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Heft l9. _
er zu dem Entschlüsse, das, was ihm Leonard mitge-
theilt hatte, zu verschweigen und me zu Verratheu, daß
Albert und Leonard Brüder seien.
Er wurde ruhiger, als dieser Entschluß sich in ihm ge-
festigt hatte, denn er mußte sich gestehen, daß er nichts
Besseres thuu konnte, um Alberts Glück und den Frie-
den in seiner Familie ausrecht zu erhalten.
Fünfzehntes Kapitel.
Eine Sterbende.
Für Theodora war Alberts Krankheit nicht ohne
günstige Wirkung geblieben, denn ihr Schmerz um den
Bcrlust des Vaters war dadurch gemildert. Sie sah
Tag für Tag das Bangen um Alberts Leben, sie em-
pfand es selbst mit, da wagte sie den eigenen Schmerz
kaum zu zeigen. Was ihr genommen war, konnte ihr
nicht wiedergegeben werden, es war für immer verloren,
hier galt es', ein Leben zu erhalten.
Durch ihr Bangen um Alberts Leben wurde sie sich
am Deutlichsten bewußt, einen wie festen Platz er in
ihrem Herzen eingenommen hatte. Sie sprach dies gegen
Niemand aus und doch verrieth sie es durch manchen
kleinen Zug, lind dies trug nicht unwesentlich zu Alberts
schnellerer Genesung bei.
Seit seiner Erkrankung hatte sie Albert nicht gesehen,
allein wenn Else zu ihm ging, gab sie ihr für den Ge-
nesenden einen Gruß oder eine Blume, die sie im Walde
gepflückt hatte, mit, und eine solche Blume war für Albert
das schönste Geschenk. In einem kleinen Glase auf denn
dicht neben feinem Bette stehenden Tische suchte er die-
selbe so lange als möglich frisch zu erhalten und Viertel-
stunden lang ließ er den Blick darauf ruhen.
Glückliche Träume der Zukunft erfüllten ihn, denn
jetzt zweifelte er nicht mehr, daß es ihm gelingen werde,
Theodorens Herz zu gewinnen, und mehr wünschte er
vom Leben nicht.
Düringer, der nach Salva's Bestimmung Theodorens
Vormund geworden war und die Hinterlassenschaft des
Todtcn geordnet hatte, war überrascht durch die Größe
des Vermögens, welches Theodora jetzt erbte. Sie selbst
schien von dem Reichthum ihres Vaters keine Ahnung
gehabt zu haben, da derselbe stets sehr zurückgezogen
und auch einfach gelebt hatte. Als Düringer ihr die
Größe ihres Vermögens mittheilte, nahm sie dies rnhig,
fast gleichgiltig auf, denn welchen Werth hatte das Geld
für sie, die so viel verloren hatte! Mit Freuden würde
sie Alles hingegeben haben, wenn sie das Leben ihres
Vaters hätte damit erkaufen können.
Salva's Besitzung, die frühere Oberförsterei, war
vollständig unverändert geblieben, Düringer erhielt sie
Theodorens wegen ganz in dem Zustande, in dem Salva
sie hinterlassen hatte. Mochten Andere ihm auch den
Vorwurf der Verschwendung machen, er wußte, daß
Theodorens Vermögen dadurch nicht beeinträchtigt wurde.
Trug es doch wesentlich zu ihrer Beruhigung bei, daß
sie täglich einige Stunden auf der Besitzung zubringen
konnte.
Er selbst würde die Sorge für diese Besitzung gerade
in dieser Zeit ungern vermißt haben, denn sie zwang
ihn wenigstens für kurze Zeit, das Bangen um Albert
zu vergeßen.
In aller Frühe war er eines Morgens nach der
Oberförsterei geeilt. Leonard hatte Albert gestattet, an
diesem Tage den ersten kleinen Ausflug zu Wagen in
den Wald zu unternehmen, und Theodora hatte den Wunsch
ausgesprochen, daß er die Besitzung ihres Vaters besuchen
möge. Albert war nur zu gern damit einverstanden,
und sein Vater war deshalb dorthin geeilt, um die Vor-
kehrungen zu dem Empfange des Genesenden zu treffen.
Wußte er doch, daß er auch Theodora dadurch eine
Frende bereiten werde, denn sie hatte die Genehmigung
des Arztes zu dem Ausfluge fast noch freudiger begrüßt
als Albert.
Schon die wenigen Male, die sie mit Albert nach
seiner Krankheit zusammen gekommen war, hatten deut-
lich verrathen, daß Beider Herzen schon einander ge-
hörten, wenn gleich ihre Lippen noch kein Wort der Liebe
gesprochen hatten und Jeder von ihnen wähnte, das
Geheimniß seines Herzens streng zu bewahren. Jedes
andere Gefühl als das der Liebe läßt sich verbergen.
Ter tiefste Haß läßt sich hinter einem ruhigen Lächeln
verstecken, die erbittertste Feindschaft kann den Schein
der Freundlichkeit bergen, nur für die Liebe gibt es
keinen Schleier. Sie leuchtet aus dem stillen Glanze
der Augen, sie spricht aus dem Tone der Stimme, sie
verräth sich durch das Blut in den Wangen und durch
das neue Leben, welches durch die Adern pulst.
Kurt war in der heitersten Stimmung. Der Tag
versprach so schön zu werden, wie er ihn nur für den
noch immer schwachen und der größten Vorsicht be-
dürftigen Sohn wünschen konnte. Es lag über der
früheren Oberförsterei eine Ruhe und ein Hauch des
Friedens, wie er schöner beides kaum je empfunden
hatte. In dem Garten blühten die Blumen mit wun-
derbarer Frische, hieher drang freilich nie eine Staub-
wolke, Blumen und Blätter erfrischten sich nächtlich
durch den Than.

Das Buch für Alle.
Nachdem er Alles für Alberts Empfang besorgt hatte,
kehrte Düringer zu seiner Besitzung zurück. Der Mor-
gen war so schön, daß er sich nicht versagen konnte,
einen kleinen Umweg durch den Wald zu machen. Ein
schmaler und nur wenig beschrittener Pfad führte an
dem Bache, der neben der Oberförsterei vorüberfloß,
entlang. Diesen Weg schlug er ein; das hohe Gebüsch
zu beiden Seiten schloß sich über ihm, so daß der Pfad
ein schmaler, schattiger Laubengang war. Langsam zog
er sich an einer Anhöhe empor, den Bach etwas zur
Seite lassend.
In Gedanken versunken schritt er dahin, als er Plötz-
lich überrascht still stand. Kaum wenige Schritte vor
ihm an der Wurzel eines Baumes niedergekauert lag
eine Frauengestalt, ärmlich gekleidet, mit bleichen, ab-
gehärmten Zügen, in welche das Leben tiefe Furchen
eingegraben hatte. Sie hatte die Augen geschlossen, wie
im Schlafe.
Erst als er näher an sie herantrat, öffnete sie die
Augen langsam und versuchte, sich empor zu richten, sank
indessen kraftlos zurück. Von Mitleid getrieben, wollte
er sie unterstützen, ihre Kraft reichte nicht aus.
Welches Elend sprach aus den dunklen und trauern-
den Augen der Unglücklichen!
„Wo bin ich?" fragte sie mit schwacher Stimme.
Kurt nannte ihr den Namen des Waldes und der
nahen Stadt.
Die Arme hatte den Kopf aus die Hand gestützt.
„Dorthin wollte ich," fuhr sie leise, langsam fort.
„Hier im Walde hatte ich mich gestern verirrt, die
Kräfte, die von langer Wanderung erschöpft waren, ver-
ließen mich, halb ohnmächtig sank ich hier nieder."
„Sie haben die Nacht hier zugebracht?" fragte
Kurt.
Die Frau nickte bejahend mit dem Kopfe.
Es lag in dem Tone ihrer Stimme, in ihren Augen
ein Ausdruck, der deutlich erkennen ließ, daß sie einst
bessere Tage kennen gelernt hatte.
„Sie sind hier fremd?" forschte Kurt weiter.
„Ganz fremd."
„Zu wem wollten Sie in der Stadt?"
Die Gefragte schwieg.
„Haben Sie Bekannte in der Stadt?"
Die Frau schüttelte langsam mit dem Kopfe.
„Niemand," sprach sie dann, den Blick starr vor sich
hin auf die Erde geheftet.
„Und was hat Sie hieher geführt?" fuhr Düringer
fort.
Die Frau schwieg, dann schüttelte sie ablehnend mit
dem Kopfe.
Kurt holte aus dem nahen Bache Wasser.
Die Arme trank hastig einige Schluck, dann ver-
suchte sie auf's Neue, sich empor zu richten, sie war zu
schwach.
„Ich werde Sie nach der Stadt bringen lassen,"
sprach Kurt. „Zu wem wollen Sie?"
„Zu Niemand," lautete die schwache, zögernde Ant-
wort. „Lassen Sie mich hier sterben — ungekannt und
ungesehen, es ist am besten so!"
Welch innere Verzweiflung, welches Aufgeben jeder
Hoffnung sprach aus diesen Worten! Dies konnte nicht
allein die Verzweiflung über die hilflose Lage sein, denn
der ärmste Bettler hängt ja am Leben.
„Bleiben Sie hier, bis ich Hilfe geholt habe," sprach
Kurt.
Die Arme antwortete nicht, müde, völlig erschöpft
lehnte sie den Kops an einen Stein.
Düringer eilte nach Salva's Besitzung und kehrte
nach kurzer Zeit mit dem Gärtner und Kutscher zurück.
Die Unglückliche befand sich noch an derselben Stelle,
die beiden Männer erfaßten sie und trugen sie nach
der früheren Oberförsterei. In den: kleinen Hause des
Gärtners wurde sie niedergelegt und Düringer empfahl
sie der Frau des Gärtners zur sorgsamsten Pflege an.
„Ich werde heute noch einen Arzt senden," sprach
er. „Wenn das Fräulein hieher kommt, so verschweigen
Sie ihr, daß eine Unglückliche sich hier befindet, ich be-
fürchte, dieselbe wird nicht allzu lange mehr leben und
das Fräulein soll nicht erfahren, daß hier Jemand ge-
storben ist. Ich verlasse mich auf Ihre strengste Ver-
schwiegenheit."
Er kehrte zu den Seinigen zurück, mit Mühe den
trüben Eindruck verbergend, den die Unglückliche aus
ihn gemacht hatte.
Leonard kam, um Albert zu besuchen und noch ein-
mal seine Erlaubniß zu der Ausfahrt zu wiederholen.
Kurt bat ihn, an der Ausfahrt Theil zu nehmen und
als Leonard zustimmte, Zog er ihn zur Seite.
„Ich habe noch eine besondere Bitte an Sie," sprach
er. „Es befindet sich eine Unglückliche dort, die Ihrer
Hilfe dringend bedarf."
Er erzählte, wie er die Arme im Walde gefunden
und nach der Gärtnerwohnung hatte bringen lassen,
dann bat er Leonard, darüber zu schweigen.
„Es würde die freudige und heitere Stimmung der
Meinigen trüben, wenn sie erführen, daß dort eine Un-
glückliche liegt," fügte er hinzu. „Ich selbst muß ja
alle Kraft aufbieten, um den Eindruck, den die Bedanerns-

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werthe auf mich gemacht hat, zu verbergen; wenn man
selbst glücklich ist, empfindet man das Elend Anderer
doppelt tief. Und ich bin glücklich heute, schon die
Freude, die aus den Augen meines Sohnes leuchtet,
gibt mir die Gewißheit, daß er jetzt völlig genesen ist.
Sein Leben ist ein Geschenk, welches wir Ihnen ver-
danken."
„Sie schätzen mein Verdienst zu hoch," erwiederte
Leonard scherzend. „Wenn ich nun deshalb Alles auf-
geboten hätte, das Leben Ihres Sohnes zu erhalten,
um mir einen Freund zu erwerben? Würden Sie mich
dann nicht des Egoismus beschuldigen?"
„Ich würde genau so denken wie jetzt; weil ich für
meinen Sohn einen besseren Freund nicht wünschen kann."
„Herr Düringer, Ihnen gegenüber strecke ich die
Waffen, da ich gegen ihre Artigkeiten völlig wehrlos
dastehe," rief Leonard lachend.
„Halten Sie meine Worte wirklich nur für eine
Artigkeit?" warf Kurt ein.
„Nein, nein," entgegnete Leonard, ihm die Hand
entgegenstreckend. „Ich weiß, daß Sie eine gute Mei-
nung von mir haben, ich will nun Alles ausbieten, um
dieselbe zu verdienen."
In zwei Wagen fuhren sie zu Salva's Besitzung.
In dem ersten saßen Theodora und Else, Albert unö
Leonard, Kurt und Leone folgten in dem zweiten nach.
Und lustig ging cs in dem ersten Wagen zn. Leonard
war so heiter, daß er selbst die noch immer ernst ge-
stimmte Theodora mit hinriß.
Auf einem Umwege fuhren sie durch den Wald, mit
vollen Zügen athmete Albert die erfrischende Luft ein
und auf seinen blassen Wangen schimmerte bereits wieder
ein schwaches Roth.
„Ich wünsche, solch eine Nachkur allen meinen Kranken
verordnen zu können," sprach Leonard, indem sein Auge
über Alberts freudiges Gesicht hinglitt. „Glanben Sie
nicht auch, daß eine einzige solche Stunde in frischer
Waldluft und lustiger Gesellschaft unendlich kräftigt?"
„Und weshalb verordnen Sie es nicht?" warf
Albert ein.
„Was hilft die Verordnung, wenn sie nicht befolgt
werden kann!"
„Sie denken an einen bestimmten Fall?" sragte
Albert.
„Nein — nein," entgegnete Leonard abwehrend, da
seine Worte nicht wie eine Bitte um Unterstützung auf-
gefaßt werden sollten.
„Ihre Augen sind aufrichtiger," bemerkte Albert.
„Ist es recht, daß Sie uns täuschen wollen?"
„Ich will Sie nicht täuschen," fuhr Leonard fort,
„ich befürchte nur, daß Sie meine Worte mißdeuten.
Ich dachte allerdings an einen bestimmten Fall. Es
ist eine junge Frau, die Frau eines Arbeiters, sie
hatte dieselbe Krankheit wie Sie und ich war um ihr
Leben in gleicher Weise besorgt, ihr Mann wich Tag
und Nacht nicht von ihrem Bette und versorgte zugleich
sein zweijähriges Kind. Sie hat die Krankheit über-
wunden, aber ihre Genesung schreitet nur langsam, sehr
langsam fort, weil sic sich wenig Pflegen kann. Ihr
Mann, der durch die Krankheit sehr zurückgekommen
ist, ist jetzt den ganzen Tag wieder auf Arbeit und die
junge Frau ist noch zu schwach, um das Zimmer zu
verlassen. Es ist ein kleines dumpfes Zimmer, kaum
eine Stunde lang gegen Abend dringt ein Sonnenstrahl
in den engen Raum, da setzt sich die Arme an das
Fenster, um zum wenigsten wenige Strahlen aufzu-
sangen. In der dumpfen Luft der Wohnung wird es
lange währen, bis sie gekräftigt ist, und um in den Wald
zu kommen, reichen ihre Kräfte nicht aus."
„Auch sie soll ihn genießen, mein Vater wird ihr
mit Freuden dir Mittel geben," rief Albert.
„Es war nicht meine Absicht, für sie zu bitten,"
bemerkte Leonard.
Theodora hatte ihre Börse hervorgezogen und reichte
sie dein jungen Arzte.
„Geben Sie ihr dies," sprach sie, während ihre
Wangen sich rötheten.
Leonard zögerte, es anzunehmen.
„Geben Sie es ihr," fuhr Theodora fort. „Die
Pferde meines Vaters stehen unbeschäftigt im Stalle,
ich werde dem Kutscher den Auftrag geben, daß er die
Arme täglich aus der Stadt holt und hier im Walde
spazieren führt, bis sie vollständig gekräftigt ist."
„Ihre Güte trifft keine Unwürdige," bemerkte Leonard.
Er wußte wohl, weshalb Theodora so bereitwillig
für eine Genesende gab, saß doch ihr gegenüber Einer,
für desfen Leben sie gebangt hatte und dessen Genesung
sie mitfeierte.
Sie langten auf der früheren Oberförstcrei an.
Düringer hatte Sorge getragen, daß sie Erfrischungen
vorsanden. In dem Garten, unter dem Schatten einer
Eiche ließen sie sich nieder und der alte Rheinwein ans
Düringer's Keller erhöhte die heitere Stimmung.
Leonard erhob sich endlich, um unbemerkt die Un-
glückliche in dem nahen kleinen Gartenhause zu be-
suchen, Düringer folgte ihm und erwartete ihn vor der
Thür. Fragend richtete er den Blick auf den aus dem
Hause zurückkehrenden jungen Arzu
 
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