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362

gehört, obschon mehr als fünfzehn Jahre seitdem verflossen
sind. Doch, ich muß Ihnen ja Alles erzählen, sonst würden
Sie nicht begreifen, weshalb ich Ihnen die Geschichte mit-
getheilt habe. Als ich vor langen Jahren das Land, welches
mein Unglück kannte, verließ, sagte mir der Fürst, er
werde Alles anfbieten, daß sein Bruder meiue Frau,
von der ich mich hatte scheiden lassen, heirathe. Ich
weiß nicht, ob dies geschehen ist, ich glaubte es, ich
lebte in der festen Ueberzeugung, daß sie noch immer
bei ihm sei. Bor ungefähr vierzehn Tagen fuhr ich
mit meiner Tochter in Florenz spazieren vor dem Thore
in einer sehr belebten Gegend. Eine Bettlerin mit
bleichen, elenden Zügen trat an den Wagen, um eine
Gabe bittend; sie schien zusammenzuzuckeu, als sie mich
erblickte — mir wich das Blut aus den Wangen, denn
in dem bleichen, abgezehrten Gesichte glaubte ich die
Züge meiner Frau wieder zu erkennen. Der Wagen
fuhr weiter, und als ich mich soweit zusammeugerafft
hatte, um mich umzublicken, sah ich die Gestalt der
Bettlerin bereits nicht mehr. Ich wagte nicht umzu-
kehren, weil meine Tochter bei mir war, ich erschien
mir auch selbst thöricht, in der Gestalt meiue Frau zu
vermutheu. Hatte der Prinz sie nicht geheirathet? Und
wenn dies nicht geschehen war, lebte sie nicht noch bei
ihm? Ich beruhigte mich mit dem Gedanken, daß eine
Aehnlichkeit mich getäuscht habe, und dann vermochte
ich mir auch nicht vorzustellen, daß meine einst so junge
nnd schöne Frau so alt und elend geworden sein könne.
Ich war bald fest überzeugt, daß ich mich getäuscht
habe. Wenige Tage später traf ich mit meiner Tochter
in Neapel ein und sand dort einen alten Freund, den
ich seit langen Jahren nicht gesehen hatte und der mein
ganzes Unglück kannte. Er erzählte mir, daß der Prinz
sich hartnäckig geweigert habe, meine Frau zu heirathen,
er habe mit ihr im Auslände, zuletzt in Italien gelebt
und sie schlecht behandelt. Endlich sei er ihrer über-
drüssig geworden und habe sie vor mehreren Jahren
verlassen. Was aus der Unglücklichen geworden war,
wußte er uicht. Von ihm erfuhr ich, daß der Schänd-
liche hieher gezogen sei mit der übel berufenen Dame,
deren Namen ich Ihnen genannt habe. Nach den langen
Jahren fühlte ich zum ersten Male wieder Mitleid mit
der, die mich verlassen hatte und deren Bild nie aus
meinem Herzen geschwunden war. Mochte sie mich noch
so unglücklich gemacht haben, sie war doch die Mutter
meiner Tochter und durch sie hatte ich die glücklichsten
Tage meines Lebens gehabt. Ich reiste wieder nach
Florenz, um der Bettlerin nachzuforschen, ich durch-
streifte Tage lang die Straßen, ich nahm die Hilfe der
Polizei in Anspruch und bot derselben eine reiche Be-
lohnung, wenn sie die Gesuchte auffinde — es war
Alles vergebens. Der Gedanke, daß die Mutter meiner
Tochter in Noth und Elend sei, ließ mir keine Nuhe,
ich wollte sie nicht Wiedersehen, aber sie gegen Noth
schützen; mit Gewalt zog es mich hieher zurück, um
von dem eine Auskunft zu erhalten, der sie allein geben
konnte. Meine Tochter habe ich in München bei Bcr-
wandten zurückgelassen, denn sie darf ja nicht ahnen,
weshalb ich zurückgekehrt bin. Ich hatte mir vorgenom-
men, den Schändlichen selbst aufzusuchen und zier Rechen-
schaft zu ziehen — nun ich hier bin, nun er nur nahe
ist, fühle ich, daß ich nicht die Kraft besitze, ich würde
mich nicht beherrschen können, ich würde mich auf den
Mörder meines Glückes und meiner Ehre stürzen, um
ihn zu verwichten. Sie ahnen nicht, wie der Haß, den
man so lange Jahre in sich getragen, gewaltsam zum
Ausbruche drängt, wie er die Besinnung raubt!"
„Ich begreife es," fiel Kurt erregt eiu. „Sie dürfen
nicht zu ihm gehen und mit ihm nicht Zusammentreffen!"
„Und doch muß ich über das Geschick der Mutter
meiner Tochter Gewißheit haben," entgegnete Salva.
„Ueberlassen Sie dies mir, ich werde sie Ihnen
verschaffen," sprach Kurt.
„Sic erfüllen meine Bitte, ehe ich sie ausgesprochen
habe," fuhr Salva fort. „Ich würde von dem Schänd-
licheu Genugthuung verlangen, wenn er nicht zu feige
wäre, sie zu geben, und ich kann den: Ehrlosen auch
nicht mit einer ehrlichen Waffe entgegentreten."
„Ueberlassen Sie dies mir," wiederholte Kurt. „Ich
werde mich beherrschen, nm von ihm zunächst die Aus-
kunft über Ihre Frau zu erlangen, dann werde ich von
ihm Genugthuung verlangen für die Schmach, daß er
die Person, welche er für seine Fran ausgegcben, in
mein Haus zn bringen gewagt hat!"
„Nein, Du darfst nicht zu ihm gehen!" rief Albert,
der bis dahin geschwiegen hatte. „Auch Du bist zu
erregt, Du weißt nicht, zu welchen Schritten der Mann,
der eine solche Vergangenheit hat, fähig ist."
„Ich fürchte ihn nicht!" versicherte Düringer.
„Ich bitte Dich, gehe nicht zu ihm," fuhr Albert
sort. „Der Gedanke, daß der Graf, dessen hochmüthiger
Sinn schon aus seinem Auge leuchtet, Dich kränken
könne, ist mir unerträglich! Herr v. Salva, sind Sie
damit einverstanden, daß ich den Herrn aufsuche? Ich
gebe Ihnen mein Wort, daß ich Alles aufbieten werde,
Ihren Wunsch zu erreichen."
„Sie würden mich zn größtem Danke verpflichten,"
entgegnete Salva.

Das Buch für Alle. Hcft ist.

„Und bist Du einer Kränkung weniger ausgesetzt
wie ich?" warf Kurt ein. „Wird er sich Dir gegen-
über nicht vielleicht noch weniger beherrschen, als wenn
ich zu ihm gehe, weil Du jünger bist?"
„Das gebe ich zu, allein es wird mich weniger krän-
ken, denn in meinen Jahren überwindet man leichter,"
snhr Albert sort. „Ich kann sehr ruhig bleiben, auch
wenn es in mir noch so sehr kocht, und ich werde mich
beherrschen, um den: Manne kein Uebergewicht einzu-
räumen. Denk an die Angst, die Du der Mama und
Else bereiten würdest!"
„Werden sie bei Dir weniger besorgt sein?" be-
merkte Kurt.
„Herr Düringer, lassen Sie Ihren Sohn mir den
Dienst erweisen," bat Salva. „Ich gebe ihm recht, es
würde Sie zn ties kränken, wenn er Sie beleidigte."
„Ich habe Genugthuung von ihm zu verlangen,"
entgegnete Kurt.
„Er wird sie Ihnen nicht geben," versetzte Salva.
„Papa, die Ehre Deines Hauses ist auch die mei-
nige," fiel Albert ein, „Mir kommt noch das Eine zn
statten, daß ich sehr geübt mit den Waffen bin."
Kurt gab dem Drängen endlich nach, er that es
nut schweren! Herzen, denn der Gedanke, daß Albert
einer Gefahr ausgesetzt sein könne, ruhte schwer tastend
auf ihm.
„Ich werde sofort zu ihm gehen!" rief Albert, an
keine Gefahr denkend. „Herr v. Salva, wollen Sie mich
hier erwarten? Ich vermuthe, die Unterredung wird
nicht allzuviel Zeit in Anspruch nehmen."
„Albert, beherrsche Dich!" bat Kürt besorgt.
Albert streckte seinem Vater die Hand entgegen.
„Hier meine Hand und das Versprechen, daß ich
nichts Unüberlegtes thun werde. Der Graf wird wahr-
scheinlich sehr erregt und heftig werden, da gibt es keine
hessere Waffe als Nuhe. Du sollst mit mir zufrieden sein!"
Albert drückte seinem Vater und Salva die Hand
und entfernte sich.
Sein Herz schlug heftig erregt, nicht aus Furcht,
die er nicht kannte, sondern in Gedanken an Theodora.
Erwies er nicht auch ihr einen Dienst dadurch, wenn
er dem Manne entgegentrat, der ihre Mntter entführt
und sie selbst um das Glück ihrer Jugend betrogen
hatte? Trat er ihr dadurch nicht näher nnd besiegte
er dadurch nicht ein Hinderniß, welches Theodora's
Vater ihm entgegenstellen konnte?
Als er die Villa des Grafen betrat, führte ihn der
Diener in den Gartensalon, in dem der Graf und
Thekla sich befanden.
„Ah, Herr Düringer!" rief der Gras, ihm freund-
lich entgegen tretend. „Sie sind ein so seltener Gast
in meinem Hause, daß ich Sie deshalb doppelt freudig
begrüße!"
Auch Thekla hatte sich erhoben, über ihr Gesicht
glitt eine flüchtige Röthe, dann lächelte sie ihm mit der
größten Liebenswürdigkeit entgegen.
Der Graf hatte ihm die Hand entgegengestreckt, er
wich derselben durch eine leichte Verbeugung ans.
„Kann ich Sie für wenige Minuten zu einer Frage
in Anspruch nehmen?" fragte er.
„So lange Sie wünschen," erwiederte der Graf, dem
Alberts zurückhaltende Külte noch nicht ausgefallen war.
„Bitte, setzen Sie sich, ich werde Ihnen zwanzig
Fragen beantworten. Haha! Meine Frau wird sie doch
wohl hören können!"
„Ich wünsche Sie allein zu sprechen," gab Albert
ruhig zur Antwort, ohne der Aufforderung, sich zu
setzen, nachznkommen.
Das Auge des Grafen zuckte, halb fragend nnd halb
mißtrauisch glitt es über Alberts Gesicht hin.
„Liebe Thekla, dann muß ich Dich bitten, uns für-
kurze Zeit allein zu lassen," wandte er sich an die
junge Dame. „Die Frage wird Wohl nicht allzu viel
Zeit in Anspruch nehmen."
Thekla entfernte sich; sie trat mit auf einander ge-
preßten Lippen in das Nebenzimmer, ohne aus Albert
einen Blick zn werfen, denn ihr war die Külte desselben
nicht entgangen.
„Nun, Herr Düringer?" fragte der Graf mit stol-
zem, herablassenden: Tone. „Dars ich die Frage nun
hören? Ich gestehe offen, daß Sie mich neugierig ge-
macht haben."
„Was ist aus der Fran v. Sentis geworden, die
Sie einst, vor länger als fünfzehn Jahren. . .!"
„Halt!" fiel der Graf ein. Er war unwillkürlich
erschreckt einen Schritt zurückgewichen, ans feinen blaß-
grauen Wangen war der letzte Blutstropfen geschwun-
den, seine Angen schlossen sich halb. „Wie kommen
Sie zn dieser Frage?"
„Ich kann ganz offen sein," gab Albert zur Ant-
wort. „Herr v. Sentis wünscht über das Geschick der
Dame, die einst seine Gattin war, Aufklärung zn er-
halten."
Der Graf war auf diese Fragen nicht im Geringsten
vorbereitet, er erfaßte mit der Rechten die Lehne eines
Stuhles, um sich ausrecht zu halten, dann raffte er sich
gewaltsam zusammen. Seine Brust raug nach Athem,
so daß er kaum zu sprechen vermochte.

„Sie kennen ihn?" fragte er.
„Gewiß."
„Wo ist er?"
„Darf ich Sie bitten, zuerst meine Frage zn beant-
worten," entgegnete Albert mit größter Ruhe und Festig-
keit. „Es ist Herrn v. Sentis mitgetheilt, daß Sie
die Dame schon vor Jahren in Italien verlassen hät-
ten, er wünscht darüber Aufklärung nnd einen Anhalt
zn gewinnen, wo er sie zu suchen hat."
Ein boshaft rohes Lächeln glitt über das unschöne,
verlebte Gesicht des Grafen, man sah ihm an, daß er
in diesem Augenblicke die Maske, welche die gesellschaft-
liche Form ihn: aufzwang, fallen ließ nnd sich in seiner-
wahren Gestalt zeigte.
„Haha! Will er sie zn sich nehmen? Sie steht ihn:
wieder zur Verfügung!" rief er mit höhnendem Tone.
Albert stieg das Blut in's Gesicht, diese Rohheit
empörte ihn, er mußte alle Kraft aufbieten, um sich zu
beherrschen, nnd es gelang ihm.
„Zur Beantwortung dieser Frage bin ich nicht be-
rechtigt, Herr v. Sentis wünscht nur den Aufenthalts-
ort der Unglücklichen zu erfahren," entgegnete er.
„Ha! Ich weiß ihn nicht. Sagen Sie dem Herrn,
daß er sie in irgend einer Stadt Italiens aufsnchen
möge, dort wird er sie vielleicht finden!"
„Herr Graf!" fiel Albert entrüstet ein, seine Stimme
bebte.
„Eine weitere Aufklärung habe ich Ihnen nicht zu
geben," fuhr der Graf mit hochmüthigem Tone fort
und wandte sich halb ab, um die Unterredung damit
zn beenden.
„Doch, ich habe noch eine zweite von Ihnen zu ver-
langen!" rief Albert, dem es immer schwerer wurde,
den Groll und die Erbitterung in sich zurückzudrüngen.
„Sie haben es gewagt, unter dein Namen Ihrer Gattin
eine Dame in das Haus meines Vaters zn führen,
die . . .!"
„Halt! Nicht weiter!" unterbrach ihn der Graf
heftig auf ihn zntretend.
„Die ihres anstößigen Lebenswandels wegen von der
Polizei in Baden-Baden ans der Stadt verwiesen wurde,"
fügte Albert furchtlos hinzu.
„Verwegener!" rief der Graf drohend, die Stimme
versagte ihm.
„Ich verlange Genugthuung von Ihnen für die
Schmach, die Sie dadurch dem Hause meines Vaters
angethan haben!"
„Haha! Ich bin nicht gewohnt, Leuten, die weit
unter meinem Stande sind, Genugthuung zu geben,"
erwiederte der Graf höhnend.
„Ich sehe das nur als einen Grund an, Ihre Feig-
heit zu verbergen," rief Albert aufwallend.
„Frecher!" rief der Graf, sich nicht länger beherr-
schend. „Ich bin gewöhnt, unverschämte Eindringlinge
aus meinem Hause zu werfen."
„Sie selbst?" fragte Albert mit spöttischem Lächeln.
Er blieb ruhig stehen. Sein fester Blick und seine
kräftige, breite Gestalt verriethen deutlich, daß er keine
Furcht kannte.
„Nein, ich lasse sie durch meinen Diener hinaus-
werfen!" schrie der Gras und klingelte heftig.
„Ha! Ein ritterlicher Ausweg echter Feiglinge!"
entgegnete Albert.
Der Diener stürzte in das Zimmer.
„Ferdinand, wirf den Menschen zum Hause hinaus!"
schrie der Graf mit kreischender Stimme. „Fasse ihn,
wirf ihn hinaus, eine reiche Belohnung für Dich!"
Der Diener beging die Thorheit, Alberts Arm zn
erfassen, nm den Befehl seines Herrn auszuführen.
Wie vom Blitze getroffen zuckte Albert bei der Berüh-
rung zusammen, jetzt war seine Beherrschung dahin.
Mit beiden Händen erfaßte er den Verwegenen nnd
schleuderte ihn so heftig auf seinen Herrn, daß Beide
zurücktaumelnd auf die Erde schlugen, dann verließ er
ungefährdet, scheinbar ruhig den Salon und das Haus.
Jeder Nerv in ihm zuckte. Er dachte nicht an die
beleidigenden Worte des Mannes, denn er war nicht
im Stande, seine Ehre zn verletzen, er bebte zurück vor-
der innerlichen Rohheit nnd Entartung, die er kennen
gelernt hatte, lind dieser Mann hatte den Muth ge-
habt, mit gebildeten Menschen zn verkehren.
Als er wieder in das Zimmer seines Vaters trat,
Ivar sein Gesicht so blaß, daß sein Vater ihn: bestürzt
mit der Frage: „Albert, was ist geschehen?" ent-
gegensuhr.
Er bedurfte einen Augenblick Nuhe, um sich zn fassen.
„Nichts — nichts!" entgegnete er dann. „Ich habe
nur einen Mann kennen gelernt, der ein Hohn ist für
das ganze Nlenschengeschlecht; ich hatte es nicht für
möglich gehalten, unter der Blaske der Bildung eine
so entsetzliche Rohheit zu finden das ist Alles!"
„Sie sind mit ihm an einander gerathen, er hat
Sie beleidigt?" fragte auch Salva besorgt, da ihn Al-
berts scheinbare Ruhe nicht zu täuschen vermochte.
„Nein, er ist zn feige, nm mich anznrühren, nnd
obschon er ein Prinz ist, steht er doch zu tief, um mich
beleidigen zu können. Aber fünf Jahre meines Lebens
sind mir nicht so lieb, als daß ich zn ihm gegangen
 
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