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DIE RENAISSANCE IN ITALIEN.

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sprengen aber nicht die traditionelle Form, und dies erklärt ihre
enge Verbindung mit dem Kirchlein. Die Anlehnung an das-
selbe entspringt allerdings nur rituellen Motiven, sie wird nicht
durch das Stilgefühl gefordert. Denn zu gleicher Zeit errichtete
Cansignorio, der als Tyrann von Verona seine backsteinerne
Stadt in eine marmorne verwandelte und sie mit Gebäuden,
Brücken und Türmen schmückte, in der Mitte der Hauptplatzes
den Brunnen der Madonna von Verona. Auch die Fontana
maggiore in Perugia (1266) steht in der Mitte der Piazza del
Municipio. Das Anlehnungsbedürfnis der nordischen Gotik ist
Italien fremd.
In der Renaissance löst sich die plastische Figur von der
Kirchenwand und tritt selbständig auf den offenen Platz hinaus.
Das Arbeiten von Wandfiguren hat zur Reliefauffassung der
Freiplastik, zur Klarmachung der plastischen Sichtbarkeit gegen
einen Hauptstandpunkt erzogen, erst im Verlauf der bildnerischen
Darstellung überwindet die Skulptur diese Einfrontigkeit, sich
um die allseitige Beherrschung der Erscheinung mühend. Ent-
schieden macht sich überall die freie Rundskulptur geltend, allen
halbfreien mit der Wand zusammenhängenden Bildungen wird
nach Kräften der Abschied gegeben. Wenn nun auch das
menschliche Gewächs den Bildhauer vor allem als formales
Problem interessiert, so gründet sich die Achtung vor ihm noch
auf etwas anderes. Sie entspringt nicht allein jener speziell
griechischen Wertauffassung der menschlichen Form, in der der
Geist so aufgelöst, daß er ganz schon in der Oberfläche ent-
halten zu sein scheint, wo die Augen die ganze Darstellung-
restlos aufzunehmen vermögen, ohne daß Intellekt oder Gefühl
zur Interpretation herangezogen werden müssen. Die Renaissance
würdigt die Persönlichkeit, Heldenverehrung und Selbstbewußt-
sein sind stark entwickelte Gefühle. Sie drängen auch in der
Kunst zur individuellen Auffassung, zum Porträt. Dieser neue
Stoff hat das Glück, in seiner plastischen Darstellung von
einem Volke angegriffen zu werden, das namentlich in seiner
geistig edelsten Rasse, den Florentinern, ein hohes Gefühl für
die plastische Erscheinung und Sinn für das Wesentliche in der
 
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