fast ein Vicrteljahrhundert
in meinem Dienst gewesen und haben sich darin be-
reichert auf rechtmäßige und unrechtmäßige Weise —
wenn ich Sie jetzt entlasse, brauche ich mich beim Ab-
schiede nicht zu beunruhigen, daß Sie der Armenaustalt
verfallen!"
„Das ist zu viel!" stieß Herr v. Lettow hervor.
„Dienst! Entlassung! Abschied! Sind Sie von Sinnen,
Elfriede?"
„Elfriede?" sagte die Prinzessin und den Oberkörper
stolz cmporrichtend, fügte sie hinzu: „Ich bin für Sie
nur noch die Reichsgräfin von Felseck, geborene Prin-
zessin von Weldeck!"
„Ah, hochgeborene Fürstin, und Sie meinen, ich
solle gleich demüthig den Sanin Ihres Kleides küssen?
Und Sie wagen wirklich, mir das zu bieten? Sie
haben wirklich die Stirn, einen Mann zu beleidigen in
dieser unerhörten Weise, der Ihre ganze Vergangen-
heit kennt?"
„Sie sehen, das; ich sie habe, und das; ich dieses
Verhältnis; unter allen Umständen aufzuheben geson-
nen bin."
„Also, man will wirklich ein anderes, tngcndnm-
strahltes Leben führen? Man Null, was man bis
dahin nicht gekonnt, sich in der hohen Gesellschaft eine
Stellung erwerben, und dabei könnte ich die nenge-
schasfene Tugend in den Schatten stellen? Ganz recht,
fast ein Vierteljahrhnndert haben wir nut einander
verlebt — Hahaha!"
„Schweigen Sie!"

„Jetzt nicht, stolze Prinzessin, denn ich habe noch
etwas zu sagen. Ihre Neigung, das weiß ich, ist längst
erloschen, auch die meinige hat sich überlebt, aber die
Gewohnheit fesselte uns an einander und diese Gewohn-
heit wollen Sie zerreißen. Haben Sie ganz vergessen,
was ich für Sie gethan, daß ich das eine Verhältnis;
löste und das andere für Sie knüpfte? Wären Sie
jemals ohne mich Reichsgräfin Felseck geworden? Habe
ich nicht stets für Sie gedacht und die Wege geebnet?
Und jetzt glauben Sie, mich wie einen räudigen Hund
aus den: Hause jagen zu können, nachdem Sie mich
vorher mit Fußtritten traktirt?"
Er trat ihr einen Schritt näher und sagte: „Un-
kluges Weib, Sie wissen gar nicht, was Sie beginnen,
Sie haben keine Ahnung, in welchen: verhängnißvollen
Augenblick Sic sich von mir lossagen, daß Sie nie
meines Rathes, meiner Dienste bedürftiger gewesen sind,
wie gerade jetzt."
„Ersparen Sie sich solche Redensarten, Herr v. Lettow,
die doch nur den Zweck haben, daß ich mich mit Ihnen
— abfinden möge."
„Ja, abfinden, wie gerne Sie's Wohl thäten, wenn
Sie wüßten, um was es sich handelt."
„Ich kenne Sie genau — Sie erschrecken mich nicht."
„Beruhigen Sie sich, ich verlange von Ihnen nichts
mehr. Nach dieser fürchterlichen Beleidigung ist jedes
Band zerrissen, denn jetzt — hasse ich Sie, und der
Haß ist der Vater der Rache; hüten Sie sich! Leben
Sie Wohl!"
„Halt! noch einen Augenblick! Einen solchen Auf-
tritt habe ich längst vorausgesehen, er mußte früher-
öder später kommen. Das; ich Sie ohne jede Besorgniß
vor Ihrer Rache scheiden sehe, muß doch Wohl seiueu
besonderen Grund haben. Entschuldigen Sie eine
Minute."
Sie ging in's Nebenzimmer, kam nach kurzer Zeit
wieder zurück, und an: Eingang der Thür stehen blei-
bend, entfaltete sie zwei längliche Stücke Papier, und
dieselben in die Höhe haltend, sagte sie: „Kennen Sie
diese Dokumente? Es sind die von Ihnen ausgestellten
falschen Wechsel. Ich habe sie eingelöst und aufbc-
wahrt als Schuh gegen eine eventuelle Rache. Eiu
Wort von Ihnen, das nur schadet, und ich übersende
die Papiere dein Kriminälgericht! Nnn können Sie
gehen!"
„Verflucht!" tönte cs von Herrn v. Lettow's Lippen,
nnd leise die Worte: „dennoch, dennoch Rache!" vor
sich hin zischend, stürzte- er, nachdem er noch einen haß-
erfüllten Blick auf die Reichsgräsiu geworfen, ans den:
Zimmer.
„Das wäre vorüber," sagte die Gräfin, nachdem er
sich entfernt, „mit seinen: Weggang hat eine Zeit ihren
Abschluß gefunden, in der man es wagen durfte, mich
ungestraft zu demüthigeu, jetzt beginnt die Morgenröthe
einer neuen Voll Glanz, Ehre und Ansehen. Mein
Stolz hat lange genug geschlafen, jetzt ist er erwacht
und darf wieder frei sein Haupt erheben!"
Sie verschloß die Wechsel in ihren: Sekretär und
betrat gleich darauf den Korridor, um sich wieder in
das Zimmer ihres Sohnes zu verfügen. Aber wie
erstaunte sie, als sie am andern Ende desselben, da, wo
ihr Sohn feine Gemächer hatte, den jungen Herrn
v. Bollhcin: stehen sah und hörte, wie dieser zu Joseph
sagte: „Bringen Sie Seiner Erlaucht meine Karte und
fragen Sie ihn, ob ich ihn unter vier Angen sprechen
kann."
Sie trat rasch hinter eine Figur, die eine Gas-
lampe trug, um in diesen: Augenblick nicht gesehen
zu werden.
„Unter vier Angen?" sprach sie leise, „sie kennen
sich ja gar nicht, was kann das zu bedeuten haben?
Andreas wird doch nicht gestern eii: ernstliches Ren-
contre gehabt haben?"
Der Diener kam zurück und meldete, das; Herr
v. Bollheim willkommen sei, worauf Letzterer in Andreas
Zimmer verschwand.
„O, das muß ich wisse::!" rief sie besorgt, „er darf
sich nicht schlagen, mit keiner Waffe, jede größere Wunde
ist fein Tod."
Sie ging raschen Schrittes weiter und verscheuchte
durch ihre Anwesenheit den Diener, der gerade im Be-
griff war, das Ohr an's Schlüsselloch zu legen. Dieser
entfernte sich in's Bedientenzimmer, und nun ging die
Reichsgräfin bis an's Ende des Korridors und betrat
hier leise Andreas' Schlafgcmach, welches neben feinen:
Wohnzimmer lag, von den: sie wußte, das; es von letz-
teren: nur durch eine Portiere getrennt war. Ans den
Fußspitzen schlich sie näher nnd hörte nun folgendes
Zwiegespräch:
„Die Beleidigung werde ich nicht revociren," sagte
der junge Reichsgraf, „und nehme das Pistolendnell in
der von Ihnen vorgesehlagcnen Form an, nur bin ich
leider nicht in: Stande, schon morgen die Mensur zu
beschreiten. Sie sehen dort die Menge blutiger Lein-
wand, ich habe die ganze Nacht geblutet ans einer klei-
nen Wunde, die ich mir bei der gestrigen Affaire zn-
gezogen. Ich bin ein bloeclor, Herr v. Bollheim,
und leide an der unglückseligsten aller Krankheiten, an
 
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