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Z8

Thoma schufen zwar damals schon, aber ganz in der Stille, wenn sie aus-
nahmsweise einmal mit einem religiösen Bilde auf einer öffentlichen Kunstaus-
stellung erschienen, ragte dies wie ein Fremdling aus der Masse ganz anders
gearteter Schöpfungen hervor.
Sm letzten Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts kam der allgemeine Um-
schwung der Stimmung, den wir Alteren ja alle mit erlebt haben, die Wendung
vom verstandesmäßigen zum Gefühlsmäßigen, das Streben nach Verinnerlichung,
der Beginn des ästhetischen Zeitalters, in dessen voller Auswirkung wir
jetzt mitten drin stehen. Sm Jahre 1889 hatte der Uembrandtdeutsche in seinem
damals so viel gelesenen, jetzt fast vergessenen Buche das Kommen dieses Zeit-
alters richtig vorausgesagt.
Vie modernen Vervielfältigungsverfahren, die eine ganz besondere Bedeutung
für die Heraufführung dieser Bewegung gewannen, schütteten den Kunstschatz aller
Völker und Zeiten in immer zahlreicheren und immer billigeren Wiedergaben
vor uns aus. Vas Auge lernte wieder sehen, forschen, vergleichen, sich erfreuen,
nachdem es im vorangegangenen Zeitalter der einseitigen Verstandeskultur arg
vernachlässigt und verkümmert war. Ein immer lebhafteres Interesse für Kunst
erfaßte die weitesten Kreise, eine heiße Sehnsucht nach dem Schönen, das fast
ganz aus unserm Leben entwichen war.
Dem neu erwachten Bedürfnis kam eine Flut von Kunstzeitschriften entgegen:
Anfang der achtziger Jahre waren es in ganz Deutschland ihrer noch kaum fünf,
jetzt haben sie fast die hundert erreicht. Mit dem Beginn des neuen Jahr-
hunderts setzten dann sogar „Kunsterziehungstage" ein, und „künstlerische Er-
ziehung in Schule und Haus" ist seitdem Schlagwort. Vie Erfolge der Bewegung
sind bekannt: Ein neuer besserer Geschmack ist emporgewachsen, ein neuer Farben-
sinn, ein neues Formengefühl, das seine Forderungen schon bis aus die einfachsten
Nutzbauten und bis auf die Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens erstreckt.
Vie Wertung nach künstlerischen Gesichtspunkten wird als berechtigte Forderung
kaum auf irgend einem Gebiete mehr ernstlich bestritten.
Dieses Neuerwachen künstlerischen Interesses, verbunden mit dem allgemeinen
Umschwung der Stimmung und dem Streben nach Verinnerlichung hat auch zur
Neubelebung religiöser Kunst geführt. Vas Wort Friedrich Theodor
Vischers gilt für unsere Tage nicht mehr. Zunächst wurden die oben genannten,
in der Stille schaffenden Meister jetzt endlich gewürdigt, zum Teil geradezu erst
entdeckt. Neue Kräfte traten neben ihnen auf. Mit jedem Jahre wuchs auf
den Kunstausstellungen die Zahl der Gemälde und Skulpturen, welche sich mit
Stoffen aus der Bibel oder doch im allgemeinen mit religiösen Vorstellungen
befaßten. Ein Beweis, daß die Aufträge aus diesem Gebiete zunahmen, wie
auch dafür, daß die Künstler voraussetzen durften, bei weiteren Kreisen Interesse
für derartige Schöpfungen zu finden. Vas Jahr 1906 brachte dann einen
evangelischen Kirchenbautag (in Dresden), 1907 eine Neubelebung des Vereins
für religiöse Kunst in der evangelischen Kirche (Berlin), 1909 eine erste Aus-
stellung lediglich für kirchliche Kunst (in Düsseldorf), 1910 eine erste Tagung
 
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