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unten betrachtete, über ihre Wirkung Gedanken nnd beschloß nun mit Gestalten
über Lebensgröße fortznfahren, was seinen Kompositionen nnr zum Vorteil
gereichte.
Wer die Siptina betritt, thut gut, zunächst die Schöpfungsbilder ins Ange
zu fassen. Im ersten Felde nimmt Gottvater seinen Aufflug, um die Finsternis
vom Lichte zn scheiden. Himmelwärts strebend, ist Gott in der höchsten Be-
wegung, gleichsam in Ekstase über den Schöpfungsakt dargestellt. Im Felde darauf
schauen wir wiederum Gott und zwar in doppelter Gestalt. Allgegenwärtig durch-
fliegt er das Weltall, hier der Sonne, dem Mond und den Sternen ihre Bahn
weisend, dort der Vegetation der Erde gebietend. Gott ist nicht mehr allein,
Engel umgeben ihn, über seine Allmacht staunend. Im dritten Felde schwebt
er über dem Wasser, dem er seinen Segen giebt, damit es Tiere erzeuge. Im
vierten wird Adam geschaffen. Durch das bloße Machtwort des Schöpfers, durch
die Berührung seiner Hand entsteht der Urahne der Menschheit, wie im Traume
dankbaren Herzens Gott anblickend. Adam ist eine der herrlichsten Gestalten
Michelangelos, und Cornelius hat recht: „Seit Phidias ist dergleichen nicht mehr
gebildet worden." Adams würdig ist Eva, die Gott im folgenden Felde ins
Dasein ruft, auf daß sie, den ersten Menschen ergänzend, das Paradies mit
ihm teile. Eva ist ein wirklich schönes Weib nnd ihr Erwachen hinreißend ge-
schildert. Angesichts dieser Gestalt wird die Behauptung, Michelangelo habe
Frauenschönheit weder darstellen wollen noch können, hinfällig. Nun folgen, in
einem Rahmen, der Sündensall nnd die Vertreibung unserer Voreltern aus dem
Paradiese. Die beiden Scenen trennt der Baum der Erkenntnis, aus dem der
Verführer, halb Schlange, halb Weib, dem ersten Menschenpaare den Apfel dar-
reicht. Darüber, was in dem siebenten Felde zur Anschauung gebracht ist, herrscht
unter den Gelehrten Streit. Condivi und Vasari nehmen au, das Opfer Abels
und Kains, neuere Kunstforscher meinen, das Dankopfer Noahs. Dieses paßt in
den Gedankengang der Deckenbilder hinein, stände aber nicht an seinem richtigen
Platze. Das Opfer Noahs mußte nach der Süudflut kommen. Da das siebente
Feld aber für die großartige Schilderung der Überschwemmung mit allen ihren
Schrecken zn klein gewesen wäre, unterbrach Michelangelo, der sich stets von rein
künstlerischen Gesichtspunkten leiten ließ, die chronologische Reihenfolge, ließ die
Süudflut auf das Opfer folgen, um mit der Trunkenheit Noahs die eigentlichen
Deckengemälde abznschließen. Im September lbtO war die „supsrior xrrrs
bs8buäiui8", der oberste Teil der Decke vollendet. (Schluß folgt.)

Altes und Neues vom Dom zu Schleswig.
Von Doris Zchuittger.
In Schleswig, der alten Landeshauptstadt der Elbherzogtümer,
küudete am 25. Oktober v. I. mächtiger Glockenklang, zum ersten Mal weit
übers Land hinschallend, dem anfhorchenden Lande, daß nach mehrjähriger Unter-
brechung Schleswig-Holsteins Hauptkirche uun wieder, herrlicher dastehend als
je zuvor, ihre Pforten der Gemeinde offen hält. Der Ausbau des 800jährigen
 
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