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Heft 6.
und rang mit einer Ohnmacht. Daß sie den Sohn nicht
in seine Schranken verwies nnd sich nicht gegen diese
Anschuldigungen, die ihrer Ehre zn nahe traten, ver-
teidigte, galt Isabella als Beweis, daß die Vergangen-
heit ihrer Stiefmutter nicht fleckenlos gewesen nnd er-
regte in ihr den Verdacht, daß die zur Schau getragene
Würde eine angenommene Maske sei. Ihr sittliches
Gefühl war verletzt, und als fie noch denselben Abend
diese Eindrücke ihrem Verlobten mittheilte, da erfuhr
sie von ihm mit Schrecken, daß der Ruf der „wilden
Prinzeß" früher allgemein kein guter gewesen. Er bat
fie aber, sich zusammen zu nehmen und dort auszuharren
bis zu ihrer Vermahlung, zumal da die Prinzessin Taille
die Mutter unter ihren Schutz genommen und von ihrer
Besserung überzeugt sei. Es könne ja auch sein, daß sie
sich wirklich gebessert habe.
Isabella versprach es, aber der Aufenthalt im Hanse
ihrer Stiefmutter war ihr aber von nnn an verleidet.
In den Verlobungsseierlichkeiten war eine wohl-
thuende Pause eingetreten. Nur am Abend sollte das
Brautpaar durch die Hauptstraßen der durch eine glan-
zende Illumination erleuchteten Stadt fahren nnd darauf
im Schlosse ein Souper cm tamille einnehmen.
Isabella wollte den heutigen Tag benutzen, um der
Frau Professor Dehnhardt eineu Besuch zu machen.
Zugleich aber sollte der Besuch dem jungen Professor
gelten. Unter den nachgelassenen Papieren ihres Groß-
vaters hatte sie ein ManuscriPt von des Letzteren Hand
geschrieben gefunden, sowie zwischen dem Einband und
der ersten Seite dieses Manuseripts einen Bries fol-
genden Inhalts:
„Herrn Doktor Wilhelm Dehnhardt in Rom.
Sehr geehrter Herr!
Der erste Band Ihres vortrefflichen Werkes: Ge-
schichte der Römer, ist mir zur Ansicht zugeschickt und
habe ich denselben mit dem größten Interesse durch-
gelesen. Die neuen Gesichtspunkte, die sie aufgestellt in
Bezug auf die Zeit der Könige, Ihr historischer Scharf-
blick nnd die hervorragende Kombinationsgabe haben
mich zu höchster Bewunderung hingerissen.
Beifolgend erlaube ich mir, Ihnen meine Aufzeich-
nungen und Abbildungen über einige höchst wichtige
Funde, die ich gemacht, zuzuschicken, in der Überzeugung,
daß sie Ihnen bei Ihrer weiteren Arbeit von Werth
sein werden. Die Entdeckungen, die ich bei Ausgrabungen
am Lago di Perngia, dem früheren Trasimenischen See,
gemacht, werfen ein ganz neues Licht aus die Stellung
der Punier und der Kohorten des Flaminius.
Ferner
Hier endete der Bries und war ohne Unterschrift.
Wahrscheinlich hatte das eintretende Unwohlsein
ihres Großvaters es verhindert, den Brief zu Ende zu
schreiben. Der Tod hatte den Grafen Brede ereilt und
die Aufzeichnungen, die dem Geschichtsschreiber von Nutzen
hätten sein sollen, waren liegen geblieben.
Erst vor ganz kurzer Zeit hatte Isabella das Ma-
nuscriPt mit dein Bries zwischen geschichtlichen Werken
auf dem Bücherbord zufällig gesunden und sich vor-
genommen, dasselbe dem Adressaten des Briefes mit
nach der Residenz zu nehmen, vielleicht konnte er es
uoch gebrauchen.
Es war um die Mittagsstunde; die junge Reichs-
gräfin rüstete-sich, den Besuch bei der Frau Professor
Dehnhardt zu machen, als ihre Stiefmutter zu ihr in's
Zimmer trat.
„Verzeihe, liebe Isabella," sagte Letztere, „wenn ich
störe. Du hast die Equipage bestellt — darf ich mir
die Frage erlauben: Willst Du ausis Schloß?"
„Nein, Fran Mama!"
Sie sagte auch nicht weiter wohin sie wollte. Warum
auch? Es war ja nur eine Bürgerliche, mit der sie daS
heilige Baud der Freundschaft verknüpfte, um deretwillen
sie das Haus zu verlassen beabsichtigte, sie sah es für
eine Prosanation an, in diesem Hause vielleicht dar-
über streiten zu müssen, ob es für eine künftige Königin
„schicklich" sei, diese Freundschaft fernerhin zu unterhalten.
Die Prinzessin wand den kleinen Aerger über dies
einfache Nein ohne jeden Zusatz rasch hinunter und fuhr
in freundlichstem Tone fort:
„Wenn Du Deine Ausfährt vielleicht, ohne daß es
Dich gcnirt, eine Viertelstunde verschieben könntest und
die Freundlichkeit haben wolltest, einen Besuch, den ich
sogleich erwarte, mit zu empfangen, so würdest Du mir
eiue sehr große Gefälligkeit erzeigen."
„Sehr gern, Frau Mama. Welchen Besuch erwarten
Sie?"
„Den des Freiherrn v. Bollheim und seiner Tochter.
Er ist der Rothschild unseres Landes, die Tochter sehr
hübsch, ich habe gegründete Hoffnung, daß wir bald
mit ihnen in ein nahes Verhältnis; treten werden."
„Durch eine Heirath Andreas' mit der Tochter?"
fragte Isabella verwundert.
„Ja."
„Und die Tochter ist damit einverstanden?"
„Warum sollte sie nicht? Es ist der Wunsch des
Vaters. Sie wird Erlaucht, und wir lassen die
Skrupel über eiue fehlende Ahnenreihe durch einige
Millionen ohne Schwanken in alle Winde fliegen."

Das Buch für Alle.

„Kennt sie denn Andreas?"
„Sie haben sich gegenseitig bis jetzt noch nicht ge-
sehen."
„So wird doch noch die Frage sein, ob sie ihn lieben
kann!"
„Lieben, ma obere lills? Ich dächte, in unserem
Stande wäre cs gerade nicht die erste Frage."
„Sie müßte es in jedem Stande sein."
„Bei ihrem Range so spießbürgerliche Gedanken?"
dachte die Prinzessin, sagte aber laut: „Du hast im
Allgemeinen vollkommen Recht, nur sind Standes- und
Vermögensinteressen doch nicht immer so ganz von der
Hand zu weisen. Andreas hat, ich muß es leider be-
kennen, wie die meisten jungen Leute aus der höheren
Gesellschaft es zu thun pflegen, etwas ungebunden ge-
lebt, ich hoffe, daß eine Fran, nnd noch dazu eiue so
hübsche Frau, ihu zu eiuem regelmäßigen Leben, das
für seine Gesundheit so höchst nothwendig ist, zurückführen
wird. Klara v. Bollheim ist ein entzückendes Kind.
Sie wird ihn lieben lernen, sie wird — Ah," unter-
brach sie sich, als sie vernahm, daß ein Wagen rasch
heranrollte und vor dem Hause still hielt, „da kommen
sie wahrscheinlich schon."
Sie eilte an's Fenster und warf einen Blick auf die
Straße.
„Sie siud es," sagte sie, „darf ich Dich bitten, mir
in den Salon zu folgen?"
Isabella folgte schweigend der voranschreitenden
Mutter; aus dem Korridor ries Letztere dem Diener
Joseph zu, er möge Seine Erlaucht benachrichtigen, daß
der erwartete Besuch gekommen, und beide Damen betraten
den Empsangssalon. Gleich daraus meldete der Kammer-
diener Hantelmann den Freiherrn und das gnädige
Fräulein v. Bollheim.
Isabella sah dem augekündigten Besuche mit einiger
Spannung nnd Neugierde entgegen.
„Die Tochter eines geadelten Kaufmanns," dachte
sie, „vielleicht selbst getrieben von ehrgeiziger Sehnsucht
uach dem Erlauchttitel, im Voraus schon einverstanden
mit dem Plane, ohne noch den Gegenstand der Wahl
ihres Vaters gesehen zu haben, eitel, hochfahrend" — sie
machte sich kein gutes Bild von ihr.
Aber wie wenig entsprach das liebliche, unschuldige
Kind diesem Bilde, das jetzt mit einer natürlichen, un-
gekünstelten Anmnth über die Schwelle schritt. Da war
kein Merkmal von Eitelkeit und Hofsart, weder in dem
zwar standesgemäßen aber einfachen Anzug, noch in
den jugendlichen, einen reinen, unentweihten Charakter
wiederspiegelnden Gesichtszügen. Hier war keine Be-
rechnung, keine Sucht zu glänzen, hier war nichts als
reizende Natürlichkeit, eine Blume, die nur im Sonnen-
schein der Liebe weiter gedeihen konnte, an der Seite
eines Wüstlings aber verkümmern und zu Grunde gehen
mußte.
Als Klara der jungen Reichsgrüfin vorgestellt wurde,
erröthete sie leicht, eiu Auslug von Verlegenheit malte
sich ans ihrem Antlitz, sie schlug aber nicht die Augen
nieder, sondern sah Isabella voll an, als wenn sie mit
einem großen, tiefen Blick die stolze, königliche und doch
von einem wunderbaren Liebreiz umflossene Erscheinung
in sich ausnehmen wollte, um sie für immer ihrem Ge-
dächtnis; einzuprägen.
Jsabella's Herz flog dem schönen Mädchen mit den
großen blaueii, so seelenvoll blickenden Augen, die, in
reizendem Kontrast zu dem vollen blonden Haar, von
schwarzen Brauen überwölbt wurden, nach dem ersten
Blick in das liebliche Gesicht sofort entgegen.
Als die gegenseitigen Begrüßungen und Vorstellungen
zu Ende waren, führte die Prinzessin den Bankier in
die Ecke links, wo ein großer Sopha stand, auf dem
Beide Platz nahmen, Isabella wies aber mit der Hand
nach rechts hinüber, wo in der Nähe des letzten Fensters
zwei kleine Fauteuils standen.
„Wollen wir uns dort setzen, Fräulein v. Bollheim?"
„Wo Sie befehlen."
Nachdem sie sich gesetzt, sagte Isabella, um ein Ge-
spräch zu beginnen:
„Sie waren gestern im Theater mit Ihrem Herrn
Vater, meine Mutter machte mich auf Sie aufmerksam,
ich konnte aber doch die Gesichter nicht deutlich erkennen
— wie hat Ihnen die -Oper gefallen?"
„Sehr gut."
„Auch nur hat sie ganz besonders gefallen. Und
die neue Sängerin hat ja eine wahrhaft entzückende
Stimme. Maria Wellbrandt — wo nur habe ich schon
diesen Namen gehört?"
„Gewiß aus Hermine Stölzer's Munde," antwortete
Klara in eigenthümlichem flüsterndem Tone.
„Mein Gott, Sie wissen — kennen Sie Hermine?"
fragte Isabella ebenfalls leise.
Klara konnte nicht antworten, denn in diesem Augen-
blicke wurde die Thüre mit etwas Geräusch aufgerisseu
und Andreas trat in's Zimmer.
Nun erfolgte abermals eine gegenseitige Vorstellung.
Alle hatten sich erhoben, auch Isabella, doch nur zu
dem Zweck, um Klara's Gesicht geuau zu beobachten
nnd zu sehen, welchen Eindruck Derjenige Hervorrufen
würde, der ihr zum künftigen Gemahl bestimmt war.

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Das Gesicht des jungen Mädchens spiegelte diesen
Eindruck nur zu deutlich wieder. Sie erinnerte sich
plötzlich Tante Beatens Reden, ihr Auge blickte eiuen
Augenblick starr auf die bleiche Gestalt, die ihr einen
förmlichen Schrecken einzuflößen schien, dem: momentane
Blässe hedeckte ihr Gesicht, nnd es war, als wenn sie
innerlich erschauerte.
In Reichsgraf Andreas' Antlitz aber begann ein
Mienenspiel, als seine Mutter ihn vorstellte, als wenn
er Plötzlich eine Geistererscheiunng sähe. Seine Augen
erweiterten sich, um seine Lippen zuckte es krampfhaft,
er war unfähig, ein einziges Wort hervor zu stoßen
und suchte schweigend, mit einem Ausdruck in seinem
Gesicht, als wenn ihn; soeben etwas Unbegreifliches,
Unfaßbares passirt sei, einen Stuhl in der Nähe des
Sopha's auf, wo Herr v. Bollheim und die Prinzessin
wieder Platz genommen hatten, von wo aus er unver-
wandt das junge Mädchen anstarrte.
Nachdem Klara und Isabella sich ebenfalls wieder
gesetzt, ließ Letztere ihr Taschentuch fallen, und während
sie sich bückte, flüsterte sie ihr leise zu:
„Ich muß Sie sprechen, allein, gehen Sie ans das
Gespräch ein, das ich sogleich beginnen werde."
Klara nickte zum Zeichen, das; sie es verstanden, leicht
mit dem Kopfe.
Die Prinzessin und Bollheim unterhielten sich sehr
lebhaft über die verschiedensten Gegenstände. Die Reichs-
gräfin suchte absichtlich ihren Sohn nut in's Gespräch
zu ziehen, aber jedesmal, wenn er angeredet wurde, war
es, als wenn er aus einem Traume erwache, er gab
nur höchst einsilbige Antworten und sah nach wie vor-
unverwandt auf das junge Mädchen am Fenster.
Der Mutter war dies sonderbare Wesen ihres Soh-
nes gerade in diesem Augenblick sehr unangenehm. Er
verstand ja doch sonst Wohl zu sprechen — sollte er sich
unwohl fühlen oder das hübsche Kind ihm wirklich nicht
gefallen? Wenn er auch mit körperlichen Vorzügen
nicht glänzen konnte, so war er doch im Stande, Geist
zu zeigen und mit guten Bemerkungen die Unterhaltung
zu beleben.
Auf dem Sopha entstand in der Konversation eine
augenblickliche Pause, und diese rasch benutzend sagte Isa-
bella mit lauter Stimme:
„Waren Sie schon in Italien, Fräulein v. Bock-
heim?"
„Nein, noch nie, ich möchte aber sehr gern einmal
eine Reise dahin machen."
„Aber Sie, Herr Baron, sind gewiß schon dort ge-
wesen," rief sie fragend nach dem Sopha hinüber.
„Nein, Erlaucht," erwicderte Bollhcim, „ich reise nie.
Ich leide an einem Fehler, der jedes Reisen untersagt,
nämlich an einem ausgeprägten Heimweh nach meiner
Häuslichkeit, das mich schon befällt, wenn ich nur einen
Tag von der Stadt entfernt bin."
„Würde es Ihnen auch so ergehen, mein Fräulein?"
„O nein, das glaube ich nicht."
„Ich habe fast mein ganzes Leben am Comersee zn-
gebracht und von dort aus Italien nach allen Richtun-
gen durchstreift, aber wie schön die Welt ist, lernt man
dort erst kennen."
„Der Comersee und seine Umgebungen sollen nament-
lich sehr schön sein," sagte Klara.
„D, entzückend ist es dort! Prinz Ferdinand hat
mir auch versprochen, jährlich einige Wochen mit mir
dort zuzubringen. Sie kennen den See doch aus Ab-
bildungen, Fräulein v. Bockheim?"
„Eigentlich kaum," erwicderte Klara, der eine Ahnung
aufdämmerte, wo die Sprecherin hinaus wollte.
„Dann wird es Sie gewiß interessiren, meine Mappe
zu sehen, die Photographieen enthält von unserer Villa
und vielen anderen schönen Punkten der Ufer."
„Ganz gewiß, ich würde Ihnen sehr dankbar sein."
„Da muß ich Sie aber bitten, sich mit mir in meine
Gemächer zu verfügen."
„Mit Vergnügen."
„Herr v. Bollheim," wandte sich Isabella an diesen,
„Sic gestatten mir wohl, Ihre Fräulein Tochter für
einen Augenblick zu entführen, sie hat Interesse für mei-
nen Comersee, und da bin ich gleich selbst ganz Be-
geisterung."
Die beiden jungen Mädchen entfernten sich. Andreas
machte, als sie durch die Thüre schritten, eine Be-
wegung, als wenn er ihnen folgen wollte, setzte sich aber
doch sosort wieder nieder.
In einem reizenden kleinen Boudoir, dem ersten der
von Isabella bewohnten Zimmer, sagte Letztere, nach-
dem sie die Thüre sorgfältig geschlossen:
„Verzeihen Sie, Fräulein v. Bollheim, das; ich diese
kleine List gebrauchte, um ungestört an Sie die Frage rich-
ten zu können, was wisseu Sie über Hcrmiue? Sie ist
verschwunden — schon seit Wochen habe ich keinen Bries
mehr von ihr bekommen, und auch Frau Professor Dehn-
hardt, bei der ich mich erkundigen ließ, weiß mir keine
Auskunft zu geben. Es muß ihr etwas ganz Außer-
ordentliches begegnet sein — noch heute wollte ich selbst
zur Frau Professor, um mir die näheren Umstände von
ihr mittheilen zn lassen. Sie scheinen sie zu kennen,
o, sagen Sie mir, wenn es Ihnen bekannt ist, wo i
 
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