Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Hcft 16. _
bin und nicht Tn," wandte er sich an seinen Vater.
„Du würdest vor dieser Rohheit noch mehr erschrckeu
sein als ich."
Er ließ sich wie erschöpft auf einen: Stuhle nieder.
„Ich habe gezittert, während Tu fort warst," sprach
Kurt.
„Haben Sie über die Unglückliche, die einst meine
Fran war, etwas erfahren?" fragte Salva.
Albert schwieg, unwillkürlich wandte er das Gesicht
halb ab, denn er konnte des Grasen Worte nicht wieder-
holen.
„Sagen Sie nur Alles!" bat Salva.
Albert schüttelte ablehnend mit dem Kopse.
„Es ist ein entsetzlich roher und entarteter Mensch,"
bemerkte er nur.
„Sagen Sie mir Alles, erzählen Sie nur jedes Wort,"
bat Salva noch einmal. „Ich kenne ihn und ahne,
was ich zu erwarten habe. Glauben Sie nicht, daß
Ihre Erzählung mich erschrecken wird. Wer so viel
ertragen hat wie ich, dessen Nerven sind gestählt."
Albert zögerte noch immer.
Salva erfaßte seine Hand.
„Versprechen Sie nur, auch nicht ein Wort zu ver-
schweigen," fuhr er fort. „Ich Lin Ihnen mit offenem
Vertrauen entgegen gekommen, ich habe Sie in die ganze
Schmach meines Lebens blicken lassen, deshalb darf ich
volle Wahrheit von Ihnen verlangen. Sie sollen sehen,
daß ich ruhig bleibe — nnr volle Wahrheit."
Albert kam dem dringenden Verlangen nach nnd
erzählte jedes Wort der Unterredung mit dem Grafen
bis zn dem Schlüsse, wo er den Diener zurückgeschleudert.
„Die Ehrlosigkeit des Mannes übersteigt jeden Be-
griff!" rief Düringer entrüstet. „Ehrlos und feige, dies
Hütte ich nicht für möglich gehalten! Du hast Recht,
Albert, das zu ertragen wäre ich nicht im Stande ge-
wesen, ich hätte mein Blut nicht beherrschen können!
Vergiß Du es — vergiß es — halte Alles für die
Worte eines Wahnsinnigen."
Er erfaßte die Hand seines Sohnes und drückte sie
fest zum Danke für das große Opfer, welches er ihm
gebracht.
Salva hatte versprochen, ruhig zu bleiben, und ruhig
saß er da. Die Zähne hatte er aus die Lippen gepreßt,
sein Gesicht war erschreckend bleich, starr blickte sein
Auge vor sich hin.
„Sagte er nicht, wenn ich meine Frau zu nur neh-
men wolle, sie stehe wieder zu meiner Verfügung?"
fragte er mit tonloser, dumpfer Stimme.
„Regen Sie sich nicht auf, vergessen Sie die Worte
eines Entarteten," bat Albert.
„Sagen Sie nur die Wahrheit! Lauteten seine Worte
so?" fuhr Salva fort.
„Ja."
Salva erhob sich und erfaßte Alberts Hand.
„Ich danke Ihnen," sprach er. „Sie haben mir
einen schweren, schweren Dienst erwiesen, ich werde ihn
nie vergessen."
Seine äußere Ruhe hatte etwas Unheimliches, sein
ganzer Körper zitterte leise. Er wollte sich entfernen.
„Bleiben Sie noch, ich. bitte Sie!" rief Düringer,
ihn zurückhaltend. „Sie sind erregt, erholen Sie sich erst."
„Ich danke Ihnen, Sie sehen, ich bin ruhig," lautete
Salva's Antwort.
Er schritt znr Thüre, ehe er dieselbe indessen erreichte,
brach er ohnmächtig zusammen.
Kurt und Albert sprangen ihn: zu Hilfe und tru-
gen ihn auf das Sopha. Es war doch zu viel für ihn
gewesen. Salva kam wieder zu sich, strich mit der
Hand über die Stirne, als ob er einen schweren Traum
verscheuchen wolle. Dann erhob er sich langsam.
„Ich habe meinen Kräften zu viel zugemuthet,"
sprach er. „Ich bin die ganze Nacht durchfahren, ich habe
vergessen, heute Morgen etwas zn genießen — das ist es."
Er trank ein Glas Wein, welches Kurt schnell her-
beiholen ließ.
„Wollen Sie gegen - gegen den Schändlichen ir-
gend etwas unternehmen?" fragte Kurt besorgt.
Salva schüttelte ablehnend mit dem Kopfe.
„Und Sie bleiben noch hier?"
„Ja, mindestens einige Tage, wir sehen nns auf
jeden Fall noch, ehe ich wieder fortreise," gab Salva
zur Antwort, drückte Kurt und Albert noch einmal die
Hand und entfernte sich dann.
Kurt schritt im Zimmer erregt auf und ab, er konnte
das Gehörte so schnell nicht überwinden.
„Wirst Du von dem Verächtlichen noch Genugthnnng
verlangen?" fragte er endlich.
,/Nein, denn er hat sie nur verweigert," gab Albert
zur Antwort. „Ich vermuthe, daß er sich bald von
hier entfernen wird, denn nun er erkannt ist, kann hier-
feines Bleibens nicht mehr sein."
„Ich wünsche ihn nie wiederzusehen," fuhr Kurt
fort. „Verschweige der Maina nnd Else vor der Hand
Alles, denn es würde sie tief kränken, wenn sie erführen,
welche Person sie so freundlich bei sich ausgenommen
haben."
„Ich würde ohnehin gegen sie geschwieaen haben,"
gab Albert znr Antwort.

Das Buch für Alle.
Zehntes Kapitel.
Schlag auf Schlag.
Am folgenden Morgen ritten Düringer und Albert
nach der früheren Oberförsterei, um nach Salva's Be-
finden zu fragen, dein: die Erregung, in der er sie ver-
lassen, hatte sie doch besorgt gemacht.
Salva kam ihnen schon vor den: Hause ii: artigster
Weise entgegen und führte sie in die mit größten: Luxus
ausgestatteten Räume. Er erschien ruhig, war aber
auffallend blaß.
Unwillkürlich richtete sich Alberts Blick auf die an
den Wänden hängenden Gemälde, meist Landschaften.
„Es sind Versuche meiner Tochter," bemerkte Salva
lächelnd.
„Versuche!" rief Albert. „Der beste Künstler brauchte
sich dieser Arbeiten nicht zu schämen; diese Landschaft
hier ist prächtig gemalt."
„Meine Tochter hat Talent," erwiederte Salva ruhig.
„Sie sehen indessen die Arbeiten vielleicht mit zu gün-
stigen Augen an."
„Plein, nein!" rief Albert, der den Blick nicht von
den Bildern trennen konnte. Dies Alles hatte ihre kleine
Hand gemalt, in diesen Räumen hatte sie gewohnt, dort
an jenen: Schreibtische — vor jener Staffelei hatte sie
gesessen!
„Gestatten Sie nur noch eine Frage in Betreff Ihrer
gestrigen Unterredung nut — mit den: Herrn Grasen,"
sprach Salva, das Gespräch auf einen anderen Gegen-
stand lenkend. „Nannte derselbe seinen Diener nicht
Ferdinand?"
„Ja."
„Wie alt schätzen Sie den Diener?" forschte Salva
weiter.
„Er wird einige fünfzig Jahre alt sein, vielleicht
auch älter, denn seine Haare beginnen bereits sich zn
färben," gab Albert zur Autwort. „Es ist keine ein-
nehmende Persönlichkeit, Henn ans seinen Augen spricht
ein falscher und verschlagener Sinn."
„Das ist derselbe Diener noch, den er einst schon
hatte!" ries Salva. „Er ist noch schlechter als sein
Herr!"
„Begleiten Sie nns aus nnserem Spazierritte," bat
Kurt, der sah, wie Salva auf's Piene durch die Erinne-
rung mächtig erregt wurde.
„Ich werde Sie begleiten," sprach Salva und gab
den: Diener Befehl, fein Pferd satteln zn lassen. „Ich
habe diesen Wald lieb gewonnen und weiß nicht, wenn
ich ihn Wiedersehen werde."
„Sie wolle:: uns bald verlassen?" fragte Kurt.
„Morgen." '
„So bald schon?"
„Sie können leicht errathen, was mich treibt. Die
Befürchtung, daß die Unglückliche, mit der ich einst
glücklich war, nur in Italien als Bettlerin entgegen-
getreten se, ist auf's Neue in nur erwacht und hat mehr
und mehr Gewißheit gewonnen; es ist jetzt klar, daß
der Schändliche sie verstoßen und dem Elende Preis-
gegeben hat, denn Mitleid hat er nie gekannt. Ich will
noch einmal alle Mühe aufwenden, sie zu finden und
ihr Leben vor Elend zu schützen. Ich habe nicht viel
Zeit, denn meine Tochter wird mich erwarten und sie
darf ja nicht ahnen, was mich fern hält."
Der Reitknecht führte bereits das Pferd vor. Salva
trat für wenige Minuten in ein Nebenzimmer und ver-
ließ dann mit Kurt und Albert das Haus. Sie ritten
in den Wald hinein.
Kurt versuchte wiederholt eiu Gespräch anzuknüpfen,
Salva ging nur flüchtig und scheinbar ungern darauf
ein, er vermochte nicht zu verbergen, daß seine Gedanken
sich mit einen: ganz anderen Gegenstände beschäftigten.
„Sie werden doch mit Ihrer Tochter hisher zurück-
kehren?" fragte Düringer, auf's Nene das Gespräch auf-
nehmend.
„Ich weiß es noch nicht," gab Salva znr Antwort.
„Bleibt der — der Graf hier, fo ist es mir unmöglich."
„Er kann nicht hier bleiben," warf Düringer ein.
„Seitdem seine Vergangenheit und sein Charakter er-
kannt sind, dürfte Niemand mehr Verlangen tragen,
mit ihn: zu verkehren, er selbst kann sich ja kaum noch
sehen lassen."
„Sie kennen ihn nicht," erwiederte Salva mit bit-
teren: Lächeln. „Er glaubt Allem trotze:: uud sich
über Alles hinwegsehen zu können, weil fürstliches Blut
in seinen Adern fließt, und den wahren Begriff der Ehre
hat er nie kennen gelernt."
„Auch nnr würde der Aufenthalt hier verleidet wer-
den, wenn er hier bliebe," bemerkte Kurt.
Sie waren in einen Hohlweg eingebogen, der kann:
breit genug war, daß Salva und Kurt neben einander
reiten konnten, Albert ritt hinter ihnen. Zu beiden
Seiten des Weges erhob sich eine hohe Felsenwand.
Der Hohlweg war ursprünglich künstlich angelegt, seit
langen Jahren hatte der Regen und das aus den Ber-
gen strömende Wasser ihn tiefer und tiefer gewaschen.
Sie ritten langsam; bei einer scharfen Biegung des
Weges, die durch einen mächtig hervorspringenden Fel-
sen hervorgerufen war, hielten sie unwillkürlich erschreckt

363

die Pferde an, denn in demselben Augenblicke bogen der
Gras und Thekla, von den: Diener gefolgt, alle Drei zu
Pferde, um die Ecke und hielten kaum einige Schritte
entfernt vor ihnen.
Diese Begegnung war von Keinem geahnt. Wäh-
rend Kurt besorgt auf Salva blickte, der regungslos
im Sattel saß, zuckte um des Grafen Mund ein bos-
haftes, höhnendes Lächeln. Die beiden Männer, die sich
seit länger denn fünfzehn Jahren nicht gesehen, befan-
den sich einander unerwartet gegenüber. Der Graf
wußte, daß er keinen größeren Feind besaß als Salva,
er hatte ehrlos und schändlich an demselben gehandelt,
allein er empfand dies nicht, denn sein Gewissen hatte
ihm nie Vorwürfe gemacht. Die Begegnung war ihn:
nicht angenehm, allein was konnte für ihn, den Bruder
des regierenden Fürsten von M daraus entstehen?
Thekla beugte sich zu ihn: und sprach halblaut: „Laß
uns umkehren." Der Blick aus Salva's Auge mochte
sie das Schlimmste befürchten lassen.
„Nein!" entgegnete der Gras lant. In seinen Adern
floß ja fürstliches Blut, er kaunte kein Nachgeben.
„Platz dort!" rief er Düringer und Salva zu; er
war ja an das Befehlen gewöhnt.
Weder Düringer noch Salva rührten sich.
Noch einmal wiederholte der Gras den Befehl, sein
Ange zuckte und warf einen boshaften Blick. Als sei-
nen: Worte auch jetzt noch nicht gehorcht wurde, rief er
seinen: Diener zu: „Ferdinaud, mach' nur mit der Reit-
gerte Platz, damit ich durchreiten kann!"
In diesen: Augenblicke gab ^Lalva seinen: Pferde die
Sporen, daß es mit einen: Satze dicht nelen den: Gra-
fen war.
„Ich will Platz machen!" rief er, einen Revolver-
ans der Brusttasche reißend. „Ich will zugleich einen:
Schurken den verdienten Lohn geben."
Mit einem bangen Hilferufe wollte der Graf fein
Pferd zurückwenden, der Revolver blitzte schnell zweimal
hinter einander aus, der Getroffene sank von: Pferde.
Dies Alles war das Werk weniger Sekunden.
Kurt war Salva sofort gefolgt, er kau: zu spät.
„Allmächtiger Gott, was haben Sie gethan?" rief
er bestürzt.
„Eine alte Schuld abgetragen," gab Lwlva znr
Antwort.
Thekla sank ohnmächtig von den: Pferde.
Als der Diener seinen Herrn niedersinken sah, trieb
er sein Pferd auf Salva zu, um sich auf denselben zu
stürzen. Albert, der sofort von: Pferde gesprungen war,
kam ihn: zuvor und versetzte dem Pferde des Anstür-
menden mit der Gerte einen so heftigen Schlag aus die
Nase, daß es hoch aufbäumte, sich überschlug und seinen
Reiter mit niederriß.
Es war ein wirres, wildes Durcheinander.
Der Graf lag röchelnd und jammernd an der Erde,
er rief mit schwacher Stimme nach Hilfe, sein feiger
Charakter trat offen zu Tage, nun er den Tod, den er
so sehr fürchtete, nahen fühlte.
Thekla war wieder zum Bewußtsein gekommen, sie
eilte zu den: Verwundeten, kniete schluchzend neben ihm
nieder und suchte das aus seiner Brust strömende Blut
mit einen: Tuche zu stillen, der Diener rief, sich aus
Alberts Nähe entfernt haltend, laut: „Hilfe — Hilfe
— ein Mord — ein Mörder!" Der Ruf verhallte in
der Einsamkeit des Waldes.
Salva saß noch immer regungslos auf feinen: Pferde,
den Revolver in der Hand haltend, den Blick auf den
Sterbenden geheftet. Sein Gesicht war blaß, allein seine
Brust athmete erleichtert, er hatte Vergeltung an den:
Manne geübt, der ihn so schändlich betrogen und so
höhnend herausgefordert, das Gefühl einer so lange ge-
hegten und endlich befriedigten Rache durchzuckte ihn —
er dachte nicht an die Folgen seiner That, er sah nur
dei: Elenden in der Todesangst sich krümmen.
Kurt ritt dicht an ihn heran.
„Ich bitte Sie, fliehen Sie — noch ist es Zeit,"
ries er ihn: leise zu.
Salva schüttelte ablehnend mit dem Kopfe, er schien
sich von dem Anblicke des Sterbenden nicht trennen zu
können.
Noch einmal wiederholte Knrt seine Mahnung.
„Nein — nein," erwiederte Salva.
Die Kräfte des Verwundeten nahmen schnell ab,
Thetla verlangte nach einen: Arzte und befahl den: Die-
ner, einen solchen zn holen. Nach kurzen: Zögern schwang
der Diener sich auf das Pferd seines Herrn und sprengte
schnell davon.
Weder Düringer noch Albert konnten sich entschließen,
zur Unterstützung an die heranzutreten, die sie weder
achten noch auch bedauern konnten.
Der Verwundete wurde ruhiger, da traf seii: Auge
den Blick Salva's, ein unsagbar häßlicher Zug des
Hasses entstellte sein Gesicht; er versuchte, sich empor-
zurichten, seine Lippen bewegten sich, kraftlos sank er
zurück, das Leben war entflohen.
Laut jammernd warf sich Thekla über ihn.
„Kommen Sie — kommen Sie, wir sind hier über-
flüssig," rief Düringer Salva zu, noch immer die Hoff-
nung nicht aufgebend, ihn znr Flucht zu bewegen.
 
Annotationen