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74 Das Buch für Alle. Heft 4

heraustrete," rief Frau Konradine nut erhabener Stiiume,
„auf daß ich hingehe und sage: Mein Sohn ist der
rechtmäßige Erbe der großen Herrschaft! Nun hat er
sein Studium vollendet, nun ist der rechte Zeitpunkt.
O, ich weiß, Herr Geheimrath, Ihr Herz blutet, daß
Ihr Liebling in Armuth sein Leben vertrauern soll,
während er im Ueberfluß schwelgen könnte, daß er mit
einem bürgerlichen Namen einherschreiten muß, während
er berechtigt wäre, sich in die Reihen der höchsten Ari-
stokratie zu stellen — Sie bedenken aber nicht dabei,
daß mein Stolz tropfenweise verbluten müßte, wenn
ich nun vor Gericht erschiene, um darzulegen und aller
Welt auf das Klarste zu beweisen, daß mein Sohn,
welcher drei Monate nach der gerichtlichen Ehescheidung
geboren worden, auch unzweifelhaft der Sohn meines Ge-
mahls ist! Wie? Könnten Sie mir im Ernste zumuthen,
daß ich, die Fluchbeladene, die Todtgeglnnbte, die Ver-
schwundene, aus meiner Dunkelheit hervortreten soll,
um mich in den Mund der Leute zu bringen und den
täglichen, tausendfachen Tod der Verachtung zu er-
leiden? Dann wäre ein Abschluß von der Welt nicht
mehr möglich, und diese Welt hasse ich, die ein un-
schuldiges Weib verdammen tonnte, weil es zu stolz
war, gegen eine wahnwitzige Anschuldigung sich zu
vertheidigcn!"
„Ich ehre in Ihnen diesen Stolz," sagte Broock-
manu, „denn ich schätze Sie hoch wie keine zweite Frau
auf Erden, wenn ich ihn auch uicht ganz begreifen
kann."
„Nicht begreifen? Sollte ich dm abgekarteten, plum-
pen GaukelfMel gegenüber noch meine Unschuld betheuern?
Hätte ich sagen sollen, als mein Sekretär zu mir in's
Zimmer stürmte uud, mich umarmeud, mit lauter
Stimme ausries: Ich danke Dir, daß Du endlich meine
Liebe erhört hast, und gleich darauf meiu Gemahl hinter-
drein raste — hätte ich da sagen sollen, ich bin un-
schuldig? Entrüstung, Verachtung und Stolz banden mir
die Zunge! O, mein Stolz war schon vorher in un- '
erhörter Weise beleidigt worden, denn der Gras hatte ;
schon seit drei Tagen in meiner Gegenwart seine Liebe
zu der Prinzessin Weldeck offenkundig dargelegt. Sollte
ich zu ihrem 'Ergötzen noch eine Nertheidigungsrede !
halten?"
„War denn," sagte Broockmann mit leisem Vorwurf, ,
„Ihr ganzes künftiges Leben nicht werth, vor Ihren
Richtern diese Bertheidigungsrede zu halten?"
„Ich habe gar keine Richter gesehen. So wie mein
Sekretär bestochen worden ist, so waren es unfehlbar die
Richter auch. Nur der Advokat meines Gemahls kam
zu mir und richtete die freche Frage an mich, ob ich
mich für schuldig bekenne, und als ich ihm darauf, ohne
ein Wort zu erwiedern, den Rücken kehrte und in ein
anderes Zimmer ging, rief er mir nach: Ihr Schweigen
ist Antwort genug. Nach vierzehn Tagen war die ge-
richtliche Scheidung ausgesprochen, man hatte mir ein
ansehnliches Jahrgehalt ausgesetzt, das ich natürlich aus
gerechtem Stolz zurückwies."
„Und Sie legten nicht Protest gegen diesen Richter-
spruch ein?"
„Nein, dazu war ich auch zu stolz!"
„Da ist der Punkt, wo ich nicht im Stande bin,
das Frauenherz zu fassen. Es galt Ihren Rus, Ihre
Ehre!" - -
„Nicht die Ehre meines Innern! Meinen Ruf, die
Ehre vor der Welt Wohl, aber hatte ich nicht schon
beide verloren? Glauben Sie, daß, wenn der Richter-
spruch umgestoßen, die Scheidung wegen Mangels hin-
reichender Beweise zurückgenommen wäre, ein einziger
Mensch an meine Unschuld geglaubt hätte? O, die Ehre
vor der Welt, sie ist ein trauriger Paragraph im Codex
der geselligen Konvention, ein durchlöchertes Bollwerk,
hinter dein der reinste Ruf nicht gesichert ist, eine Seifen-
blase, die der erste beste Bube mit seinem Stecken zer-
schlagen kann! Was Hütte es mir genützt?"
Sie waren jetzt in's Haus getreten und in das
Zimmer rechts vom Flur gegangen, wo sich Jeder
mechanisch auf einen Stuhl niederließ.
Eine kurze Pause entstand.
Broockmann nahm zuerst die Unterhaltung wieder
aus und sagte:
„Hatten Sie denn gar nicht daran gedacht, liebe
Freundin, daß Sie Ihr Kind, Ihre Tochter Isabella
zurücklassen mußten?"
„Nein, daran hatte ich nicht gedacht, was wußte ich
von Recht und Gesetz? Als ich erfuhr, daß ich jeden
Anspruch aus mein Kind ausgeben müsse, da habe ich
den furchtbarsten Kampf meines Lebens gekämpft. Ja,
da war ich nahe daran, in die Lärmtrompete zu stoßen
und alle Richter der Welt herbeizurufen, meine Ehre
zu vcrtheidigen; zum regierenden Herzog meines Landes
wollte ich, um Recht zu fordern und Erneuerung meines
Prozesses, Alles meines Kindes wegen, aber — Sie
werden wiederum ein Frauenherz nicht begreifen können,
Broockmann — ich bezwang mich, ich kämpfte den
grenzenlosen Schmerz um den Verlust meiner Tochter in
meinem Herzen nieder, und mein Stolz — er siegte
abermals. Nennen Sie es Egoismus, Gefühllosigkeit,
Erstarrung jeder Mutterliebe, nenneu Sie es, wie Sie

wollen, ich will nicht widersprechen, aber ich konnte
konnte nicht anders! Was ich gethan — dazu trieb
mich der unbezwingliche Befehl meines Innern, dem
sich alle Gefühle meines Bistens unterwerfen mußten.
O, ich wußte Wohl, daß ich ein Verbrechen beging, daß
es ein Frevel war, mein Theuerstes in diesen Händen
zurückzulassen, und dennoch jagte unbarmherzig mich
mein Stolz von dannen. O, was ich noch dieser Thal
gelitten, keine Worte kennt unsere Sprache, das zu
schildern. Ja, alter Freund, auch die Reue habe ich in
ihrer ganzer: Stärke kennen gelernt, aber es war eine
seltsame Reue, eine Reue, die trotz ihrer Tiefe nicht den
Willen hatte, etwas wieder gut zu machen. Erst mit
der Nachricht von den: Tode meiner Tochter versiegte
allmühlig dieses Gefühl, und wenn ich damals nicht mit
dem ganzen Aufwand meiner Geisteskraft den Gedanken
zurückgewiesen Hütte, daß mein Kind, wenn es in meiner
Pflege geblieben, vielleicht uicht gestorben wäre, so
hätte der Wahnsinn mich erfaßt, ich war nahe genug
daran!"
Das Gewitter kam näher uud näher, immer greller
zerrissen die Blitze die Dämmerung des Zimmers, immer
rascher folgte der Donner.
Frau Bernau trocknete ihre feuchten Augen und fuhr
in weniger erregten: Tone fort:
„Warum beschwören Sie die Vergangenheit herauf,
mit der ich ein- für allemal abgeschlossen? Sie find mir
von jeher ein treuer Freund und Berather gewesen, wie
sehr ich Sie verehre, wie dankbar ich Ihnen bin, ist
Ihnen bekannt. Ich weiß auch, Sie baben diese trau-
rigen Erinnerungen wach gerufen, weil Sie den: Willibald,
den Sie wie Ihren Sohu lieben, gern die glänzendste
Zukunft durch Ihre Ueberredungsgabe bereiten möchten.
Sie wissen jetzt und haben es längst gewußt, welche
Gefühle mich beherrschen und welche Gründe mich zwingen,
mein Schweigen nicht zu brechen. Willibald darf es,
kann es nie erfahren, er ist Jurist, ihn: könnte eines
Tages der Einfall kommen, sich die Akten meines Pro-
zesses kommen zu lassen, um für die Ehre seiner Mutter
noch jetzt in die Schranken zu treten. Und das soll
nimmermehr geschehen! Brechen wir ab und lassen Sie
uns dies Thema nie wieder berühren. Des mir ge-
leisteten Schwures der beiden Herren, darüber unver-
brüchliches Schweigen zu beobachten, bin ich sicher!"
Doktor Fabricius, der bisher sich mit keinem Wort
in das Gespräch gemischt, sagte jetzt nut einem hörbaren
Seufzer:
„Leider laben wir es geschworen."
„Bereuen Sie diesen Schwur?" sagte Frau Bernau.
„Ja," erwiederte der Doktor, „Willi's wegen."
„Und meinetwegen?"
„O, auch Ihretwegen; Sie wären glänzend gerecht-
fertigt worden, wenn Sie zum zweiten Mal einen
Prozeß angestrengt hätten, das ist immer meine Meinung
gewesen."
„Aber die meine nicht. Ja, ja, Alterchen, Sie haben
mich immer gescholten, ich konnte Ihnen nie etwas recht
machen. Wissen Sie noch, wie die arme Verstoßene
zu Jhueu, ihrem alten Lehrer, ihren: einzigen Freunde
kau: uud Sie un: ein verborgenes Asyl bat — wie sie
da tobten und geraden Weges zum ersten besten Rechts-
anwalt laufen wollten? Und später, als wir in den:
einsamen Waldhäuschen wohnten, das Sie für uns ge-
miethet — ach, ich erinnere mich jedes Umstandes fo
genau, als wäre es erst gestern geschehen; es war ein
heißer Sommertag, die Sonne war soeben untergegangen,
Sie waren nach Wobenhcim gegangen, um daselbst Ein-
käufe zu machen; meine kleinen Zwillinge, der Knabe
und das Mädchen, waren erst vierzehn Tage alt — in
den: kleinen, niedrigen Zimmer des Waldhüuschens
herrschte eine unerträgliche Stickluft — ich hatte beide
Kinder in einen kleinen Wagen gebettet und sie vor der
Thüre des Hauses hin und her gefahren. Der Abend
brach herein, ich ging in's Hans, um die Wiege her-
zurichten und wollte dann die Kleinen wieder in ihre
Bettchen tragen. Da stürzt plötzlich ein Mensch in's
Zimmer, es war meiu ehemaliger Sekretär Rosenberg,
sinkt vor nur ans die Kniee und ruft in leidenschaft-
lichen: Tone : Ich habe Dir lange nachgespürt, endlich
habe ich Dich gesunden, verzeihe mir, was ich Dir ge-
than, ich liebe Dich bis zum Wahnsinn, Di: bist jetzt
eine geschiedene Frau, werde meine Gattin, so will ich
Dein Sklave werden! Bein: Anblick des Verräthers, der
sich an meinen Gemahl verkauft, noch mehr bei seinen
Worten erfaßt mich eine grenzenlose Wuth; ii: dem
Augenblick, wo er meine Hand ergreifen will, vergesse
ich mich und stoße ihn mit den: Fuß zurück, daß er
fast hiugefallen wäre. Hinaus, Elender! ist Alles,
was ich hervorzubringeu vermag. Da springt er mit
Verzerrtei: Mienen in die Höhe nnd schreit nut wilder
Stimme: Du sollst an mich denken Dein ganzes Leben
lang! Darauf stürmt er hinaus. Ich zitterte so heftig,
daß ich kaum mich von der Stelle bewegen konnte.
Endlich gehe ich hinaus und fahre den Wagen mit den
Kindern in's Haus hinein. Da erst, o Entsetzen, ent-
decke ich, daß meine kleine Tochter fehlt! Wer anders
konnte sie geraubt haben, als dieser Bösewicht? Wie
wahnsinnig eile ich hinaus und rufe seinen Namen,

aber vergebens. Da kamen Sie, Doktor, zurück. Ge-
meinschaftlich durchirren wir in der Dunkelheit den
Wald, nirgends eine Spur. Erst als bereits der Tag
graute, fanden wir am Ufer der reißenden Aue, die den
Wald durchströmt, an einem Busch haftend das kleine
Häubchen meiner Tochter, an das ein Stück Papier-
geheftet war, worauf mit Bleifeder geschrieben die Worte
standen: Dein Kind liegt in den Fluthen, das ist meine
Rache!"
Frau Bernau schwieg einen Augenblick, wie erschüttert
bei dieser Erinnerung, und fuhr darauf fort:
„Da wollten Sie, Doktor Fabricius, beim Gericht
die Anzeige machen, damit der Mörder steckbrieflich ver-
folgt werde, und als ich dem mit aller Entschiedenheit
mich entgegenstellte, da hätten wir uns bald entzweit.
O, der Grund meiner Weigerung war nicht allein die
Scheu vor der Oeffentlichkeit, er lag viel, viel tiefer,
aber keine Macht der Erde ist im Stande, mir dies
Geheimniß zu entreißen.
„Wir aber packten gleich nach dieser Katastrophe
unsere Sachen zusammen, verließen einen Ort, wo meine
Verborgenheit mir nicht mehr gesichert schien, und zogen
weit weg von dort, hieher, wo ich auf dieser umschlossenen
Insel mein Dasein ungefährdet vergraben konnte. Nach
jener fürchterlichen Nacht, in der mir das Kind geraubt
worden, bemerkte ich die ersten grauen Fäden in meinem
dunkeln Haar, nach einen: halben Jahre war es schnee-
weiß geworden.
„So, meine Freunde," setzte sie ihre Rede fort, „nun
habe ich auch diesen Theil meiner Vergangenheit frei-
willig in die Erinnerung gebracht, nun geben Sie sich
zufrieden und lassen Sie uns nie wieder zurückkommen
auf die schwersten Tage meines Lebens."
Der Geheime Obermedicinalrath hatte mit großer
! A:stmerksamkeit dieser letzten Erzählung zugehört. Frau
Bernau hatte ihn vor vielen Jahren, als sie den: Tode
nahe war, zwar mit der Thatsache selbst bekannt ge-
! macht, aber zu einer längeren Mittheilung, wie es der
Bericht aller näheren Umstände erfordert haben würde,
war sie viel zu schwach gewesen und später hatte sie ihn,
gerade wie heute, dringend gebeten, ihre innere Ruhe
zu schonen und nie wieder das Vergangene zu berühren.
Draußen kam das Gewitter zum vollen Ausbruch;
ein heftiger Wirbelwind kreiste auf der Insel nnd trieb
im wilden Taumel Blätter nnd abgerissene Zweige an
die Scheiben.
Langsam nur kau: das Wetter näher, noch stand es
nicht über ihnen, denn noch konnte man zwischen Blitz
und Donner verschiedene Sekunden zählen.
Als abermals ein starker Donnerschlag, bei den: die
Fenster klirrten, verrollt wär, sagte Broockmann, Frau
Bernau nut eigenthümlichen: Blick anseheud:
„Verzeihen Sie mir, liebe Frenndin, wenn ich trotz
Ihrer Bitte, das vorhin geführte Gespräch abzubrechen,
noch eine Frage an Sie zu richten nur gestatte."
Ohne seinen: Gegenüber Zeit zu gönnen, eine Be-
merkung zu machen, fuhr er fort:
„Wenn Ihre Tochter Isabella nicht gestorben wäre,
io hitte sie jetzt das dreiundzwanzigste Jahr erreicht.
Wenn sie also am Leben geblieben wäre, würden Sie
auch in Ihrem Schweigen verharrt haben?"
„Ja."
„Ihre Tochter hätte dann eine Mutter — das arme
Mädchen wüßte es ja nicht anders — die sich eines
Vergehens schuldig gemacht, auf der eiu Schand-
fleck ruhte. Stellen Sie sich die Qual ihrer Seele vor,
wem: das Bild Derjenigen, an die sonst jedes Kind
nut der höchsten Verehrung znrückdenkt, kein reines ist,
wenn sie sich sagen muß, meine Mutter war eine Ver-
worfene !"
„Broockmann!"
„Der Ruf der Mutter würde unfehlbar den der un-
fchuldigen Tochter beschatten."
„Wozu solche nutzlose Erörterungen? Wozu solche
Annahmen?"
„Würden Sie den Gedanken ertragen können, daß
Ihre Tochter unschuldig litte, nur durch die Schuld
Ihres Schweigens?"
„Ich müßte es können, aber ich fasse nicht —"
„Frau Bernau," sagte der Geheimrath in lauterem
Ton nnd von seinen: Sitz sich erhebend, „gesetzt den
Fall, Ihre Tochter wäre nicht gestorben, man hätte aus
irgend einen: Grunde Ihnen den Tod derselben fälschlich
angezeigt, uud diese Tochter wäre jetzt die Braut eines
hochgestellten Mannes, ja, so hoch gestellt, daß sie nach
wenigen Jahren vielleicht schon eine Königin würde —
könnten Sie'es auch danu noch über sich gewinne:: zu
schweigen? Dürfte au der Mutter einer Königin auch
nur der Hauch eines Makels haften? Würden Sie auch
dann nicht Ihren Stolz bezwingen? Würden Sie auch
daun nicht, nut Hintansetzung aller anderen Gefühle
aus Ihrer Verborgenheit hervortreten und sagen: Es
gilt nicht mehr meine Ehre allein, es gilt auch die
meiner Tochter, wohlan, ich fordere die Wiederaufnahme
meines Prozesses?"
„Sie sind reich an Phantasie, Herr Geheimralh,"
erwiederte in etwas gereizten: Tone Fran Bernau, „Sie
foltern mich mit solchen Reden, ich bitte Sie noch einmal
 
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