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Flugschrift ves
VMkulWundes.
Illummer z Tejember Idll

Franz Liszt als Künstler und Mensch.
Von Walther Nithack-Stahn.
A)er ist größer, Liszt der Mensch oder Liszt der Künstler?" fragte einst von
seinen fürstlichen Bewunderern einer. So hoch dieFrage den Meister ehrte,
noch mehr, daß sie nicht zu beantworten war — sie erwuchs doch aus einem ver-
breiteten Irrtum: als wäre im wahren Künstler ein Dualismus möglich zwischen
dem, was er schafft, und dem, was er ist. Als könne jemand von Berufs wegen
Künstler, im übrigen ein beliebiger Mensch sein; als wäre Kunst ein Ausnahme-
zustand des Menschen, eine Sonntagslaune, ein unverantwortlicher Teil der Per-
sönlichkeit. Gegen diese Zweinaturenlehre protestiert niemand schärfer als
Franz Liszt.
Hundert Jahre lebt er nun, ein Vierteljahrhundert ist's, daß er die Welt
der menschlich hörbaren Klänge verließ. Und wenn seine Verkleinerer Recht ge-
habt, wenn von der Fülle seiner Werke ihn nichts überlebt hätte, die Gesamt-
erscheinung des Mannes bliebe bestehen als eine große Tatsache, an der es un-
zählbaren Tausenden wie eine Offenbarung aufgegangen ist, w a s e i n K ü n st-
lersei. Der „Orpheus von Weimar", der durch die Macht der Töne gleich den
sagenhaften Zauberern der Vorzeit die Gemüter bannte, hat es seinen Zeit-
genossen überwältigend eingehämmert und eingesungen, daß es Menschen gibt,
die von der innersten Brust bis in die Fingerspitzen Künstler sind.
Freilich auch dies, daß ein Geheimnis dabei ist. Was Kunst sei, bleibt ein
Problem. Auch in Jahrtausenden wird man's nicht ergründen, wird an dem
Worte drehen und deuteln, und seinen Inhalt mit Vernunftbegriffen so wenig
umschreiben können, wie man Religion umschreibt. „Wenn ihr's nicht fühlt, ihr
werdet's nicht erjagen." Auch an Kunst muß man glauben. Aber sie ähnelt auch
darin der Religion, daß sie in Menschenpersönlichkeiten Fleisch und Blut an-
nimmt, daß man sie an ihnen und durch sie erlebt.
Lehre uns denn einer ihrer feurigsten Propheten ihr Wesen erkennen.
Es geht eine Rede in unseren Tagen: Kunst sei, wie schon das Wort besage,
nichts als ein gewisses Können. Und zwar ein Können der Hand und des
Auges und Ohres — eine sinnliche Fähigkeit. Und wer wollte leugnen, daß zum
 
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