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19l)

Am Rande der Blöße legte er sich nieder und kroch
vollständig geräuschlos bis an die Hintere Seite des
Hauses, welche im Schatten lag. Hier blieb er einige
Augenblicke ruhig und bewegungslos.
„Nun gilt es, zehnfach Achtung geben! Der Hermann
will mich in der Stube sangen und kann mir darum
Wohl gar hier eine Falle bereitet haben. Wir wollen
sehen, wer der Schlaueste von uns Beiden ist!"
Niemand hatte ihn bemerkt. Er erhob sich an einem
der Fenster und legte das Auge an eine Ladenspalte,
durch welche ein schmaler Lichtstreifen schimmerte. Hie-
bei hemerkte er, daß der Laden nicht geschlossen, sondern
nur angelehnt war.
„Das sind mir die Rechten; nehmen es mit dem
,Samiell auf und vergessen, die Fenster Zu schließen!
Ja, da sitzen sie, der Hermann und der Förster, und
meine Sachen liegen daneben auf der Erde. Die Un-
vorsichtigen haben gar ihren Rücken gegen das Fenster
gekehrt, so daß sie mich überhaupt nicht bemerken können.
Jetzt gilt es! — — Soll ich schießen — — ? Ja,
ich schieße — ich muß ja, wenn ich nicht in das Zucht-
haus will!"
Er nahm langsam und noch zögernd das Gewehr
empor.
„Jetzt stehe ich zwischen Tod und Leben, zwischen
Himmel und Hölle! Ist mir's wirklich gleich, was ich
thue? Erst wollte ich nur den Förster von der Stelle
treiben, des Baters halber und auch von wegen dem
Hermann und der Pauline. Kann ich dafür, daß es
weiter geht? Was sagte er denn heut? Ich hätte den
Teufel in der Seele, der mich zum Bösen treibt? Nein,
Lakai, nicht den Teufel, sondern Dich habe ich in der
Seele, Du bist an Allem Schuld, Du allein treibst
mich immer tiefer in das Böse hinein und hast es auch
jetzt nicht anders gewollt! Fahre hin, Du und der
Alte dort — — ich schieß!"
Er zog den Laden so weit als nöthig herüber und,
ohne in seiner Aufregung die im Zimmer Sitzenden
nochmals genauer anzusehen, legte er schnell an. Im
selben Augenblicke krachte auch ein Schuß durch die
lautlose Nacht, noch einer — — — ein schallendes
Gelächter ertönte hinter ihm.
„Seit wann schießt der gewaltige ,Samiell denn auf
Puppen statt aus Zwölfer? Diese Art von Wild treffe
ich mit meiner Hollunderflinte Wohl auch!"
Der Schütze stand da, das Gewehr noch im An-
schläge, und starrte mit weit ausgerissenem Auge den
Förster an. Ein Zweiter trat hinzu und zog ihm den
tief hereingedrückten Hut vom Kopfe. Hermann war es.
„Der ,Samiell trägt ja Locken grad wie die Wiesen-
bäuerin! Nimm den Bart weg, Lisbeth!"
Ein Schrei, so furchtbar und entsetzlich, als stoße
ihn ein wildes Thier in der größten Todesnoth aus,
eutrang sich der Brust des entlarvten Weibes; dann
ließ sie die Büchse fallen und brach lautlos zusammen.
„Tie hat genug!" meinte der Förster. „Greif zu,
Hermann, damit wir sie in die Stube bringen!"
Beide trugen die Unselige hinein, dann rief der
Förster die beiden Frauen herbei, welche eingeweiht ge-
wiesen waren und in einem der oberen Räume mit ängst-
licher Spannung aus das Ergebniß der Kriegslist ge-
wartet hatten.
„Kommt her, wir haben sie! Der Hermann hat
sein Wort gehalten und den Preis gezahlt. Geh hin
zu ihm, Pauline, und danke ihm, daß er uns befreit
hat von dem Feinde, der unser Unglück wollte!"
Trotz des ernsten Augenblickes strahlte ein wonniges
Lächeln aus dem Angesichte des Mädchens, als es zum
Geliebten trat und ihm nun vor den Augen der Eltern
die Hand bot.
„Der Dank bleibt mir gewiß," meinte Hermann.
„Nimm Dich jetzt mit der Mutter der Bäuerin an, da-
mit ihr das Bewußtsein wiederkommt!"
Noch waren die beiden Frauen mit der Ohnmächti-
gen beschäftigt, die schon Zeichen des zurückkehrenden
Lebens von sich gab, als es draußen an die Thür klopfte
und auf die Frage des Försters sich die Stimme des
Wirthes vernehmen ließ.
„Wie ist es gegangen, Blößenförster? Wir haben
die Schüsse gehört und uns gleich aufgemacht, um nach-
zufchauen, wie es steht."
„Kommt herein, wenn Ihr es sehen wollt!"
Er ging hinaus, um zu öffnen. Es fehlte keiner
der Gäste, und unbeschreiblich war ihre Verwunderung,
als sie vernahmen und sahen, wer der gefürchtete Wild-
dieb gewesen war. Alles drängte sich herbei, um die
Bäuerin in Augenschein zu nehmen, und bei der außer-
ordentlichen Bewegung, welche rings im Kreise herrschte,
bemerkte Keiner, daß die Gefangene zuweilen einen ver-
stohlenen Blick unter den gesenkten Wimpern hervorwarf,
um ihre Umgebung zu durchmustern.
Die Besinnung war ihr vollständig zurückgekehrt,
sie erkannte, daß Rettung unmöglich sei und keine Macht
der Erde ihr mehr helfen könne. Dort an der Wand
hing die „Hollunderflinte", die sie einst dem Förster zu-
rückgelassen hatte. Sie war geladen; die Kugel sollte
ihn oder den ,Samicll treffen, wie er geschworen hatte.
Noch lange tag sie unter finstern Gedanken regungslos

Das Buch für Alle.
lind ließ die Schmähungen der Umstehenden über sich
ergehen. Plötzlich aber tönte ein allgemeiner Schrei
durch das Zimmer. Sie war emporgesprungen, hatte
die im Wege Stehenden, die einen solchen Angriff nicht
erwarteten, bei Seite gestoßen, das Gewehr herabgerisfen
und war durch die noch offen stehenden Thüren davon-
gesprungen.
„Ihr nach, ihr nach!" rief der Förster, indem er
zugleich das Beispiel gab und ohne Verzug in die mon-
deshelle Nacht eilte.
Die Andern folgten. Sie kamen eben noch recht-
zeitig, um die Fliehende am Rande der Blöße verschwin-
den zu sehen. Sie hatte den Weg nach dem Dorfe ein-
geschlagen. Wollte sie nach Hause? Die Antwort sollte
den Verfolgenden bald werden. Ein Schuß krachte,
Hermann hatte den Förster überholt; als er an die
stelle kam, wo er in der Abenddämmerung mit ihr
gerungen hatte, stieß sein eilender Fuß an einen im
Wege liegenden Körper. Er hielt den Schritt zurück
uud bückte sich ahnungsvoll zur Erde. Sie war es!
Bald standen die Uebrigen bei ihm. Der Förster
untersnchte die Todte; die Kugel war ihr grad in das
Herz gedrungen.
„Der ,Samiell hat ausgespielt," meinte er, nicht we-
niger ergriffen als die Andern. „Gott sei der armen
Seele gnädig! Laßt uns ein Vaterunser beten!"
Die Männer entblößten ihre Häupter und falteten
die Hände. Auch Hermann folgte der Aufforderung
des alten rauhen Mannes. Er fühlte sich im tiefsten
Herzen gepackt von dein Schicksale, welches die einst von
ihm Geliebte ereilt hatte. „*Fahr hin und geh' zu
Grunde!" hatte sie ihm vorhin in besinnungslosem
Grimme zugerufen — das Schicksal hatte es anders
gewendet und dieser Fluch war der Abschluß ihres eige-
nen Lebens geworden.

Der Vampyr.
Aus der Geschichte des Volksaberglaubcns.
Von
Kitlw ZeiHmann.
(Nachdruck verboten.)
Ein Weites Reich ist es, über welches der Aberglaube
gebietet, noch heute fast unabsehbar trotz der Aufklärung,
deren sich unser Jahrhundert rühmt, und mannigfaltig
find die Formen, in denen er sich äußert, seltsam und
wunderlich oft die Phantome und Schreckbilder, mit
denen er Vorstellungen und Herzen der Menschen erfüllt.
Zu den seltsamsten dieser unheimlichen Gestalten gehört
der Spuk, den man an der unteren Donau, in Serbien,
Rumänien, Bulgarien, auch wohl in Griechenland als
Vampyr, im südwestlichen Asien als Ghoul bezeichnet.
Beides sind Gespenster, welche bei Nacht den Grabern
entsteigen, Menschen umbringen und diesen das Blut
aussaugen, um sich selbst dadurch bei hübschem und
wohlgenährtem Aussehen zu erhalten. Schon die alten
Hellenen der kleinasiatischcn Küsten hegten den näm-
lichen Aberglauben; nur nahm der Vampyr bei dem
knnstempfünglichen Volke eine freundlichere Gestalt an,
die Figur eines schönen jungen Weibes, das als Lenia
durch verführerische Koketterie Jünglinge an sich lockte,
um deren frisches, reines Blut zu genießen. Die byzan-
tinischen Griechen glaubten, daß die Leiber Derjenigen,
welche im Kirchenbannc starben, durch den Teufel vor
der Verwesung bewahrt und mit einer Art von neuem
Leben ausgestattet würden, damit sie in der Nacht ihre
Särge verlassen und ihrem grauenhaften Blutwerke
nachgehen könnten. Wollte man sich von diesen Un-
holden, den Burkvlakkä oder Tympanitä, befreien, so
mnßte man zuvörderst die Aufhebung des noch auf ihnen
lastenden Kircheilbannes bewirken und die Leichen nach-
her den Flammen überantworten.
In den erwähnten Ländern lebt denn auch eine
Menge von Vampyrgeschichten im Munde des Volkes
fort. So erzählt der berühmte Botaniker Joseph
Pitton de Tournefort, der auf Antrag der französischen
Akademie von Ludwig dem Vierzehnten im Jahre 1707
zu wissenschaftlichen Forschungen nach der Levante ge-
schickt wurde, vou einem Vorfälle, welcher während
seines Aufenthaltes in Griechenland ein außerordentliches
Aufsehen hervorries. Unweit Mykouo auf der gleich-
namigen Cykladeuinsel hatte man einen Bauer ermordet
gefunden. Bei Lebzeiten streitsüchtig und gewaltthätig,
war der Mann ganz der Schlag von einem Menschen
gewesen, wie er dem Volksglauben gemäß nach dein
Tode als Vampyr umzugehen Pflegt. Wenige Tage
nach seiner Ermordung verbreitete sich in der Gegend
auch das Gerücht, der Erschlagene wandere Nachts mit
hastigen Schritten umher, lösche in den Häusern die
Lichter aus, belästige die Menschen uud treibe allerhand
sonstigen Unfug. So Viele wollten das Gespenst mit
ihren eigenen Äugen gesehen und seine Finger an ihren
eigenen Leibern verspürt haben, daß schließlich ^auch die
Priester wohl oder übel gezwungen waren, den Spnk für
wahr und wirklich zu erklären. Nun wurden in den
Kirchen feierliche Messen dagegen gelesen und Ceremo-
nien veranstaltet, die den Vampyr aus dem todten '

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Manne austreiben sollten. Endlich, zehn Tage nach
feiner Bestattung, ward der Leichnam wieder aus-
oegraben und ihm das Herz ausgeschnitten, das man
alsdann am Strande verbrannte, wie das der Gebrauch
forderte, wenn man sich eines Vampyrs entledigen
wollte. Das Alles blieb jedoch ohne den erhofften Er-
folg. Fort und fort sollte der Geist im Dorfe sich
zeigen und alles mögliche Unheil anrichten, die Bauern
in der Nacht mit Schlügen überfallen, Thüren auf-
brechen, Dächer abdecken und Fensterläden zertrümmern.
Alt und Jung begann daher eine unbeschreibliche Panik
zu ergreifen; Viele flohen aus ihren heimathlichen Wohn-
stätten, und wer an Ort und Stelle verharrte, der
wagte vor Schrecken sich kaum noch zu rühren. Man
stellte die strengsten Fasten an, organisirte Wallfahrten
nnd Bittgänge und besprengte Thüren und Fenster der
Häuser mit Weihwasser. Umsonst — der Spuk währte
fort. Da beschloß man endlich, den Leichnam selbst
durch brennendes Pech und Werg zerstören zu lassen
und führte trotz des Protestes der Priester, die sich
solch „heidnischem" Gebühren widersetzten, das Vor-
haben aus. Wie Tournefort berichtet, der sich weislich
gehütet hatte, in der Sache eine Meinung zu äußern, ward
fortan von dem tückischen Vampyr nichts mehr vernommen.
Achtzehn Jahre später setzte eine Vampyrgeschichte
in Siebenbürgen, nahe der ungarischen Grenze, die Ge-
müther in unbeschreibliche Aufregung. Ein Landmann
aus Madweiga, Namens Arnold Paul, also wahrschein-
lich ein siebenbürgischcr Sachse, kam durch den Sturz
von einem hochbeladenen Heuwagen um das Leben.
Einen Monat darauf starben vier Personen, der Volks-
meinung nach unter allen Symptomen, cfls sei ihnen
von Vampyren das Blut aus den Adern gesogen wor-
den. Einige der Bewohner des Ortes wollten sich er-
innern, daß der Verunglückte öfters von Belästigungen
erzählt hatte, die ihm ein Vampyr bereite, und schlossen
hieraus, daß der einst passive Vampyr nunmehr sich in
einen aktiven verwandelt haben möge. Stimmt solche
Auffassung doch völlig überein mit dem allgemein ver-
breiteten Glauben: der Mensch, welchem während seines
Lebens das Blut von einem Vampyr ausgesogen wird,
thut das ihm Geschehene nach seinem Tode Anderen an.
Man grub daher Paul's Leichnam aus, trieb demselben
einen Pfahl durch das Herz, trennte den Kopf von:
Rumpfe und verbrannte schließlich die sterblichen Ueber-
reste des Verstorbenen. In ähnlicher Weise ward mit
den Leichen jener einen Monat nach Paul von der Erde
abgerufenen Personen Verfahren, um in der Sache ganz
sicher zu gehen. Auch dies jedoch schien nichts geholfen
zu haben. Sieben Jahre nach den hier erzählten Be-
gebnissen, 1732, starben im selben Dorfe nicht weniger
als siebenzehn Menschen kurz nach einander. Sofort
kam den Bauern des Ortes der arme Arnold Paul
wieder in's Gedüchtniß. Zweifellos trug er als Vam-
pyr auch an dem plötzlichen Aoleben dieser Siebenzehn
Schuld und konnte nur zur endlichen Ruhe gebracht
werden, wenn man auch sie behandelte, wie man es
mit den Vier gethan hatte, was denn auch unverzüglich
in's Werk gerichtet wurde. Jedenfalls, so suchte man
sich das merkwürdige Ereigniß zu erklären, hatte Arnold
mit seinen Nampyrgelüsten auch Rinder und Schafe
nicht verschont; das Fleisch dieser Thiere war dann
von den Sicbenzehn genossen und dergestalt der Tod
dieser Letzteren verursacht worden.
Die Geschichte machte zu ihrer Zeit nicht geringe
Sensation. In Deutschland erschien eine ganze Lite-
ratur von Schriften für und wider die Sache, u. a. zu
Leipzig i. I. 1734 aus der Feder eines gewissen Ranft
ein viele interessante Einzelheiten enthaltender „Traktat
von dem Käuen und Schmatzen der Todten in Grä-
bern, worin die wahre Beschaffenheit derer hungeri-
scher Vampyre und Blutsauger gezeiget, auch alle von
dieser Materie bißher zum Vorschein gekommenen
Schriften recensiret worden", den wir unserer Dar-
stellung theilweise zu Grunde legen. Ludwig der Fünf-
zehnte von Frankreich verfolgte den Vorfall nut so
großer Aufmerksamkeit, daß er seinen Gesandten am
Wiener Hose beauftragte, die wunderbare Angelegenheit
näher untersuchen zu lassen. Demzufolge wurden viele
Zeugen vernommen, von denen die meisten eidlich ver-
sicherten, die ausgegrabenen Leichen haben wenige der
Erscheinungen gezeigt, die todten Körpern eigeuthümlich
sind, auch seien ihre Adern noch voll von Blut gewesen
— Anzeichen, wie sie in allen solchen Fällen beobachtet
wurden. Verschiedene Aerzte fühlten sich daher zu der
Annahme geneigt, es möchte veilleicht Katalepsie oder
Starrsucht im Spiele gewesen sein, die sich bei gewissen
Epidemien zuweilen einstellt. Damit ist freilich der
Schleier von dem mysteriösen Vorgänge selbst wie von
dem Ursprünge des seltsamen Aberglaubens nur wenig
gelüftet.
In Epirus nnd Thessalien glaubt man an lebende
Vampyre, Menschen, welche Nachts ihre Hütten ver-
lassen und, in der Gegend umherstreifend, Menschen
und Thiere beißen und zerfleischen. Aehnliche Unge-
thüme sind die Prikkolitsch in der Moldau und die
Mnrony der Walachei, dem Werwolf unserer deutschen
Mythe verwandt. Auch sie find leibhaftige lebendige
 
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