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tskst 4.

Das Buch für All e.

75

und noch dringender, lassen Sie uns dieses Gespräch ad-
brechen!"
„Und wenn es keine Phantasie wäre"?"
„Großer Gott, was ist es denn?"
„Ja, edle Seele, die Reichsgräfin Isabella lebt, sie
ist mit dem Prinzen Ferdinand verlobt und wird dereinst
Königin dieses Landes."
„Sprechen Sie im Irrsinn? Doktor Fabricius, sagen
Sie mir — ?"
„Es ist so, gnädige Frau," antwortete dieser.
Ein kurzer Schrei entwand sich Frau Bernau's Brust,
sie wurde leichenblaß, ein Zittern durchlief ihren Körper,
es schien, als wenn eine Ohnmacht ihre Linne um-
fangen wollte. Doch mit männlicher Kraft bezwang sie
die Anwandlung, sie richtete den Oberkörper empor, und
nun wieder Herrin ihrer Sinne, sprang sie vom Stichle
auf und rief mit glänzenden Augen und freudestrahlen-
dem Gesicht:
„Sie lebt? Isabella lebt? Meine todtgeglaubtc
Tochter lebt? O, das ist des Glückes zu viel, zn viel!
Wo, Broockmann, wo lebt sie, wo weilt sie?"
„Sie wird morgen nach der Residenz kommen und
im Hause ihrer Stiefmutter, der Reichsgräfin Felscck,
wohnen, die mit ihrem Sohne schon seit einiger Zeit
sich hier aufhält."
Die glückstrahlenden Mienen der Frau Bernau ver-
schwanden Plötzlich bei Nennung dieses Namens und
das Gesicht nahm einen starren, stolzen Ausdruck an.
„Auch das noch," sagte sie leise und legte die Hand
auf das klopfende Herz.
„Und nun frage ich Sie, meine hochverehrte Freun-
din, noch einmal, wollen Sie jetzt nicht Ihrer Tochter,
der zukünftigen Königin dieses Reiches, den ehrlichen
Namen ihrer Mutter zurückgeben?"
Fran Bernau's Brust wogte, man sah es ihr an,
daß ein innerer, furchtbarer Kampf ihre Seele zerriß;
mit großen Schritten ging sie mehrmals im Zimmer
aus und .ab, Thränen stürzten aus ihren Augen, endlich
stellte sie sich vor Broockmann und sagte:
„Nein, ich kann es nicht!"
Da zuckte ein Blitz vom Himmel herunter und ver-
breitete ein so grelles Licht, daß es aussah, als wenn
das ganze Zimmer mit Feuer angesüllt wäre. Die
Anwesenden fuhren erschreckt empor und die Ausrufe:
„Hat es eingeschlagen, hat es gezündet?" verhallten in
dem furchtbaren, das Haus in seinen Grundfesten er-
schütternden Donner, der unmittelbar dem Blitze folgte.
Niemand hatte während dieses Geräusches es gehört,
daß die Hausthür sich geöffnet und ein Mensch den
Flur betrat.
„Sehen Sie," rief Doktor Fabricius, „der Birnbaum
wankt, er fällt, der Blitz hat ihn zerschmettert. Es ist
der Baum unter dem wir vorhin gestanden."
Auch Broockmann und Frau Bernau trateu an's
Fenster.
Ersterer legte die Hand aus die Schulter der Letzteren
und sagte:
„Haben Sie es gehört, wie der Himmel zürnend
Ihr ,Neiw beantwortet hat?"
„Der Himmel zürnt nicht, sonst hätte er nicht den
Birnbaum zerschmettert, sondern dies Haus und mich
dazu. O, hören Sie auf," fuhr sie erregt fort, „wollen
Sie mich tödten? Kann ich 'denn Ihren Wunsch er-
füllen? Rosenberg, der Einzige, der meine Unschuld
bezeugen könnte, ist nicht hier, und würde es nicht
thun, wenn er hier wäre; man könnte meine Aussagen
bezweifeln, und dem will ich mich nicht aussetzen,
mag ich darüber zu Grunde gehen. Die Beweise, die
ich habe — dort, in jenem Sekretär liegen sie in einem
versiegelten Packet - darf ich nicht ausliefern, denn
ich habe geschworen, das Geheimnis; zu bewahren, und
einen Meineid werden Sie mir nicht zumuthen! — Gott
da droben," betete sie laut, „gib mir Kraft, die ueuen
Stürme, die herausbrausen, mit Fassung und Standhaf-
tigkeit zu ertragen!"
In diesem Augenblick wurde in der offenen Thür,
die nach dem Flur führte, ein junger Mann sichtbar,
der mit beiden Händen den einen Thürpsosten ergriffen
hatte, als wenn er nicht die Kraft besäße, sich aufrecht
zu erhalten.
Frau Bernau wurde ihn zuerst gewahr.
„Willibald!" ries sie, „da bist Du ja! Nicht wahr,
Tu hast Dein Eramen bestanden, gut bestanden?"
Der Sohn nickte stumm mit dem Kopfe.
Sie eilte auf ihn zu; ohne in ihrer Aufregung
seine sonderbare Haltung zu bemerken, schloß sie ich, in
ihre Arme und sagte: „Nun hast Du Dein Studium
vollendet, nun kannst Du durch Deine Kenntnisse Dir
den Lebensunterhalt erwerben, o, sag's mir, daß Du
Dich glücklich fühlst in anständigen bürgerlichen Ver-
hältnissen und Dich nicht sehnst - "
Sie hielt Plötzlich inne, sie suhlte, wie Willibald
unter ihrer Umarmung zusammen sank und sein Haupt
sich auf ihre Schulter neigte.
„Mein Gott, was ist Dir?" rief sie ängstlich aus,
„bist Du krank?"
Der Sohn richtete den Kopf etwas in die Höhe
und sagte mit matter Stimme:

„Mir ist — so schwindlich — ich — glaube, der
— Blitz — hat mich — vorhin — gestreift."
Nach diesen Worten schien er noch mehr zusammen
zu sinken, so daß Frau Bernau Mühe hatte, ihn zu
halten.
„Großer Gott, er stirbt!" schrie sie wild, „Broock-
mann, Rettung! Willibald! Barmherziger Himmel!"
Die beiden alten Freunde standen ihr schon zur
Seite. Nach wenigen Minuten Ivar der Leblose aus's
E^opha gebracht, Broockmann löste ihm die Kleider,
rieb ihm die Stirn mit Hoffmannstropsen, die Frau
Bernau rasch herbeigeholt hatte, untersuchte sein Herz
und seinen Puls und sagte endlich:
„Es ist nur eine Ohmnacht, das Leben kehrt zurück,
er wird bald wieder erwachen!"
„Gott, mein Gott, hab' Dank für diese Gnade!"
rief Willibalds Mutter aus, und nun erst verfiel sie
in ein krampfhaftes Schluchzen.
„Sehen Sie her," sagte der alte Arzt, „hinter'::: Ohr
ist ein rother Streif, der sich, immer schwächer werdend,
über die Schulter bis auf den Arm hinaus erstreckt.
Der Blitz, der den Birnbaum zerschmettert, hat ihn in
der That berührt, o, wie leicht hätte er ihn tödtlich
treffen können!"
Er näherte sich der Freundin, ergriff ihre Hand und
fuhr iu fast bittendem Tone fort: „Sind denn alle diese
Ereignisse nicht im Stande, Ihr Herz zu rühren?
Nehmen Sie das Kreuz der Verachtung auf sich, es ist
ja nur für kurze Zeit, geben Sie Ihrem Sohne die
Stellung in der Welt, die ihm gebührt, Ihrer Tochter
die Mutter wieder, geben Sie ihn auf, den unnatür-
lichen Stolz, und nehmen Sie Ihren Freunden das
Mißtrauen, es könne dies Gefühl Ihnen höher stehen
als die Liebe zu Ihren Kindern."
„Sie kennen meine Meinung, Herr Geheimrath, und
nun genug davon, Willi rührt sich, er schlägt die Augen
aus."
Und dem war so. Willibald war aus der Ohn-
macht erwacht. Er suhlte sich vollkommen wohl, so daß
er sich schon bald aus seiner liegenden Stellung erheben
konnte. Nach einer Stunde schon konnte er sich ohne
Anstrengung bewegen und waren seine Kräfte vollständig
zurückgekehrt.
Broockmann blieb so lange dort, dann erst ent-
fernte er sich und ging zu Fuß bis zum nächsten
Wirthshaus, wo er vorhin seinen Wagen hatte stehen
lassen. Mit betrübtem Herzen, daß seine langjährige
Freundin durch keine Ueberredung, durch keine Thatsachen
zu bewegen gewesen, ihre starren Gefühle des Stolzes
dem Glück ihrer Kinder unterzuordnen, fuhr er in die
Stadt zurück, noch weiter darüber nachdenkend, auf
welche Weise doch wohl noch dieses Ziel erreicht wer-
den könne.
Willibald blieb bis acht Uhr bei seiner Mutter,
danu ging er, völlig wieder hergestellt, zu Fuß nach
der Residenz, um in Gemeinschaft nut Konrad Boll-
heim und anderen Freunden an der Examenskneiperei
sich zu bethciligen. Zwei Dinge waren es, die seinen
Kops durchwogten, es waren die Worte, die seine Mutter-
gesprochen, kurz vor seinem Eintritt in's Zimmer,
als er halb betäubt an der Wand des Flurs ge-
lehnt hatte, und das, was der Geheimrath seiner Mutter-
gesagt, als man ihn noch für ohnmächtig hielt, während
seine Besinnung schon zurückgekehrt war. Es waren
sonderbare Gedanken, die ihn schmerzten und betrübten,
die er tief in sich verschloß, damit er von keiner Seite
die Bestätigung eines Verdachtes erhielt, der ihm ge-
kommen. Die Bestätigung hätte ihu zerschmettert.
Seine Mutter hatte eine Tochter. Nein, verhört hatte
er sich nicht! O, diese Thatsache war schrecklich!
Eine tiefe Traurigkeit befiel ihn. Um diese nicht
fortwährend verbergen zu müssen, änderte er seinen Ent-
schluß, die nächste Zeit auf der Insel zu wohnen, da-
her um, unter dem Vorgeben, sofort seine Doktordisser-
tation zu beginnen.
Nach einigen Tagen stand im Abendblatt unter der
Neuigkeitsrubrik, daß der Kandidat der Jurisprudenz,
Bernau, beim letzten Gewitter vorn Blitz, aber nicht
lebensgefährlich, getroffen worden sei. Noch einige Tage
weiter erhielt er einen Brief ohne Unterschrift fol-
genden Inhalts:
„Sehr geehrter Herr!
Durch Zufall las ich in der Zeitung, daß ein Kän-
ditat der Jurisprudenz, Namens Bernau, vom Blitz
getroffen. Nach eingezogenen Erkundigungen sind Sie
derjenige, den ich suche. Ein mir bekannter Mann ist
im Besitze sehr wichtiger Geheimnisse, die sich aus Ihre
hohe Geburt, den Verbleib Ihrer Schwester und die
Vergangenheit Ihrer Mutter beziehen. Wollen Sie die-
selben kennen lernen, so müßten Sie einen namhaften
Wechsel ausstellen, zahlbar nach Antritt Ihres großen
Erbes. Sind Sie geneigt, darauf einzugehen, so ant-
worten Sie mir posto restante unter der Adresse
O U. 6., wonach ich Ihnen dann Zeit und Stunde zu
einer näheren Besprechung angcben werde."
Willibalds Ueberraschung war grenzenlos, der Wunsch
Plötzlich ein lebhafter, diese Geheimnisse, welche die seine
Mutter ihm bis dahin vorenthalten, endlich kennen zu

! lernen. Aber ohne - den Rath des Onkel Geheimraths
wollte er nichts unternehmen. Als er Letzterem den
Bries gezeigt und dieser ihn gelesen, leuchteten die Augen
des alten Mannes auf und den Brief an Willibald
zurückgebend sagte er:
„Mich bindet ein Schwur, in dieser Angelegenheit
auch nur ein Wort zu sagen, ich darf Dir nicht einmal
einen Rath ertheilen. Thue, was Du für gut hältst,
aber was Du unternimmst, verschweige es Deiner Mutter
so lange, bis Du ihr einen bestimmten Erfolg nennen
kannst."
„Eine Frage, Onkel, ist sie unschuldig?"
„Ja, mein Sohn!"
„Gelobt sei Gott! Ja, ich will die Geheimnisse
kennen lernen, nun thue ich es mit freudigen: Muthe!"
Noch denselben Abend steckte er einen Brief in den
Briefkasten unter der Adresse T. Z. 0. poslo restauto.
7.
Die Frau Professor Dehnhardt bezog vom Staat
eine Pension, wovon sie, wenn sie keine besonderen Extra-
vaganzen sich erlaubte, anständig leben konnte. Sie be-
saß außerdem ein kleines Privatvermögen, das ihr von:
Bankier Bollheim schon seit vielen Jahren verwaltet
worden war. An der Erziehung ihres Sohnes hatte sie
nichts gespart, hatte ihn studiren, ihn verschiedene aus-
wärtige Universitäten besuchen lassen, für seine Aus-
bildung Alles gethan, was in ihren Kräften stand, bis
mit seinen: Examen die letzten hundert Thaler ihres
Privatvermögens verausgabt waren. Nach den: Examen
und der Promotion warf der junge Doktor sich während
zweier Jahre, in denen er bei seiner Mutter wohnte,
mit allen: Eifer aus das Studium der Geschichte und
machte zu gleicher Zeit die Vorstudien und ersten Ent-
würfe zu einer demnächst zu beginnenden Geschichte der
Römer. Aber um etwas Hervorragendes zu schaffen,
war es nothwendig, daß er Italien und Rom selbst
gründlich kennen lernte. Was aber machen, da zu einem
längeren Aufenthalt daselbst die Mittel fehlten?
Kurz entschlossen wanderte Fran Professor Dehn-
hardt zum Bankier Bollheim, um ihu um ein Darlehen
zu bitten. So schwer ihr der Gang wurde, so sehr-es
ihren Stolz verletzte, gewissermaßen als Bettlerin aus-
zutreten, so drängte sie alle derartigen Gefühle in den
Hintergrund, denn es galt ja der Zukunft ihres Sohnes,
und sie hielt es für ihre Pflicht, jede Regung des Stol-
zes zurückzuweisen, wenn es sich um das Glück ihres
einzigen Kindes handelte.
Bollhcim empfing sie wie immer sehr freundlich, und
nachdem sie ihr Anliegen vorgebracht, sagte er ihr, er
habe vor einiger Zeit ein Reisestipendinn: für junge
Gelehrte gestiftet, und da er ihren Sohn als einen sehr-
begabten, fleißigen jungen Mann kenne, so erlaube er
! sich, es ihm für zwei Jahre anzubietcn.
Frau Dehnhardt reichte gerührt den: Manne die
Hand, dessen Ruf der großartigsten Wohlthätigkeit die
> ganze Welt Pries und der nun auch ihren: Sohne zur
Erreichung seines Zieles verhelfen wollte. Als an: an-
deren Tage der junge Doktor Herrn Bollheim Persön-
lich seinen Dank abstattete, bat dieser ihn um die Ge-
fälligkeit, da er beabsichtige, sich vor den: Fischerthore
eine Villa zu bauen, sich, wenn er in Rom wäre, einen
genauen Riß der Villa Borghese, die er kenne, anfer-
tigen zu lassen und denselben ihn: zuznschickcn. Zu glei-
cher Zeit ersuchte er ihn, nach noch näher ihm zuzusen-
dcnder Angabe, behufs Ausschmückung seiner Villa, für
ihn daselbst verschiedene Kopien klassischer Skulpturen
und berühmter Oelgemälde zu besorge::. Beides ver-
sprach Doktor Dehnhardt. In Folge dessen entwickelte
sich zwischen Letzterem und den: Bankier eine lebhafte
Korrespondenz. Es blieb nicht allein bei dem Geschäft-
lichen, der junge Gelehrte theilte ihm auch seine sonstigen
Erlebnisse mit, so namentlich vieles über den Fortgang
seines geschichtlichen Werkes, und als es endlich von
Rom aus in den Druck gegeben wurde und sogleich
großes Aussehen machte, da erwirkte Bollheim, der mit
den meisten Professoren der Universität befreundet war
und beim Könige viel galt, daß Dehnhardt den erledig-
ten Stuhl der Geschichte erhielt uud zum Professor er-
nannt wurde.
Gleich nach dieser Ernennung eilte Dehnhardt in die
Heimath, mit ihm kamen wohlverpackt eine Menge der
kostbarsten Kunstschätze, womit die inzwischen vollendete
Villa geschmückt werden sollte.
Sein erster Weg war zu Bollheim. Zwischen ihn:
und seinen: Wohlthäter hatte sich durch jenen Brief-
wechsel eine Freundschaft gebildet, die auf gegenseitiger
Achtung und Anerkennung beruhte.
Sein Empfang von Seiten des Bankiers war ein
sehr herzlicher. Dehnhardt erbot sich, die werthvollen
Sachen, die er mitgebracht und die gleich nach der neuen
Villa hingeschafft waren, selbst mit auszupacken und den
günstigsten Platz für sie auszusuchen, was Bollheim
dankbar annahm.
Wilhelm Dehnhardt hatte zwei Jahre lang mit Her-
mine Stützer unter einen: Dache gelebt. Ihre Schönheit,
ihr Geist, ihr ganzes Wesen hatten ihn von vornherein
! mächtig angezogen. Es hatte sich ein freundschaftliches
 
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