Maria Wölber
*1920 (geb. Schanz)
Bericht anhand eines Interviews am 2. Juli 2012 in Stuttgart 20
Als ich zu Schneidler kam, war ich noch keine 19 Jahre alt. Das
war im Frühjahr 1939. Mein Vater ist schon früh gestorben, er
war Ministerialrat hier in Stuttgart und so musste meine Mutter
ihr Einverständnis zu meinem Eintritt in die Akademie geben.
Schneidler nahm mich zunächst für ein Probesemester auf, ich
durfte aber dann bleiben.
In der Vorklasse, die musste von allen Anfängern besucht
werden, hatte ich im ersten Halbjahr noch keinen Unterricht
bei Schneidler, sondern ausschließlich bei den Mitarbeitern, bei
Walther Veit, Joseph Wenzky, Julius Heilenmann und Hermann
Lechler. Im zweiten Halbjahr dann auch bei Schneidler.21
Das war aber nicht so einfach. Schneidler hat einem so gar nichts
gezeigt. Bei den Farbübungen und den Raumaufteilungen, so
nannte er die Arbeiten, die wir aus farbigen Papieren oder mit
Aquarellfarben anlegen mussten, hat er manchmal drauf ge-
schaut, nichts gesagt. Aber am Gesicht habe ich sehen können,
wie er es fand. Jeder sollte selber finden, was er tun wollte. Spä-
ter in der Fachklasse, habe ich dann Schrift als Schwerpunkt
gehabt. Eine Aufgabe war zum Beispiel die »Legende« weiter zu
entwickeln.22 Wenn der »Alte«, das war sein Spitzname, dann
»Nicht dumm!« sagte, war das das allerhöchste Lob. Er konnte
sich aber auch auf dem Absatz herumdrehen und den Raum ver-
lassen, wenn ihm was nicht gepasst hat.
Schneidlers Atelier lag im obersten Stock unter dem Dach,
da ging man nicht einfach hin.23 Die Werkstätten waren unser
Bereich, sie lagen im Erdgeschoss. Wenn man Material brauch-
te, holte man das bei Julius Heilenmann in der Druckwerkstatt.
Aber auch wenn man sein Herz ausschütten wollte, war Julius
Heilenmann immer da. Er verwaltete das Papier, das konnte man
sich bogenweise oder stapelweise kaufen. Alles andere - Skal-
pelle, Federn und was man sonst so gebraucht hat, musste jeder
selbst mitbringen. Es gab da einen kleinen Laden um die Ecke,
der hatte alles.24 Gearbeitet hat man an primitiven aber schönen
Holztischen.
1942 forderte die Reichsleitung in Berlin bei Prof. Schneidler
zwei Graphikstudenten oder -Studentinnen von der Stuttgarter
Kunstakademie an, die die Tafeln für eine große Wanderausstel-
lung entwerfen und gestalten sollten. Die Ausstellung hieß »Die
deutsche Größe« und Schneidler empfahl dafür mich und Gerta
20
Aufgrund des fortgeschrittenen Alters von
Frau Schanz war ein stringentes Inter-
view wie bei Frau Veil oder Frau Weber nicht
möglich. Ich habe deshalb die Form des
Berichtes mit der Diktion von Frau Schanz
gewählt. Frau Schanz und ihr Sohn
autorisierten den Text im August 2012.
21
Die Daten und Angaben zum Studium wur-
den durch die Matrikelakte Nr. 4094
und durch die Personalakte Marie Schanz
im Archiv der ABK Stuttgart.
22
Schneidler arbeitete an der Schrift
Legende bereits seit den 20er Jahren des
20. Jahrhunderts. Eine Frühform fand
im Wassermann Verwendung, der 1929
abgeschlossen wurde. Sie erschien für
den Gebrauch bei der Bauerschen Gießerei
Frankfurt im Jahr 1997. Siehe dazu:
Caflisch 2002 (wieAnm. 4), S.222.
23
Das Atelier Schneidlers befand sich nach
dem Krieg aufgrund der Zerstörung
der oberen Stockwerke der Gebäude am
Weißenhof im Erdgeschoss in der Nähe
der Werkstätten.
24
Laut Aussage einer Enkelin Schneidlers
während eines Gesprächs am 27. Juni
2012, Frau Schäffer, war der »kleine Laden«
die Drogerie ihres Vaters, dem jüngsten
Sohn F.H. Ernst Schneidlers. Die Drogerie
führte alle für die Studierenden der
Kunstakademie notwendigen Materialien.
25
Gerta Krumbein studierte vom Winter-
semester 1937 bis zum Sommersemster 1942
an der Kunstgewerbeschule, ab 1941 die
angewandte Abteilung der Kunstakademie.
Siehe dazu: Matrikelakte Nr. 2682, Archiv
der ABK Stuttgart.
Angela Zieger
110
*1920 (geb. Schanz)
Bericht anhand eines Interviews am 2. Juli 2012 in Stuttgart 20
Als ich zu Schneidler kam, war ich noch keine 19 Jahre alt. Das
war im Frühjahr 1939. Mein Vater ist schon früh gestorben, er
war Ministerialrat hier in Stuttgart und so musste meine Mutter
ihr Einverständnis zu meinem Eintritt in die Akademie geben.
Schneidler nahm mich zunächst für ein Probesemester auf, ich
durfte aber dann bleiben.
In der Vorklasse, die musste von allen Anfängern besucht
werden, hatte ich im ersten Halbjahr noch keinen Unterricht
bei Schneidler, sondern ausschließlich bei den Mitarbeitern, bei
Walther Veit, Joseph Wenzky, Julius Heilenmann und Hermann
Lechler. Im zweiten Halbjahr dann auch bei Schneidler.21
Das war aber nicht so einfach. Schneidler hat einem so gar nichts
gezeigt. Bei den Farbübungen und den Raumaufteilungen, so
nannte er die Arbeiten, die wir aus farbigen Papieren oder mit
Aquarellfarben anlegen mussten, hat er manchmal drauf ge-
schaut, nichts gesagt. Aber am Gesicht habe ich sehen können,
wie er es fand. Jeder sollte selber finden, was er tun wollte. Spä-
ter in der Fachklasse, habe ich dann Schrift als Schwerpunkt
gehabt. Eine Aufgabe war zum Beispiel die »Legende« weiter zu
entwickeln.22 Wenn der »Alte«, das war sein Spitzname, dann
»Nicht dumm!« sagte, war das das allerhöchste Lob. Er konnte
sich aber auch auf dem Absatz herumdrehen und den Raum ver-
lassen, wenn ihm was nicht gepasst hat.
Schneidlers Atelier lag im obersten Stock unter dem Dach,
da ging man nicht einfach hin.23 Die Werkstätten waren unser
Bereich, sie lagen im Erdgeschoss. Wenn man Material brauch-
te, holte man das bei Julius Heilenmann in der Druckwerkstatt.
Aber auch wenn man sein Herz ausschütten wollte, war Julius
Heilenmann immer da. Er verwaltete das Papier, das konnte man
sich bogenweise oder stapelweise kaufen. Alles andere - Skal-
pelle, Federn und was man sonst so gebraucht hat, musste jeder
selbst mitbringen. Es gab da einen kleinen Laden um die Ecke,
der hatte alles.24 Gearbeitet hat man an primitiven aber schönen
Holztischen.
1942 forderte die Reichsleitung in Berlin bei Prof. Schneidler
zwei Graphikstudenten oder -Studentinnen von der Stuttgarter
Kunstakademie an, die die Tafeln für eine große Wanderausstel-
lung entwerfen und gestalten sollten. Die Ausstellung hieß »Die
deutsche Größe« und Schneidler empfahl dafür mich und Gerta
20
Aufgrund des fortgeschrittenen Alters von
Frau Schanz war ein stringentes Inter-
view wie bei Frau Veil oder Frau Weber nicht
möglich. Ich habe deshalb die Form des
Berichtes mit der Diktion von Frau Schanz
gewählt. Frau Schanz und ihr Sohn
autorisierten den Text im August 2012.
21
Die Daten und Angaben zum Studium wur-
den durch die Matrikelakte Nr. 4094
und durch die Personalakte Marie Schanz
im Archiv der ABK Stuttgart.
22
Schneidler arbeitete an der Schrift
Legende bereits seit den 20er Jahren des
20. Jahrhunderts. Eine Frühform fand
im Wassermann Verwendung, der 1929
abgeschlossen wurde. Sie erschien für
den Gebrauch bei der Bauerschen Gießerei
Frankfurt im Jahr 1997. Siehe dazu:
Caflisch 2002 (wieAnm. 4), S.222.
23
Das Atelier Schneidlers befand sich nach
dem Krieg aufgrund der Zerstörung
der oberen Stockwerke der Gebäude am
Weißenhof im Erdgeschoss in der Nähe
der Werkstätten.
24
Laut Aussage einer Enkelin Schneidlers
während eines Gesprächs am 27. Juni
2012, Frau Schäffer, war der »kleine Laden«
die Drogerie ihres Vaters, dem jüngsten
Sohn F.H. Ernst Schneidlers. Die Drogerie
führte alle für die Studierenden der
Kunstakademie notwendigen Materialien.
25
Gerta Krumbein studierte vom Winter-
semester 1937 bis zum Sommersemster 1942
an der Kunstgewerbeschule, ab 1941 die
angewandte Abteilung der Kunstakademie.
Siehe dazu: Matrikelakte Nr. 2682, Archiv
der ABK Stuttgart.
Angela Zieger
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