Max J. Friedländer: Über das Illustrieren
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— das Bild die Wirkung des Werkes stört und sogar
aufhebt.
Wenn ich eine illustrierte Dichtung recht in mich
aufnehme, sind zwei Welten da, hüben die in mir
von dem Dichter hervorgerufene, drüben die von dem
Zeichner herausgestellte und sichtbar gemachte. Eine
Mauer trennt meine Welt von der des Zeichners, die
Illustrationen aber sind wie Öffnungen in dieser Mauer.
Was der Dichter in mir geschaffen hat, ist mein Eigen-
tum, mir vertraut als mein Eigentum und durch-
tränkt von meiner Wesensart. Für den Illustrator,
selbst den ■ genialen, ist es schwer, mit mir in Wett-
streit zu treten, falls der Dichter in mir erfolgreich
war, auch wenn der Dichter in ihm erfolgreich war.
Die nebelhafte, gänzlich ungehemmte und frei schwei-
fende Traumphantasie ist der formenden und deshalb
beschränkten Vorstellung zwar unterlegen an Bestimmt-
heit, Deutlichkeit und Genauigkeit, unendlich über-
legen aber an Weite, Schwungfähigkeit und Symbol-
kraft.
Ich sah neulich eine Illustration zu Goethes Versen
„war einst ein König im Thule . . .“ Mit zwei Worten
gibt der Dichter dem Leser richtende Weisung über
Ort und Zeit, mit „einst“ und „Thule“ ... So vage
diese Angaben — vielmehr gerade weil sie so vage
sind — kommt das Wort zu seinem Ziele. Der Illu-
strator aber wird in eine verzweifelte Lage versetzt,
da er Landschaft, Baulichkeit und Kostüm irgendwie
ausbilden und festlegen muß. In jenem Bilde saß der
König auf einem Stuhl im Stile von 1700, nur daß
das Möbel eine übernatürliche Größe hatte, so daß sich
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— das Bild die Wirkung des Werkes stört und sogar
aufhebt.
Wenn ich eine illustrierte Dichtung recht in mich
aufnehme, sind zwei Welten da, hüben die in mir
von dem Dichter hervorgerufene, drüben die von dem
Zeichner herausgestellte und sichtbar gemachte. Eine
Mauer trennt meine Welt von der des Zeichners, die
Illustrationen aber sind wie Öffnungen in dieser Mauer.
Was der Dichter in mir geschaffen hat, ist mein Eigen-
tum, mir vertraut als mein Eigentum und durch-
tränkt von meiner Wesensart. Für den Illustrator,
selbst den ■ genialen, ist es schwer, mit mir in Wett-
streit zu treten, falls der Dichter in mir erfolgreich
war, auch wenn der Dichter in ihm erfolgreich war.
Die nebelhafte, gänzlich ungehemmte und frei schwei-
fende Traumphantasie ist der formenden und deshalb
beschränkten Vorstellung zwar unterlegen an Bestimmt-
heit, Deutlichkeit und Genauigkeit, unendlich über-
legen aber an Weite, Schwungfähigkeit und Symbol-
kraft.
Ich sah neulich eine Illustration zu Goethes Versen
„war einst ein König im Thule . . .“ Mit zwei Worten
gibt der Dichter dem Leser richtende Weisung über
Ort und Zeit, mit „einst“ und „Thule“ ... So vage
diese Angaben — vielmehr gerade weil sie so vage
sind — kommt das Wort zu seinem Ziele. Der Illu-
strator aber wird in eine verzweifelte Lage versetzt,
da er Landschaft, Baulichkeit und Kostüm irgendwie
ausbilden und festlegen muß. In jenem Bilde saß der
König auf einem Stuhl im Stile von 1700, nur daß
das Möbel eine übernatürliche Größe hatte, so daß sich
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