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598

ich Alles erfahren habe?" — Er nickte nur mit dem
Kopfe. Das Herz war ihm noch zu voll, nm ant-
worten zu können.
„Knrz vor unserer Hochzeit erhielt ich ein anonymes
Schreiben, worin man mich vor Dir warnte und Dir
eben nachsagte, Du hättest im Zuchthause gesessen," be-
gann Fran Kürtenberg ihre Erzählung. „Den: Vater
mochte ich nichts sagen, ich fürchtete seine Uebereilung
und ich vertraute mich meinem jüngsten Bruder an.
Er zog sogleich in Deiner Heimath Erkundigungen
ein und nun erfuhren wir Alles. Wohl war ich
anfangs sehr betroffen; aber ich liebte Dich, und mein
Bruder sagte auch: .Andreas ist ein ehrenwertster
Charakter, er hat sein jugendliches Verbrechen durch
ein rechtschaffenes Leben wieder gut gemacht, und
wer sich aus solchen Verhältnissen noch einmal heraus-
zuarbeitcn vermag und nicht völlig untergeht, der ist
ein tüchtiger Mensch und dem sollen wir redlich helfen,
daß er auf dem eingeschlagenen guten Wege bleiben
kann?"
„O, das hätte ich von Deinem Bruder nicht er-
wartet!" rief Kürtenberg aus. „Ich habe gerade vor
ihm die meiste Scheu gehabt und stets gefürchtet, wenn
er einmal Alles erfahre, dann verachte er mich am
tiefsten, denn er ist ein eifriger Jurist."
„Ja, er ist streng, aber gerecht," entgegnete Elsbeth,
„und feine guten Worte waren es, die meinen Ent-
schluß bestärkten, trotz alledem mein Lebensgeschick mit
Dir zu theilen."
„Und hast Du es nie berent?" fragte er zaghaft.
Sie sah ihm voll in's Gesicht, aus ihren Augen
leuchtete das reinste Glück, und diese stumme und doch
so beredte Sprache gab ihm eine bessere Antwort als
alle Worte. „Nein, Andreas," sagte sie einfach, „und ich
habe nur bereut, daß ich Dir nicht schon längst ver-
rathen, wie mir Deine Bergangenheit nicht unbekannt
ist. Ich würde Dir manche schwere Stunde erspart
haben; aber mein Bruder sowohl wie ich waren damals
der Ueberzeugung, . es sei das Beste, wenn wir diese
Dinge nie berührten, und ohne diesen Elenden —"
„O, nun danke ich ihm," rief ihr Mann lebhaft
aus. „Ich bin dadurch für immer von einem Druck
erlöst worden, der mich niemals völlig frei aufathmen
ließ; aber am meisten danke ich meiner klugen, geliebten
Frau, die mich vor dem Untergauge gerettet hat," und
er sah ihr mit unendlicher Dankbarkeit in die klugen
Augen, die nun ihrerseits feucht wurden.
Da kamen die beiden lieblichen Kinder von ihrem
Spaziergang zurück und sie begriffen gar nicht, warum
ihr Vater sie heute gar so innig und laut ausjauchzend
in die Arme schloß.
„Du siehst heute ganz anders aus," sagte der auf-
geweckte Knabe. „Willst Du nun immer so lustig
sein?"
„Immer," antwortete Kürtenberg mit einem dank-
baren Blick auf seine Frau. „Mama hat mich für
immer von meiner Schwermuth geheilt."
„Mama, bist Du Doktor geworden?" fragte das kleine
Töchterchen und schmiegte sich schmeichelnd an ihre
Mutter.
Diese antwortete nicht; sie schloß nur jetzt ebenfalls
nut einem seligen Lächeln ihre Kinder in die Arme.
Und der Helle Sonnenschein des Glückes, der heute aus
dieser Familie ruhte, breitete jetzt für immer seine be-
lebenden Strahlen über sie aus. In dem schwer ge-
drückten Herzen Kürtenberg's wohnte jetzt der reinste
Frieden.
Eine W e l t b r a n e r e i.
Englisches Jndustriebild.
Von
K. ?Mri»s-r.
Die englische Grafschaft Stafford, eine der Binnen-
provinzen des Landes, ist weit und breit bekannt durch
die großen Thonwaaren- und Steingutfabriken, welche
zu Stoke am Trent viele Hunderte von Händen be-
schäftigen und viele Tausende von Pfunden Sterling
umschlagen. In derselben Grafschaft und an demselben
Fliesse liegt aber auch eine andere Stadt, die eines noch
weit größeren Rufes, ja einer wahren Weltberühmtheit
genießt und an den Gestaden des Indischen Meeres ebenso
fleißig genannt wird, wie an den Küsten des Atlantischen
Meeres und der Nordsee. Wir sprechen von Burton
oder, wie dessen voller Name lautet, Burton-on-
Trcnt, einein der bedeutendsten, wenn nicht dem ersten
Bierorte der gesammten Erde mit jener Uni-
Versal-Brauerei der Herren Baß, Ratcliff und Gretton,
welche der durstigen Menschheit das als Indian Pale
Ale (indisches lichtes Ale) hochgeschätzte Labsal liefert,
das nm Ganges mit dem nämlichen Behagen geschlürft
wird, wie im Norden Schottlands oder aus der Felsen-
veste von Gibraltar und sich auch bei uns in Deutsch-
land einen auserlesenen Kreis von Liebhabern gewonnen
hat. Neben der erwähnten Firma von internatio-
naler Geltung und neben dem nicht viel untergeordneten

Das Buch für Alle.
Etablissement von Allsopp und Compagnie, welches
gleichfalls durch die ganze Welt einen guten Klang be-
sitzt, gibt es zu Burton indeß noch mindestens fünfund-
zwanzig große Brauereien, die das von ihnen erzeugte
Ale weithin durch die Lande und Städte der Menschen
senden.
Seitdem die Kultur des Hopfens in England in
Aufnahme kam, seitdem legte sich die Stadt Burton-
on-Trent auch schou aus die Bierbrauerei, wahrschein-
lich weil das treffliche Quellwasser, das ihr zu Gebote
steht, sich zur Bereitung des edlen Gerstensaftes besonders
gut qualifiziren mochte. Als vor dreihundert Jahren die
Königin Maria Stuart in dem unfernen Tutbury
Castle gefangen gehalten wurde, versah man sie und
ihr Gefolge von Burton aus mit Bier, und schon 1630
erfreute sich das starke Bnrtoner Bier in London einer
allgemeinen Popularität bei Vornehm und Gering.
Nachdem der Trent durch einen Kanal mit der Nordsee
in Verbindung gebracht worden war, sehen wir das
Produkt der Bnrtoner Brauereien über das gesammte
nördliche Europa verbreitet und hier zu hohen Preisen
gesucht. Sowohl Peter der Große als nach ihm
die Kaiserin Katharina II. von Rußland bevorzugte
das Burtoner Ale, das zugleich stark, süß und malzreich
dem russischen Gaumen außerordentlich zusagte. So
entwickelte sich das Braugewerbe zu Burton am Trent zu
immer ansehnlicherer Blüthe, zu seinem derzeitigen Welt-
ränge erhob sich das Geschäft jedoch erst durch die Er-
findung des „Indian Pale Ale", dessen wir oben ge-
dachten. Dies geschah im Jahre 1823, auf Veranlassung
eines Schifsskapitäns, der die Burtoner Brauereien dar-
auf aufmerksam machte, daß die Bereitung eines speziell
für Ostindien bestimmten Bieres ein sehr Vortheilhaftes
Unternehmen abgeben müsse. Dergestalt sind die Namen
Baß und Allsopp seit fünfzig Jahren in allen fünf Erdthei-
len wohlbekannte Größen. Das ansehnlichere der beiden
Häuser aber ist, wie bereits bemerkt, das erstere, das
vor hundert Jahren von William Baß gegründet wurde,
einem Manne nicht nur von ungewöhnlichen teckmischen
Kenntnissen, sondern auch von nicht geringem kauf-
männischen Scharst und Umblicke.
Heute nehmen die verschiedenen Gebäude des Etablisse-
ments einen Flächenraum von nahezu 200 Ackern ein,
unter sich durch ein Netz von Schienenwegen verbunden,
die von zahlreichen Lokomotiven befahren werden. Von
unserem freundlichen Führer dazu ausgefordert, steigen
wir aus eine der letzteren, die uns an einer langen Reihe
mächtiger Gebäude vorüber zu einem Platze führt, wo
wir Massen von Riesenfässern aufgestapelt sehen, wie
deren unser Ange noch niemals und nirgends erblickt
hat. Gleichwie in Zeughäusern und Festungen Wohl die
Kanonenkugeln zusammengebaut liegen, so sind hier die
Fässer über einander geschichtet, die ihres Transportes
nach allen Enden der Erde harren. Hinter diesen Tonnen-
pyramiden ragen die Malzhänser empor, nach den neuesten
Systemen und Einrichtungen konstruirt. Aus das Sorg-
samste wird die zum Malze verwandte Gerste ausgewählt,
die mau hauptsächlich aus Deutschland bezieht, da England
verhältnißmäßig nur wenig Gerste und von geringeren
Qualitäten erzeugt. Während wir den ungeheuren Kom-
plex des Malz- und Gerstendepartements durchschreiten,
wandeln wir an Bergen von Körnern dahin, die
schon von allen fremdartigen Bestandtheilen und Bei-
mischungen gesäubert worden sind. Diese Operation
wird aus den Speichern der Malzhänser vorgenommen,
die mittelst eiserner Brücken und Gallerien, von denen
man auf das Labyriuth von Fässern und Gebinden
hinabschant, mit einander in Zusammenhang stehen.
Unten befinden sich die Reinigungs-Cisternen, in denen
die Gerste 48 Stunden oder noch länger, je nach der Be-
schaffenheit des Korns und verschiedenen anderen Be-
dingungen von Temperatur u. s: w. zu bleiben hat, um
völlig zu erweichen. In diesen Behältern, die an Größe
unseren umfänglichsten Schwimmbassins nichts nach-
geben, verliert das Korn die letzten Unreinigkeiten, Staub
und zerbochenen Hülsen, die dem Siebe entgangen sind,
um nach solchem Bade in kristallklarem Wasser auf die
Trockcnhürden zu kommen. Eine endlose Flucht von
Stufen hiuanssteigend, gelangen wir sodann zu mächti-
gen „Gerstenseen", die sich im Prozeße des „Maischens"
befinden, während dessen die Keimung vor sich geht.
Ein anderer Gang die Treppe hinauf bringt uns zu den
großen Dörröfen, deren Wärmegrade gehörig abgestnft sind,
mit einer Temperatur von 90 Grad Fahrenheit begin-
nend und bis zu 165 Grad steigend (— 40° bis 73,3°
Röaumur), woraus sie sich allmählig wieder im gleichen
Verhältnisse vermindern.
Nachdem das Malz den Ofen überstanden hat, wird
es abermals gesiebt, damit die kleinen Keimsprossen
sich abschuppen, und ist nun in dein Zustande, in wel-
chem es der Brauer haben muß. Was von dem Malze
abgeht, bildet ein sehr gesuchtes Futter zur Mästung
des Rindviehs, und auch der durch die Löcher des Ofens
abfallende Staub geht nicht verloren, sondern dient viel-
mehr zum Düngen der Felder. Die Bereitung des
Bieres selbst ist zweifelsohne allen unseren Lesern so
bekannt, daß wir uns bei einer Beschreibung dieser Fa-
brikation nicht aufhalten wollen, sondern nur flüchtig

Heft 25,
durch die gigantischen Brauhäuser wandern, nm unter-
wegs eine und die andere neue Maschinerie zu beschauen
und uns von unserem sachkundigen Führer über die enorme
Quantität von Viehfutter unterrichten zu lassen, die als
Nebenprodukt bei der Malzerzeugung gewonnen wird.
Das ganze nördliche Staffordshire bezieht seinen Bedarf
von diesem ausgezeichneten Viehsutter aus der Brauerei
vou Baß, Ratcliff und Gretton, während außerdem große
Mengen desselben aus der Eisenbahn weiter befördert
werden. Desgleichen benützt man auch den Hopfen,
nachdem er dem Bier seine Würze mitgetheilt hat, in-
dem man ihn mittelst hydraulischer Pressen zu einer
trockenen Masse komprimirt, die Pro Tonne zu zwei bis
drei Schilling ebenfalls als Düngemittel verkauft wird.
Im Laufe einer sogenannten „Braucampagne" fabri-
ziren hie Herren Baß n. Coinp. über 800,000 Tonnen
verschiedenartigen Ales, verbrauchen dazu 250,000 Scheffel
Malz und zwischen 30- und 40,000 Centner Hopfen,
schlagen jährlich gegen zwei und eine halbe Million
Pfund Sterling um und beschäftigen nahezu 2000 Men-
schen in ihrem riesenhaften Etablissement. Für die Letz-
teren haben sie einen Club gegründet, der mit Büchern
und Zeitungen gut versorgt ist und zwei Billards neben
den Gelegenheiten zu anderen unschuldigen Spielen,
Schach, Cricket, Crocket rc., umschließt, wie sie überhaupt
sich das Wohl ihrer Arbeiter und Beamten in einer
Weise angelegen sein lassen, die ihnen eine außerordent-
liche Beliebtheit bei allen ihren Leuten eingetragen hat.
Dabei ist jedoch die Handarbeit auf das geringst-
mögliche Maß reduzirt, die Maschinenthätigkeit hingegen
in größtmöglicher Ausdehnung eingeführt worden, so daß
die ganze ungeheure Fabrik gewissermaßen wie ein ein-
ziger gigantischer Mechanismus arbeitet. Außer dem
Chemiker, seinem Assistenten, den drei Hauptbraumeistern
und ihrem Stabe von 18 Gehilfen, dem Malzmeister
und seinen Untergebenen, welche fammt und sonders ge-
bildete Männer von wissenschaftlichen Kenntnissen sind,
haben die Uebrigen von den erwähnten Zweitausend nur
als simple Taglöhner und Handlanger Dienste zu leisten.
Der Antheil aber, welchen man den: Dampfe in dem
Etablissement eingeräumt hat, fordert unsere höchste Be-
wunderung heraus und ist mit Recht ein Stolz der
Firma. Selbst die Fässer, von denen man doch glau-
ben sollte, daß sie durch Maschinen nicht wohl her-
gestellt werden könnten, werden mit Hilfe des Dampfes
verfertigt. Das Material dazu, Eichenholz von den
Ostseeküstcn, langt in mächtigen Pfosten an, während
die Reifen meist aus Südstaffordshire bezogen werden.
Schnell von Hand zu Hand gehcnd, kommen jene Pfosten
unter eine Reihe von Maschinen, die sie zerschneiden, zu
der erforderlichen Stärke spalten und ihre Kanten glät-
ten, so daß sie sich auf das Genaueste zusammenfügen.
Unter unseren eigenen Augen gestalteten sich die rohen
Holzmassen zu Fässern von verschiedenem Umfange, wäh-
rend rechts und links Splitter und Spähne davon flogen
und den Boden bedeckten. Nicht jedoch, um hier liegen
zu bleiben. Sie wurden vielmehr alsbald zusammen-
gefegt und in eine große pneumatische Röhre befördert,
die sie sozusagen aufsaugt und in Säcke packt, welche ihrer
auf einem Wagen warten, der sie weiter transportirt.
Da jeder Pfosten seine bestimmte Ziffer trügt, so kostet es
den Arbeitern nur eine kleine Mühe, ihn in die gehörige
Ordnung zu bringen, so daß das Faß in unglaublich kurzer
Zeit mit Reifen und Boden sammt Deckeln fix und fertig
dasteht. Hierauf wird dasselbe geprüft, ob .es auch
wasserdicht ist, und kommt schließlich, wenn es die Probe
bestanden, in das Stempethaus, wo ihm die bekannte
Geschäftsmarke eingebrannt wird.
In: Allgemeinen sind die nut Zuhilfenahme der
Dampfkraft verfertigten Fässer in jeder Beziehung voll-
kommener, als die mit der Hand gemachten. Insbeson-
dere ist es die Gleichmäßigkeit, was sie auszeichnet und
hier so wesentlich am Platze ist. Jedes Faß der Herren
Baß u. Comp. gleicht in gewisser Hinsicht einer Bank-
note. Sowie es vollendet ist, wird es nummerirt und
unter dieser Zahl zusammen mit dem Datum seiner Her-
stellung in ein besonderes Faßbuch eingetragen. Dies
Buch erzählt Lebeu und Schicksal der mannigfaltigen
Fässer. Kommt eines derselben von seiner ersten Reise
zurück, so hat es einen weitläufigen Prozeß zu durch-
laufen, ehe es wieder in die Welt hinaus geschickt wird.
Sein Deckel wird ausgeschlagcn, das Faß von Grund
auf gereinigt und erst, wenn es als vollkommen rein
und sauber befunden ist, von Neuem gefüllt oder bis zu
weiterem Gebrauche in eines der gewaltigen Fachlager-
yäuser geschafft. Zwei sogenannte „Riecher" müssen zu-
vor erklären, daß es nicht den leisesten Geruch an sich hat,
welcher dem Geschmacke der Ale nachtheilig werden könnte.
Sollten sie es „sauer" finden, so wird e^ durch Dämpfe
gereinigt; wenn jedoch diese energische Maßregel nicht die
erhoffte Wirkung thut, so wird es als unheilbar ans-
rangirt und als altes Holz verkauft. Gar manche Fässer
aber bringen es, so wie viele Schiffe, zu einem hohen
Älter, ihre Süßigkeit und Gesundheit lange Jahre hin-
durch bewahrend und nur von Zeit zu Zeit ueuen Bindens
bedürfend.
Bevor wir aus der Brauerei scheiden, haben wir
noch eine Ceremonie zu ersülleu, der wir uns nicht ent-
 
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