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242

seine Zähne schlugen klappernd wie im Frost aus ein-
ander. Sein Entschluß stand fest: Keine Schonung
mehr, sofortige Anklage des Bankiers, erbarmungs-
lose Verfolgung des Ehrlosen, bis ihn die Strafe er-
eilt, hartnäckige Konsequenz trotz der Bitten und Thränen
seiner Tochter. „Hantelmann kam: die Existenz des
Briefes bezeugen," sprach er vor sich hin, „er wird auch,
wenn man sie ihm vorlegt, Bollheim's Handschrift als
die des anonymen Schriftstellers erkennen — Maria hat
ihn auch gesehen; wenn Gerechtigkeit in dieser Stadt ob-
waltet, so muß die Untersuchung gegen ihn eingeleitet
werden und dann werden wir sehen! O, daß ich durch
meine Unvorsichtigkeit, ihm den Brief zu zeigen, dieses
kostbare Beweismittel verloren habe! Er hat ihn sich
jetzt aus dem Garten wieder heraufgeholt und wird ihn
vernichten. Aber damit wird der Bösewicht sich nicht
begnügen, er wird unfehlbar den Versuch machen, mich
gänzlich unschädlich zu machen. Haben nicht seine Leute
gesehen, daß ich ihn an der Brust faßte, kann er nicht eine
Klage gegen mich einleiten wegen Mordversuchs"? O,
von diesem Elenden kann man sich jeder Schandthat
versehen und ich bin überzeugt, er wird den Versuch
machen, den Mitwisser seiner Schande vom Schauplatz
zu vertreiben. Aber was wir können, wollen auch wir
thun!"
Er gab dem Kutscher den Auftrag, zunächst vor das
Haus des amerikanischen Gesandten zu fahren.
Hier angekommen, erfuhr er zu seinem Leidwesen,
daß er nicht zu Hause sei. Er erbat sich von dem
Diener des Gesandten Schreibmaterialien zu einem Brief
und schrieb an Mr. Brown folgende Zeilen:
„Verehrter Freund!
Ich habe mir hier einen Feind erworben, den ich
für fähig halte, alle Mittel anzuwenden, um den lästigen
Mitwisser eines von ihm vollführten Verbrechens ans
dem Wege zu räumen. Sollte er rascher sein, als ich
Gelegenheit finde, Ihnen die Sache mündlich vorzutragen
und erfahren Sie, daß ich verhaftet bin, so beantragen
Sie gefälligst sofort meine Freilassung gegen Kaution.
Sie wissen, ich kann die höchste stellen. Im Gefängniß
wäre ich verhindert, einen Schurken zu entlarven. Münd-
lich mehr Ihr Johnson."
Diesen Brief couvertirte er und gab ihn dem Diener
mit der Weisung, denselben seinem Herrn ohne Säumniß
zu geben, wenn er zurückkehre. Ein gutes Trinkgeld
begleitete seine Worte.
Von hier aus fuhr Wellbrandt direkt zu seiner
Tochter.
Maria hatte ihn mit Spannung erwartet, aber wie
erschrak sie, als sie in sein erregtes Gesicht blickte, als
sie den finsteren Ausdruck seiner Züge gewahrte.
„Was ist geschehen. Vater"?" rief sie ängstlich aus,
„Deine Mienen verkünden nichts Gutes. O, sprich, Dir
hast nicht erreicht, was Du erhofftest?"
„Nein," sagte Wellbrandt und die Hand der Tochter-
fest drückend fuhr er fort mit ernster Stimme: „Du
mußt Dich auf das Schlimmste gefaßt machen und das
Unvermeidliche zu ertragen suchen, meine Ehre ist jetzt
Bollheimgegenüber persönlich engagirt, ich kann ihn
nicht mehr schonen. Du jammerst mich, mein liebes
Kind, aber ich kann nicht anders."
Er erzählte nun in kurzen Worten Alles, was er,
seitdem er Maria verlassen, erlebt, theilte ihr auch seine
Befürchtungen mit, daß der Bankier noch irgend einen
Streich gegen ihn unternehmen würde und sagte ihr,
welche Schritte er beabsichtige, Zunächst zu thun.
Maria war ganz fassungslos, sie hing schluchzend
an seinem Halse, ihr Herz war zerrissen durch den
Schmerz über den Kummer, den ihr Vater auf's Neue
erlebt hatte und durch das unabwendbare Unglück, das
ihrem Konrad bevorstand.
In diesen: Augenblick sah ein funkelndes Auge durch
das Schlüsselloch der Thüre, verweilte hier nur wenige
Sekunden und verschwand darauf wieder. Die innig
sich umschlungen Haltenden hatten keine Ahnung, daß
sie beobachtet würden.
Wellbrandt tr eb es wieder von dannen, er nahm
Abschied von der weinenden Tochter und eilte in sein
Hotel zurück. In seinem Zimmer augelangt, schrieb
er einen Brief und als er damit fertig war, ging er
zum Besitzer des Hotels, Herrn Merwitz, hinunter, und
indem er ihm den Brief überreichte, sagte er:
„Es ist möglich, daß mir in der nächsten Zeit etwas
Außerordentliches begegnen wird, ich habe ein Ver-
brechen aufgedeckt und mir einen sehr einflußreichen Feind
erworben. Ich bin aus Alles gefaßt. Daß dieser Feind
mich durch einen Meuchelmord aus der Welt schaffen
sollte, will ich nicht einmal annchmen, obgleich der
Bube zu Allen: fähig ist, aber er könnte durch eine
Verhaftung sich vorläufig vor mir zu sichern suchen.
Wer weiß, ob er mich nicht wegen Mordversuchs an-
klagt, denn ich habe ihn tüchtig geschüttelt und seine
Diener haben es gesehen. Was nun auch passiren mag,
sei es, daß ich verschwinde oder daß man mich aus
irgend einem Grunde arretirt, so ersnche ich Sie um die
Gefälligkeit, diesen Brief ungesäumt zum amerikanischen
Gesandten zu schicken. Wollen Sie mir das versprechen,
Herr Merwitz?"

Das Buch für All e.
„Ganz gewiß."
„Auf Wort?"
„Auf Wort."
„Gut, nun bin ich beruhigt und erwarte ohne Sorge,
was kommen mag."
Wellbrandt ging von hier aus nach Streckenbach's
Zimmer. Er fand es leer, ein Kellner sagte ihm, er-
hübe für Herrn Johnson die Nachricht zurückgelassen,
daß er zur Frau Professor Dehnhardt gegangen sei.
Hierauf betrat er wieder sein eigenes Zimmer.
Eine Stunde später war Wellbrandt verhaftet.
Konrad Bollheim mußte beim Hofphotographen etwas
warten, bevor er sein Bild erhielt, da gerade das fürst-
liche Brautpaar im Atelier anwesend war, um sich
photographiren zu lassen. Nachdem er das sehr gut ge-
lungene Konterfei endlich erhalten, entfernte er sich und
ging zu einem Juwelier, wo er einen werthvollen
Schmuck für seine Braut kaufte, die sehr arm an solchen
Dingen war.
Sich freuend über die Ueberraschung, die er ihr be-
reiten konnte, wanderte er, ein neues Motiv aus einer
zweiten von ihm begonnenen Oper vor sich hin brum-
mend, in die alte Dheaterstraße und betrat das Waid-
müller'sche Haus. Er hatte noch nicht die letzte Stufe
der Treppe zum ersten Stock erstiegen, als die Frau
Kapellmeister ihm entgegenkam und den Finger auf ihre
schmalen Lippen legend im Flüsterton zu ihm sagte:
„Wollen Sie nicht, Herr Baron, einen Augenblick
in meines Mannes Zimmer treten, ich habe Ihnen
etwas sehr Wichtiges zu sagen."
Frau Kapellmeister Waidmüller hatte nie einen sym-
pathischen Eindruck auf Konrad gemacht, in diesem
Augenblicke aber fühlte er einen wahren Abscheu vor
ihren trinmphirenden Zügen, die aussahen, als wenn
eine Kaffeeschwester mit mörderischer Wollust den Ruf
eines ihrer Nebenmenschen zerfleischt.
Konrad wußte nicht, ob er der Aufforderung folgen
oder fie ablehnen sollte, er mochte auch nicht gerade un-
höflich sein gegen die Frau seines alten Freundes und
trat mit ihr in des Kapellmeisters Stube.
„Man munkelt ii» Publikum, Herr Baron," begann
sie hier, „daß Sie sich für unser Fräulein interessiren;
wenn das der Fall ist, so möchte ich Ihnen aber doch
rathen, etwas auf Ihrer Huth zu sein."
„Was wollen Sie damit sagen?"
„Jennn, ich weiß zwar nicht, welcher Art das In-
teresse ist, was Sie zu der Wellbrandt hinzieht, über-
sollten Sie reelle Absichten damit verbinden, so sehen
Sie sich vor."
„Ich frage noch einmal, was Sie damit sagen
wollen? Es ist zwar noch ein Geheimniß, Frau Kapell-
meister, damit Sie aber erfahren, welche Absichten mich
hieher ziehen und damit fernerhin kein zweideutiges Licht
auf Maria fällt, fo sehe ich mich genöthigt, Ihnen an-
zuvertrauen, daß ich mich mit Fräulein Wellbrandt ver-
lobt habe."
„Verlobt, wirklich verlobt? Ei, sieh mal, da muß
ich denn aber sagen, daß ich es sehr unpassend finde,
wenn sie ein anderes Verhältniß daneben fortsetzt."
„Ein anderes Verhältniß? Was heißt das? Welches
Verhältniß?"
„Das mit dem alten reichen, grauhaarigen Engländer-
oder Amerikaner, der ihr den goldenen Lorbeerkranz auf
die Bühne geworfen," erwiederte mit ihrer blechernen
Stimme Frau Waidmüller.
„Sie lügen!" rief Konrad wild, „das ist nicht
wahr!"
„Oho, mein Herr Baron, mäßigen Sie sich, wenn
ich bitten darf! Mein Mann hält viel auf Sie, und
weil Sie ein sehr guter Mensch sind, so fühle ich mich
verpflichtet, Ihnen die Augen zu öffnen. Jetzt, in diesem
Augenblicke ist er bei ihr, er war vor einer Stunde schon
einmal hier, er hat sie schon mehrmals besucht, und da
ich Gewißheit über dieses unmoralische Verhältniß haben
wollte, so habe ich mir die Freiheit genommen, ein wenig
durch's Schlüsselloch zu lauschen. Sie liegen sich beständig
in den Armen! Wollen Sie sich überzeugen, so machen Sie
es wie ich, Sie werden nicht lange hindurch zu gucken
brauchen, ohne bemerken zu können, daß sie sich bei der
Hand fassen oder sich in anderer Weise liebkosen."
Dein jungen Manne stieg das Blut zu Kopf; plötz-
lich fiel ihm ein, daß er gestern Abend während der
Vorstellung ja selbst gesehen, wie sie fast unaufhörlich
zu dein Manne mit grauen Haaren auf dem ersten Rang
hinaufgesehen, o, es war ja sonnenklar, das waren Blicke
des Einverständnisses gewesen!
Leicht angesacht ist die Eifersucht und oft am leich-
testen bei sonst besonnenen Menschen. Und ist sie
einmal da, so bedient sie sich, um sich zu überzeugen,
bisweilen selbst unwürdiger Mittel.
Fran Kapellmeister sah mit höhnischer Freude auf
die Wirkung, die sie hervorgebracht und als sie nun
Konrad noch einmal aufforderte, durch's Schlüsselloch
einen Blick zu Wersen, um sich Gewißheit über das zu
verschaffen, was sie ihm in wohlmeinender Absicht ge-
sagt, da war er bereit, ein Mittel anzuwenden, das er
sonst unter allen Umständen verworfen hätte.

HeN 1!.
„Treten Sie leise aus!" mahnte mit schadenfrohen
Mienen die Fran des Kapellmeisters, nachdem sie die
Thüre geöffnet und Konrad voranzugehen geheißen.
Dieser bog sich in der That nieder zu der ominösen,
verräterischen Oeffnung; er sah nur eine kurze Zeit
hindurch, aber er mußte etwas gesehen haben, was ihn
mit furchtbarstem Entsetzen erfüllt hatte, denn das Ge-
sicht, das sich jetzt wieder erhob, war so erdfahl, so ent-
stellt, daß die Angeberin fast erschrak.
Ohne nur noch ein einziges Wort an die böse Frau
zu richten, stürzte er fort, die Treppe hinunter wie von
Furien gejagt.
„Der kommt nicht wieder, hihihi!" lachte Frau
Kapellmeister wie ein heiserer Rabe. „Das hätte sie
wohl gemocht, die stolze Mamsell," fuhr sie in ver-
gnügtem Tone fort, die langen, mageren Hände dabei
in die Seite stemmend, „einen Millionär heirathen und
daneben allerlei Scherze mit einem Anderen treiben!
Puh, wie frech! Ganz recht, ich habe alle Groschen an-
geschrieben, die Du mir in den vier Jahren gekostet hast,
es stehen aber auch zwei Liebhaber auf dem Kerbholz,
und den einen habe ich Dir heute gestrichen! Hihihi!"
Mit sehr zufriedenen Gefühlen klopfte sie heute das
Beefsteak, das sie für den Mittagstisch bereiten wollte.
Konrad Bollheim stürmte hinaus auf die Straße.
Was er gehört, was er gesehen, war es Wirklichkeit
oder neckte ihn ein höllischer Traum? Seine Maria,
das Bild keuscher Sittlichkeit, in den Armen, an der
Brust eines alten Mannes? O, da konnte ja von Liebe
keine Rede sein, das war ja nichts als Berechnung!
Ja, ja, das Verhältniß war nicht von heute, von gestern,
das hatte vielleicht schon lange bestanden.
Er stieg in eine Droschke, er fühlte selbst, daß feine
Züge entstellt waren, so durfte ihn Niemand sehen, in
diesem Zustande konnte er keinem Bekannten begegnen.
Und war es denn möglich, daß er sich so furchtbar-
getäuscht? War sie ebenso groß als Schauspielerin wie
als Sängerin, und alle Herzlichkeit, alle Liebe, alle sitt-
same Zurückhaltung war nichts als eine einstudirte Rolle
gewesen?
„Es ist so!" stieß er laut hervor und für einen
Augenblick überkam ihn ein wahrer Ekel vor allen
Künstlerinnen. Aber gleich darauf brach der ganze
Schinerz um fein verlorenes Glück so rückhaltlos hervor,
daß er fein Gesicht in fein Taschentuch vergrub und
den Thränen nicht wehrte, die sich über seine Lider
drängten.
Aber wohin mit seinem Gram? Nach Hause? Nein!
Heute noch war es ihm unmöglich, seiner Schwester-
Klara den wahren Sachverhalt zu erzählen, er Hütte
sich geschämt, eingestehen zu müssen, so schamlos betrogen
worden zu sein.
Eine Stunde von der Stadt entfernt war ein großer
fchöner Wald mit einer einsamen, romantischen Schlucht.
Hieher war Konrad schon oft hinausgewandert, mit
Schreibmaterialien versehen und hatte hier in der stillen
Wildniß seine gelungensten Kompositionen niedergeschrie-
ben. Er wußte es, daß er nur in der schweigendsten
Einsamkeit mit seinen stürmisch wogenden Gedanken
wieder in's Gleichgewicht kommen würde und befahl
daher dem Kutscher, nach dem Walde hinaus zu fahren.
Hier angelangt, ließ er die Droschke wieder zurückkehren
und verlor sich unter den hohen Bäumen. Erst spät am
Abend ging er langsam in der Dunkelheit zu Fuß wie-
der zurmt. Aber die Ruhe, die er gesucht, hatte er
nicht gefunden. Er spürte auch keine Müdigkeit; uni
schlafen zu können, wollte er sich erst müde gehen. So
wanderte er durch die Straßen der Residenz nnd un-
versehens war er in der alten Theaterstraße. In dem
Hause des Kapellmeisters schien schon alles Leben er-
loschen zu sein, mit einen! tiefen Seufzer kehrte er
wieder um und nun lenkte er endlich seine Schritte
nach seiner Wohnung.
17.
Reichsgraf Andreas war in der That, wie die Mut-
ter es dem Bankier v. Bollheim geschrieben, ein ganz
anderer Mensch geworden. Die Liebe, die wirkliche
Liebe, die er bis zu dieser Stunde noch nicht kennen
gelernt, die wie ein Blitz in sein Herz gefahren, hatte
diese Veränderung in ihm Hervorgernfen. Alle un-
lauteren Gedanken, die bis dahin seine Phantasie er-
füllt, die er mit Vorliebe gepflegt, waren wie weg-
geweht, und statt derer schuf feine Seele sich Bilder-
ganz anderer Art. Da träumte er sich an die Seite
des jungen lieblichen Wesens, lauschend auf jedes ihrer
süßen Worte, beglückt schon sich fühlend durch einen
Blick aus ihren seelenvollen Augen, durch eine leichte
Berührung ihrer kleinen zarten Hand. Sie war ihm
erschienen wie eine Göttin, zu der man nur beten dürfe,
der man dienen müsse wie ein Sklave. O, wie wollte
er ihr jeden Wunsch an den Augen ablesen, wie wollte
er jeden Gedanken dem ihren unterordnen, wie wollte
er ein besserer Mensch werden, wie wollte er sie lieben
mit der ganzen Gluth seiner Seele!
Es waren Schwärmereien, denen er sich hingab, wie
er sie nie für möglich gehalten hätte, über die er selbst
in einzelnen Augenblicken lächeln mußte.
 
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