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HM 11.
Aber auch sonst noch hatte ihn das neue Gefühl
verändert. Er war viel duldsamer geworden, nicht mehr
so aufbrausend und jähzornig bei dem geringsten Wider-
spruch. Er gab sich Muhe, liebenswürdig zu erscheinen,
sowohl der Schwester als auch der Mutter gegenüber.
Einzelne Augenblicke indeß gab es, wenn er sich aus
seinem Zimmer in diese ungewohnten Träumereien ver-
senkte, wo plötzlich die alte Wildheit wieder zum Durch-
bruch kam. Dann aber hatte er eine Art Vision ge-
habt. Er wußte, daß Willibald Bernau, den er seit
der Assaire mit Hermine Stolzer haßte, mit dem jungen
Bollheim sehr befreundet war und mit Klara zusammen
musicirtc. Dachte er an den letzteren Umstand, so konnte
er sich die Situation lebhaft ausmalen. Dann fah er
in Gedanken die Beiden am Klavier sitzen, nahe zusam-
men, er wandte ihr das Notenheft und berührte dabei
ihre Schulter, Wohl gar ihre Hand, sie ließ es geschehen
und sah ihn mit freundlichem Lächeln an. Ihm war
es, als wenn er dies himmlische Lächeln sähe, das sie
an diesen ihm so verhaßten Menschen verschwendete.
Dann sprang er empor, krampfhaft ballten sich seine
Hände und die Eifersucht schlug in Hellen Flammen
empor. Aber nicht lange gab er sich diesen Gefühlen
hin. Es war merkwürdig, er glaubte, da Willibald
ihm so überaus zuwider war, daß Klara sich für ihn
in wirklicher Liebe nie ernsthaft begeistern könnte. Zur
Gattin würde der Vater seine Tochter diesem armen
Schlucker, der nichts war und nichts hatte, nimmermehr
geben. Er hatte andere Vorzüge in die Wagschale zu
legen: seinen Reichsgrafcnstand und feinen Reichthum.
Herr v. Bollheim war denn Plane einer Heirath mit
ihm durchaus geneigt. Diese Gedanken beruhigten ihn
immer wieder.
Seit einigen Tagen hatten feine Kräfte bedeutend
zugenommen, aber auch feine Sehnsucht wuchs, das ge-
liebte Mädchen einmal wieder zu sehen. Heute glaubte
er sich stark genug zu fühlen, dem Freiherrn v. Boll-
heim eine Visite zu machen. Er war gerade im Be-
griff, zu feiner Mutter zu gehen, um sie zu bitten, ihn
bei diesem Besuch zu begleiten, als die Thüre sich öff-
nete und die Prinzessin Elsride zu ihm in's Zimmer
trat.
Tie Reichsgräfin Felseck hatte sich ebenfalls sehr-
verändert, namentlich in ihrem Aenßeren. Das Gesicht
war sehr bleich geworden, um die Angen lagen dunkle
Ringe, die Stirne war sorgenvoll znfammengezogen und
ihre Haltung hatte nicht mehr das Jmponirende, pro-
noncirt Fürstliche, sondern war schlaff und zusammen-
gesunken. Sie hatte in den letzten Nächten wenig ge-
schlafen und während des Tages mußte sie ihrer Tochter
und ihrem Sohne gegenüber eine Unbefangenheit zeigen,
die ihre Kräfte aufzureiben drohte. Sie wurde von
einer grenzenlosen Unruhe umhergetrieben. Zwei Dinge
waren es, die sie um allen Halt brachten. Zuerst die
furchtbare Entdeckung, daß die Gräfin Konradine einen
Sohn habe, der als nächster rechtmäßiger Erbe, sowie
er seine Ansprüche geltend machen würde, ihren Andreas
zur bittersten Armuth verdammte. Eine Ahnung, daß
ihre stolze Vorgängerin in der Verbannung eines eben-
bürtigen Nachkommen genesen sein könne, war ja in all
den Jahren nie von ihr gewichen. Dann peinigte sie
die entsetzliche Thatsache, daß ihr erster Mann, von dem
sie geschieden, den Herr v. Lettow vertrieben, Plötzlich
wie ein Gespenst aus der Dunkelheit hervorgetreten war
und wie ein Irrsinniger sich nicht gescheut, sich an sie
heranzudrängen und sie anzureden! O, wenn man hier
dieses Abenteuer erführe, wenn das Vagabondenthun:
ihrer Jugend bekannt würde! Man würde ihr nie ver-
zeihen, daß sie sich so furchtbar erniedrigt, daß sie ihren
hohen Stand so schamlos in den Schmutz getreten, und
wurde es bekannt, so mußte sie heruntersteigen von der
gesellschaftlichen Hohe, auf die sie sich nut so vielen:
Glück hinaufgeschwungen. So wenig ihr früher an
ihren: Ruf gelegen, so leichtsinnig sie ihn verscherzt hatte,
so theuer war ihr jetzt der wiedergewvnnene geworden.
Und zeigte sich für sie in den: Antrag des Millionärs
auch jetzt eine Aussicht auf eiue pekuniär sorgenlose
Existenz, so war auch eine solche Aussicht sür ihren
Sohn noch sehr getrübt. Wenn Frau Kouradinens
Sohn Rechte beanspruchen sollte und diese ihn: zuerkannt
würden, so konnte Andreas nur durch eine Verbindung
mit der Tochter des reichen Bankiers v. Bollheim vor-
gänzlicher Armuth gerettet werden. Aber würde Klara
sich fügen? Hatte nicht gestern Isabella, als sie zu-
fällig auf diesen Plan angespielt, gesagt: „Bauen Sie
nicht zu fest darauf, Frau Mutter, Fräulein v. Boll-
Hein: soll bereits heimlich mit einen: Anderen verlobt
sein." Entsetzen hatte sie erfaßt. Wer war dieser An-
dere? War es der junge Bernau, der ihren Sohn ge-
fordert, von den: sie wußte, daß er in: Hause des Ban-
kiers viel verkehrte, daß er mit den: jungen Mädchen
musicirte, und war dieser Bernau vielleicht gar Kon-
radiuens Sohn? Ein Schauer durchrieselte sie, ein
Haßgefühl keimte in ihrem Busen; so wollte dieser junge
Mensch ihren: Andreas nicht allein fein Erbe, sondern
auch noch die reiche Geliebte rauben?
Und ihn hatte sie aus ihrer Nähe verbannt, der
ihr jetzt rathen, der vielleicht sogar ihr noch helfen, sie

Das Bu ch f ü r All e.

von: Verderben erretten konnte! Welcher Wahnwitz nur
hatte sie erfaßt, als sie Herrn v. Lettow, in der Furcht,
ihr Nerhältniß zu ihn: könne auf ihr neugewonnenes
Ansehen einen üblen Schatten werfen, in so brüsker,
beleidigender Weise die Freundschaft gekündigt? Sie
hätte ja dasselbe in milderer Form erreichen können und
wäre dann vor seiner Rache gesichert gewesen! Sie
kannte ihn ja doch, sie wußte ja, daß er zu Allem fähig
war! Er war ja Zu ihr gekommeu, hatte ihr gesagt,
daß eine Gefahr sie bedrohe, und sie — sie hatte es in
ihrer Verblendung für Prahlerei gehalten und ihn, der zu
ihr geeilt war, um ihr feine Hilfe anzubieten, zurück-
gestoßen und erzürnt für immer. Für immer? Das
wolle Gott nicht! Wenn sie nur erfahren könnte, wo
er zu finden fei, so kannte sie eine Zauberformel, wo-
durch der habsüchtige Mann trotz aller Beleidigungen
doch noch wiederzugewinnen fei.
Aber wo war er, der Einzige, der allein in: Stande
war, das drohende Unheil zu beschwören? Vergebens
hatte sie ihren Kammerdiener in alle Gasthäuser geschickt,
damit er sich erkundige, ob Herr v. Lettow dort wohne,
immer kau: Hantelmann mit einer verneinenden Antwort
zurück.
Und das Alles mußte sie allein tragen und in ihren
Busen verschließen, damit Niemand ihre Angst und Un-
ruhe ahne; namentlich aber durfte ihr Sohu vorläufig
nichts davon wissen, denn noch waren nach ihrer Meinung
seine angegriffenen Nerven nicht stark genug, das Ent-
setzliche zu ertragen.
Auch das Benehnwn Jsabella's beunruhigte sie; mit
keinem Wort war Letztere auf den Vorfall während der
Illumination zurückgekommen, sie selbst durfte seiner
nicht erwähnen, durfte der ganze:: Geschichte kein Ge-
wicht beilegen. Aber was sie mißtrauisch machte, war
die unerklärliche Heiterkeit ihrer Stieftochter. Sollte
schon zwischen ihr und Konradine eine Annäherung statt-
gefunden, ein Komplott sich bereits gebildet haben?
Was hatte sie im Haufe des Bankiers zu thun, und
warum verheimlichte sie ihr diesen Besuch? Frau Wiffer,
ihre Kammerfrau, hatte vou ihr den Auftrag bekom-
men, jeden Schritt ihrer Tochter zu beobachten, und
dieselbe hatte von: Kutscher erfahren, daß er die junge
Erlaucht dahin gefahren, aber den Befehl erhalten, allein
zurückzukehren.
Alle diese Fragen zermarterten ihr Gehirn und trie-
ben sie rathlos, voll Angst und Unruhe umher, und
Herr v. Lettow war nicht zu finden!
Da kam am Morgen dieses Tages — die Prinzessin
Elfride schritt gerade über den Flur — ein Hausknecht
mit einen: Brief.
Sie nah::: ihn: denselben ab und erkannte sofort
Herrn v. Lettow's Handschrift.
„Warten Sie einen Augenblick," sagte sie zu den:
Uebcrbringer, riß das Couvert herunter und las den
Brief, der folgendermaßen lautete:
„Hoheit!
Heute sind es fünf Jahre, seit ich nur das Versehen
mit den Wechseln zu Schulden kommen ließ. Dieser
kleine Scherz kann nicht von Ihnen benutzt werden, um
mir einen Schaden zuzusügen, da die Kontravention
gegen das Gesetz mit dem heutigen Tage verjährt ist.
Sie werden bereits erkannt haben, hochgeborene Prin-
zessin, daß ich den Weg betreten, mir Revanche zu ver-
schaffen für die unerhörte Beleidigung, mit der Sie in
Ihren: hochmüthigcn Dünkel einen langjährigen bewähr-
ten Freund auf's Tiefste gekränkt haben. Sie können
sich versichert halten, daß das, was Sie erlebt haben,
der Anfang einer Rache ist, deren Ende nur nut den:
Ende Ihrer Scheinherrlichkeit eintritt. Erst dann, wenn
Alles dahin, Ehre und Reichthum, werden Sie bereuen,
was Sie gethan.
Ergebenst L."
„Wo wohnt der Herr, der Ihnen den Bries ge-
geben?" fragte die Prinzessin den Hausknecht, nachdem
sie den Brief gelesen.
„Mir ist ausdrücklich befohlen worden, es nicht zu
verrathen," erwiederte der Gefragte.
„Der Herr hat einen Scherz mit nur vor," sagte
die Fürstin nut Lachen; „ich möchte ihn: mit einem
Scherz erwiedern," und nun ihre Börse ziehend und ein
Goldstück herausnehmend, fuhr sie fort, es den: Haus-
knecht in die Hand drückend:
„Sie sollen auch nichts verrathen, nur meinem Kam-
merdiener gestatten, Ihnen zu folgen, damit er den:
Herrn einen Brief von nur überbringe; dagegen werden
Sie nichts einznwenden haben, nicht wahr?"
„O nein," sagte der Hausknecht, mit Vergnügen das
Goldstück betrachtend.
„So bleiben Sie so lange, bis ich den Brief ge-
schrieben."
Hantelmann kam gerade daher, sie sprach einige
Worte leise nut ihm, worauf s:e sich entfernte, um den
Brief zu schreiben.
Sie begann damit, ihn: nützutheilen, daß die Reue
sie bereits erfaßt und bat ihn, ihr zu verzeihen und zu
ihr zurückzukehren, nm nut ihr zu berathen, wie sie der
drohenden Gefahr am besten begegnen könne; sie sprach
es geradezu aus, daß, wenn er ihr feine Hilfe leihen

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wolle, keine Summe ihr zu groß sein würde, ihn dafür
zu belohnen, er selbst solle die Höhe bestimmen. Sie
schrieb noch Vieles mehr, Entschuldigungen, Betheue-
rungen ihrer Freundschaft, die nur in den: Bestreben,
das lang entbehrte öffentliche Ansehen sich wieder zu
erwerben, für kurze Zeit diesem brennenden Verlangen
habe nachstehen müssen, bis sie ihn am Schluß ersuchte,
wenn es seine Zeit erlaube, noch heute sie zu besuchen.
Hantelmann folgte mit diesen: Briefe dem Haus-
knecht, und nach einer Stunde hatte die Prinzessin die
Freude, eine Antwort zu erhalten, und zwar schrieb
Herr v. Lettow ihr, daß er um ein Uhr Mittags zu
ihr kommen würde.
Nun sollte auch ihr Sohn, nachdem sie einen so
wichtigen Bundesgenossen gewonnen, den Sachverhalt
erfahren.
„Ich bitte um Entschuldigung, Andreas, wenn ich
störe," sagte sie, nachdem sie sein Zimmer betreten, „aber
eine Sache von höchster Bedeutung sür Deine und meine
Zukunft halte ich mich verpflichtet, Dir nicht länger zu
verschweigen, so gern ich auch jede Aufregung von Dir
fern gehalten hätte."
„Mir ist nur Eins von höchster Bedeutung, Mama,
das ist der Besitz Klara's v. Bollheim."
„Wohl, das mag Dein Lieblingswunsch geworden
sein, aber ungleich wichtiger für Dich ist die Erhaltung
Deines Erbes, des Rechtes Deiner Erstgeburt."
„Wie soll ich das verstehen?"
„Die Reichsgräsin Konradine hat kurz nach ihrer
Scheidung einen Sohn geboren. Andreas — wenn sie
nachweisen könnte, daß er der rechtmäßige Sprößling
des Reichsqrafen Felscck wäre — o, dann wärest Du
ein Bettler!"
„Das ist unmöglich!" rief Andreas, von feinen: Sitz
aufspringend, „ganz unmöglich! Wer hat Dir dies
alberne Märchen aufgebunden?"
„Ach, wäre es ein Märchen und hätte ich Alles,
was ich in den letzten Tagen erlebt, alle Qualen, die
ich erlitten, alle Sorgen, die mich gemartert, nur ge-
träumt! Höre mich an, rege Dich bei meiner Erzählung
nicht auf und laß mich Dir vorher zur Beruhigung
sagen, daß Derjenige, den ich unbedachterweise beleidigt
habe, der aus Rache diese Thatsache an die Oeffentlich-
keit gebracht, wiedergewonnen ist."
Sie theilte ihm jetzt Alles mit, was während der
Fahrt durch die Straßen geschehen war, auch das ent-
setzensvolle Wiedersehen ihres ersten Gatten, und ver-
schwieg ihm nicht die Vermuthung, baß Willibald
Bernau der Sohn der geschiedenen Frau des Reichs-
grasen Felseck sei.
Andreas stieß einen wilden Schrei aus, als er den
letzten Umstand vernäh:::, und nut bebenden Lippen rief
er aus:
„Was? Dieser Mensch, der mich neulich schon in
so frecher Weise beschimpft, den ich Haffe wie keinen
Zweiten auf Erden, will mir jetzt die große Erbschaft
rauben?"
Und mit der scharfen Kombinationsgabe der Eifer-
sucht sich plötzlich vorstellend, daß der Gegenstand seines
Hasses dann ja ein Mann von Rang und Reichthun:
sei und mit diesen Eigenschaften ein hübsches Aeußeres
aufzuweisen hatte, daß, wenn er sich nun um Klara
bewerben würde — bei diesen: Gedanken sträubten sich
seine Haare auf dein Kopf — von Seiten des Vaters
nichts dagegen eingewandt werden könne — er war der
Freund des Bruders, ein Bekannter des Hanfes — sie
hatten fchon lange mit einander verkehrt, sie musicirten
zusammen — —
Seine Angen erweiterten sich und nahmen einen
sonderbaren Blick an, auf jeder Wange bildete sich ein
kreisrunder, umschriebener rother Fleck — er trat bis
dicht zu feiner Mutter hinan, faßte mit feinen zittern-
den Händen deren Arm und sagte hastig, heiser, rach-
süchtig:
„Mama, das gibt ein Unglück!"
„Hoffentlich nicht für uns! Der Einzige, der den
Sturm beschworen kann, kehrt versöhnt zu uns zurück.
Sei, wenn er heute Mittag kommt, freundlich gegen ihn,
ignorire es, daß er uns das Unglück, das doch über-
kurz oder laug hervorgebrochen wäre, schon jetzt auf den
Hals gejagt, biete ihn: eine Summe, die feiner Hab-
sucht genügt, und feilsche nicht, wenn er mehr fordert
für die uns günstige Lösung. Schlage ihn: keine Mittel
vor, er wird sie von selbst finden und fchreckt vor keinen:
zurück, sein Geiz wird das richtige ersinnen! Jetzt, da
ich weiß, daß er kommen wird, ist mir um Vieles leich-
ter, ist nur eine Last vom Herzen gefallen, so hoffe auch
Du, mein Sohn! Die Erbschaft muß Dir erhalten
bleiben und durch sie Klara's Hand."
„Klara! O mein Gott! Sie muß die Meine wer-
den und wehe dem, der sie nur entreißen will! Ha,
wie ich diesen Bernau hasse! Mein Blut siedet, wenn
ich nur an ihn denke! Es gibt ein Unglück, sage ich!"
In diesen: Augenblick klopfte es an die Thüre, und
nachdem „herein!" gerufen war, trat der Kammerdiener
in's Zimmer und reichte der Prinzessin eine Karte.
„Dieser Herr wünscht Ihre Hoheit zu sprechen,"
sagte er, sich verbeugend.
 
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