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886

Bitterkeit ein. „Das fürstliche Blut, welches in seinen
Adern floß, hat ihn nur zu oft geschützt; er wähnte
sich über das Gesetz hinwegsetzcn zn können, deshalb
wacht es einen befriedigenden Eindruck, daß ihn die Strafe
doch endlich erreicht hat. — Wird meine nochmalige
Vernehmung über das Geschehene nöthig sein?" fügte
er fragend hinzu.
„Darüber vermag ich noch nichts zu bestimmen; wenn
nicht neue Momente noch hinzutreten, Wohl kaum."
„Ich frage nicht deshalb, weil sie mir peinlich ist,"
fuhr Düringer fort, „sondern weil mich eine Reise
mehrere Tage von hier fernhalten wird. Salva hat
mir das Geschick seiner Tochter an das Herz gelegt, die
Unglückliche ahnt noch nichts und es ist mir die schwere
Ausgabe zugefallen, es ihr mitzutheilen und sie aus
München, wo sie sich gegenwärtig befindet, abzuholen.
Es würde mir sehr leid thun, wenn ich genöthigt wäre,
vorläufig hier zu bleiben."
„Wie lange werden Sie fort bleiben?"
„Ich hoffe nur wenige Tage."
„Dann reisen Sie! Salva ist todt und gegen einen
Todten kann das Gesetz nicht mehr einschreiten."
Elftes Kapitel.
In der Wassermühle.
In einem kleinen, mehr von Hügeln als von Bergen
eingefaßten und ungefähr zwei Stunden von der Stadt
entfernten Thale lag halb unter alten Linden und Ka-
stanien versteckt ein einsames Gehöft. Die Tische und
Bänke unter den Bäumen verriethen dem Wanderer,
der vorüber kam, daß er hier ein Wirthshans zu suchen
habe, und doch deutete ein altes Wasserrad darauf hin,
daß man sich vor einer Wassermühle befinde. Trat
man freilich an dies Rad näher heran, so erkannte man,
daß es schon seit Jahren sich nicht mehr gedreht haben
konnte, denn es war halb zerfallen und aus den: mor-
schen Holzgefüge wuchsen hier und dort grüne Büsche
lustig hervor.
Der Mühlbach war längst vertrocknet und nur bei
Regenwetter floß ein spärlicher Bach darin hin, der
freilich dem alten Rade nichts mehr anhaben konnte.
Trat man in das Haus, so war vou dem Getriebe
einer Mühle nicht das Geringste mehr wahrzunehmen,
nur der mit ganzen und halben Mühlsteinen gepflasterte
Weg, der zu dem Hause führte, deutete noch darauf
hin, daß hier sich einst die Räder einer Wassermühle
gedreht hatten.
Lange, lange Jahre war hier eine Wassermühle ge-
wesen, denn als sie einst angelegt war, waren auch die
Linden und Kastanien gepflanzt, und das Alter dieser
mächtigen Bäume mußte man fast aus Jahrhunderte
berechnen.
Die Besitzer dieser Wassermühle hatten einst ein sehr-
gutes Geschäft gemacht und waren reiche Leute geworden.
Mit den Jahren änderten sich indessen die Verhält-
nisse. Die Bürger, welche früher ihr Korn dort mahlen
ließen, hörten mehr und mehr auf, selbst Brod zu backen
und kauften es von den Bäckern. Nur diese ließen
Zuletzt noch in der Mühle mahlen und mit ihnen war
kein rechtes Geschäft mehr zu machen, weil sie ebenso
schlau wie die Müller waren.
Aber auch in anderer Beziehung hatten die Verhält-
nisse sich geändert. Die Bewohner der Stadt sanden
nämlich mit jedem Jahre mehr, daß der Weg zu der
Wassermühle ein sehr hübscher Spaziergang sei und daß
es sich unter den schattigen Linden prächtig saß. Sie
erhielten zwar anfangs Zur Erfrischung nichts weiter
als ein Glas Milch oder sehr dünnes Bier und höch-
stens ein Stück Brod, trotzdem nahm der Verkehr mehr
und mehr zn.
Nun war aber der letzte Besitzer der Mühle, Schnapset
war sein Name, ein sehr vernünftiger Mann, der bald
zu der Ueberzeugung gelangte, daß es eigentlich Viel
angenehmer sei, einen Wirth zu spielen, die Gäste zu
begrüßen und mit ihnen im Schatten der Linden zu
plaudern, als in der staubichten Mühle zu stehen und
sich über die Bäcker zu ärgern. Kühn entschlossen, gab
er die ganze Müllerei auf, erwarb sich die Schenkgerecht-
same und gab seinem Hause nun deu Namen: „Wirths-
haus zur Wassermühle".
Er richtete die Mühlräume zu Gastzimmern ein,
machte, weil er nun ein Wirthshans besaß, theurere
Preise und verdünnte dafür die Milch hinreichend mit
Wasser, das er ja nun zum Mahlen nicht mehr nöthig
hatte.
Trotzdem nahm der Verkehr auf der Wassermühle
mit jedem Jahre zu, es war Mode geworden, dieselbe
zu besuchen und mit jedem Jahre mußte Schnapset
mehr Tische und Stühle anschaffen. Die Gäste waren
im Ganzen auch zufrieden, denn in anderen Wirths-
hänsern hatten sie es auch nicht besser, und Eines hatte
die Wassermühle doch vor allen voraus, nämlich die
prächtige Luft, den kühlen Schatten und den ausgezeich-
neten Durst, der sich regelmäßig einstellte, nachdem die
Gäste zwei Stunden weit gegangen waren.
Und in einer Beziehung war Schnapsel ein sehr-
guter Wirth, er hielt stets auf gute uud reine Biere

Das Buch für Alle.
und Weine; er that dies freilich auch nur aus Schlau-
heit und weil er von beiden: selbst trank.
Trotzdem sollten ihm die guten Getränke schlecht be-
kommen, denn eines Tages rührte ihn der Schlag und
am folgenden Morgen war er todt. Die ihn näher kann-
ten, behaupteten, er habe zu viel getrunken, weil er es
für seine Pflicht gehalten, den Gästen im Trinken stets
mit einem guten Beispiele voranzugehen; wenn er diese
Behauptung gehört hätte, würde er sich dagegen ver-
wahrt haben, weil er seiner Frau gegenüber sehr-
häufig der Meinung war, daß er noch nicht einmal
genug trinke.
Die Besucher der Wassermühle empfanden Schnäpselns
Tod nicht sehr schwer, denn die Wirthschast wurde nicht
im Geringsten schlechter, seine Frau setzte sie fort und
sie war bei den Gästen noch mehr beliebt, als es ihr
Mann je gewesen war.
Für Jeden hatte sie ein freundliches Wort, sie suchte
den Wunsch eines jeden Gastes zu erfüllen und sie hatte
so viel von ihrem Manne gelernt, um einzusehen, daß
es eine Thorheit sein würde, wenn sie durch ihr freund-
liches Entgegenkommen Schaden leiden sollte.
Sie hatte ihren Mann, mit dem sie sehr glücklich
gelebt, aufrichtig betrauert, allein die Zeit hatte ihr
auch über diesen Schmerz hinweggeholfen. Er war nun
bereits zwei Jahre todt. Sie stand nicht allein, denn
sie wurde von ihren beiden ältesten Kindern in der
Wirthschast sehr unterstützt. Ihr ältester Sohn, Phi-
lipp, der bereits achtundzwanzig Jahre zählte, war ein
gesetzter und sehr verständiger Mensch, und ihre um
zwei Jahre jüngere älteste Tochter, Bertha, artete im
Wesentlichen der Mutter nach, das heißt, sie war gut-
müthig, rechtschaffen und fleißig.
Diese beiden Kinder entstammten ihrer ersten Ehe,
denn sie hatte Schnapsel erst geheirathet, als Philipp
bereits zehn Jahre alt war. Von Schnapsel besaß sie
auch zwei Kinder, einen siebenzehnjährigen Sohn, Ro-
bert, der in der Stadt war, um Kaufmann zu werden,
und eine fünfzehnjährige Tochter, Käthe, ein hübsches,
unbändig ausgelassenes Mädchen, welches von den Eltern
wie von ihren beiden Stiefgeschwistern gleichmäßig ver-
zogen war.
In Käthe machte sich das Blut ihres Vaters in
ganz entschiedener Weise geltend: sie war Pfiffig und
lustig und blickte so unbefangen in das Leben, wie dies
nur ein fünfzehnjähriges Blut vermag, das von Jugend
auf verwöhnt ist und Sorgen nie kennen gelernt hat.
Sie war Schnapfells Stolz gewesen, und um ihr eine
über ihren Stand hinausgehende Bildung zu geben,
war sie Jahre lang in der Stadt in einem Pensionat ge-
wesen. Erst nach dem Tode ihres Vaters kehrte sie in
das elterliche Haus zurück, und wenn sie auch zur
Wirthschast wenig Neigung hatte, so war sie doch der
heitere Geist im Hause, den alle gern hatten.
Die Mutter ließ sie gewähren, hatte sie doch an
ihrer ältesten und sehr einfach erzogenen Tochter eine
ausreichende Hilfe, und sie wußte auch aus Erfahrung,
daß Käthe, wenn sie in der Wirthschast wirklich einmal
zugriff, gewöhnlich alles verkehrt machte.
Es war ein heiterer stiller Morgen. Die Wirthin,
eine Frau in der Mitte der Vierzig, deren freundlich
behäbigem Wefen man anf den ersten Blick die Gut-
müthigkeit ansah, saß vor der Thüre der Wassermühle.
Um diese Zeit pflegten selten Gäste aus der Stadt zu
kommen, da hatte sie Zeit, denn was im Hause nöthig
war, besorgte Bertha mit den Dienstmägden, und Phi-
lipp war auf das Feld gefahren, da zu der Wassermühle
auch eine kleine Landwirth schäft gehörte.
Küthe hatte kurze Zeit neben ihr gesessen, dann war
sie nach dem nahen Bergabhange geeilt, um dort Blu-
men zu pflücken. Das Auge der Mutter folgte ihr,
wie sie leicht und doch so sicher an dem Abhange empor-
kletterte, das lustige Lied, welches sie sang, klang hell
durch das Thal hin.
Wie oft, wenn die Frau allein faß, richteten sich
ihre Blicke in die Vergangenheit. Sie fühlte sich glück-
lich, es blieb ihr kaum ein Wunsch übrig, allein wie
unsagbar schwer hatte sie sich durchringen müssen, ehe
sie an diesem Ziele angelangt war! Und doch dachte
sie an die Zeit nicht ungern zurück, trotz all der Noth
und des Elendes, mit denen sie Jahre lang gekämpft,
hatte sie jede an sie herangetretene Versuchung zurück-
gewiesen und lieber mit ihren beiden Kindern gedarbt,
indeß der Lohn war auch nicht ausgeblieben.
Ihr ältester Sohn zählte zehn Jahre, als sie Schna-
pset kennen lernte, der damals noch Müller war. Be-
reits ein Mann nahe den Vierzigen, hatte er in seinem
Aeußeren wenig Verlockendes. Verwandte von ihm,
denen es nicht recht war, daß er eine arme Wittwe nut
zwei Kindern heirathete, ricthen ihr von dieser Verbin-
dung ab, schilderten Schnapsel als rohen und jähzornigen
Menschen und weissagten ihr trübe Tage. Dennoch hatte
sie ihn nicht zurückweisen mögen, obschon sie ost schwan-
kend geworden war; hatte doch der Jähzorn ihres ersten
Mannes ein unsagbares Elend über sie gebracht, an
welches sie kaum ohne Zittern zurückdenken konnte.
Da versuchten die Verwandten einen anderen Weg
und hatten Schnapsel znrückschrecken wollen. Durch

Heft N.
eifrige Nachforschungen wußten sie, daß der erste Mann
der jungen Wittwe ein Verbrechen begangen, und trium-
phirend hatten sie ihm dies erzählt. Es hatte einen
tiefen Eindruck auf ihn gemacht, allein sie hatten Schna-
Pfells Charakter doch nicht richtig berechnet. Einige
Wochen lang besuchte er die, welche er liebte, nicht,
dann unternahm er eine mehrtägige Reise und als er
zurückkehrte, war fein erster Gang zu der jungen Wittwe.
Er ließ sich von ihr erzählen, was mit ihrem ersten
Manne geschehen war, und als sie ihm Alles wahr und
offen mittheilte, wie er es selbst an Ort und Stelle,
wohin er gereist war, gehört hatte, da streckte er ihr
seine Hand entgegen und bat sie, daß sie sein werden
möge.
„Man will uns von einander trennen," sprach er,
„meinen Verwandten paßt es nicht, daß ich Dich hei-
rathe, ich weiß sogar, daß sie Dir eingeredet haben, ich
sei roh und jähzornig; roh bin ich nicht, wenn schon
ich die feinen städtischen Formen nicht kenne, das Blut
kann mir zwar zu Kopfe steigen, wenn ich Unrecht sehe,
allein Du darfst mir Dein Geschick und Leben dreist
anvertrauen."
Sie hatte es ihm anvertraut und es nie bereut, denn
wenn er auch einmal zornig geworden war, so hatte er
doch ihr nie ein böses Wort gesagt und ihr jede.Liebe,
die sie ihm entgegenbrachte, durch Liebe reichlich vergolten.
Er war gegen ihre Kinder aus erster Ehe stets gerecht,
wenn auch oft streng gewesen, er hatte sie gern gehabt
und ihm mußte sie ein großes Theil des Verdienstes,
daß beide so gut gerathen waren, zugestehen.
Sie dachte an den Verstorbenen, als ein Gast auf
dem aus der Stadt führenden Wege nahte und sich
unter einer der Linden niederließ. Sie trat auf ihn
zu, um nach feinem Begehr zu fragen. Die Züge des
Mannes, der mit Sorgfalt gekleidet war und den Ein-
druck eines wohlhabenden Bürgers machte, kamen ihr
bekannt vor, und doch konnte sie sich nicht entsinnen,
wer er war. Es kamen freilich zu viel Gäste aus der
Stadt, als daß sie deren Namen sich hätte einprägen
können. Die Neugierde, mit der er sich umblickte, schien
ihr indessen zu verrathen, daß er zum ersten Male
hieher kam.
Der Fremde blickte sie mit seinen stechenden Augen
forschend an, dann bestellte er ein Glas Bier. Die
Frau holte das Verlangte und stellte es auf den Tisch,
dann wollte sie sich entfernen.
„Nun, die Gäste drängen sich hier nicht," sprach der
Mann. „Ich komme zum ersten Male hieher, wollen
Sie mir nicht etwas Gesellschaft leisten. Das Bier
schmeckt besser, wenn man nicht allein sitzt."
Der Fremde gefiel der Wirthin nicht, dennoch blieb
sie stehen; sie hielt es ja für ihre Pflicht, die Gäste zu
unterhalten, wenn diese es wünschten und ihre Zeit es
gestattete.
Ihr Mann hatte stets gesagt: „Ein Wirth kann sei-
nen Gästen Durst machen, er kann ihn aber auch ver-
treiben. Erzählt man ihnen eine lustige Geschichte und
unterhält sie gut, so trinken sie noch einmal so viel."
„Sie sind Wohl noch nicht lange in der Stadt, sonst
würden Sic die Wassermühle gewiß kennen," bemerkte sie.
„Ich bin durch Zufall auf einem Spaziergange zum
ersten Male hieher gerathen," gab der Fremde zur Ant-
wort. „Aber es ist sehr hübsch hier, die Bäume sind
so schattig, ringsum lagert ein so tiefer Frieden."
„Die Herren aus der Stadt kommen gern hieher,"
versicherte die Frau.
„Sie sind Wohl die Wirthin?"
Ja "
",Wie heißt Ihr Mann?"
„Schnapsel, er ist indessen bereits seit zwei Jahren
todt."
„O! Sie haben aber Kinder?"
„Jawohl, vier gute und liebe Kinder, zwei aus
meiner ersten Ehe und zwei aus der zweiten."
„Ah, Sie waren schon einmal verheirathet?" fuhr
der Fremde fort und sein Auge glitt forschend über das
Gesicht der Frau hin. „Wie hieß ihr erster Mann?"
Die Frau zögerte einen Augenblick mit der Ant-
wort, als ob sie den Namen nicht gern nenne, dann er-
wiederte sie mit etwas leiserer Stimme: „Rode!"
„Ah! Da sind wir ja alte Bekannte!" rief der
Fremde scheinbar erfreut. „Meine Erinnerung hat mich
also doch nicht getäuscht! Ihr Auge fiel mir sofort
auf, als ich Sie sah; allein es sind lange Jahre her,
seitdem wir uns znm letzten Male gesehen haben, da
war ich meiner Sache doch nicht ganz gewiß. Christine,
kennen Sie mich nicht mehr?"
In fast vertraulicher Weise hielt er der Wirthin die
Hand entgegen.
Diese zögerte, dieselbe anzunehmen. Sie wußte, daß
sie ihn kannte, und doch konnte sie sich nicht entsinnen,
wo sie ihn gesehen hatte. Eines nur empfand sie mit
voller Gewißheit, der Fremde machte keinen günstigen
Eindruck auf sie.
„Ich kanu mich nicht entsinnen," entgegnete sie.
„Haha! Christine, Sie kennen mich also wirklich
nicht mehr?" fuhr der Fremde fort. „Es sind freilich
viele Jahre her und ich bin älter geworden, während
 
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