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Über die Formalmethodiker hinaus bedeutet da F.W. Försters „Iu g en d l ehre"
einen Fortschritt, der das, was wir von christlich-ethischen Gesichtspunkten aus seit Iahren
vertreten haben, daß die Kunst, nicht nur die christliche Kunst, - ethische Erziehungs-
qualitäten hat, — vom Standpunkt des nicht kirchlich präjudizierten Pädagogen aus eben-
falls feststellt. Für unsre Sache der religiösen Volkskunstbewegung aber ist ein Anerkennen
und weiterbilden der Kunsterziehungsgedanken Försters eine jener grundlegenden Vor-
arbeiten, die wir mit System auf dem weitverzweigten Boden der religiösen Volks-
kunst leisten müssen. Die Thesen, die sich uns in der Auseinandersetzung mit Förster er-
geben, werden wir als Grundlage der Weiterentwicklung nehmen können. Ich werde des-
halb diese zu findenden Sätze am Schlüsse meiner Untersuchung noch programmatisch zu-
sammenstellen.
In der Absicht, festere Grundlagen für eine Methode ethischer Kunsterziehung zu finden,
ist unser Thema so weit als möglich gefaßt worden: „Kunst, Religion und Ethik
in der Schule."
von den drei Erscheinungsformen der schöpferischen Kunst im Geistesleben hat sich
seit alter Zeit die Schule als Bildungs- und Erziehungsmittel der Wortkunst und der
Tonkunst bedient.
Vie bildende Kunst ist erst in diesem Iahrhundert — seit den Kunsterziehungs-
tagen - als methodisch verwendbares Erziehungsmittel erkannt worden.
Die Ausdrucksform der Kunst, die ihrem Werte nach au erster Stelle steht, ist die
Kuust des Wortes, ihre Erzeugnisse: die Literatur. Das Thema Wortkunst
oder Literatur in der Schule würde uns hier zu weit führen. Ts handelt sich in
unserem Zusammenhangs nicht um die Frage nach dem literarischen Gehalt der einzelnen
Lesebuchstücke, so wichtig auch diese Frage ist nach der Seite hin: deutsche Klassiker in
Prosa und Poesie als Lese- und Bildungsstoff für die Iugend. — F. W. F ö r st e r ist in
seiner bahnbrechenden „I u g e n dleh r e", als er die Prinzipien der Kunst für die Schule
darstellte, iu seiuer Einleitung (Seite 71 ff.) ausgegangen von dem „Literaturunterricht und
seinen ethischen Aufgaben und Möglichkeiten". Er hat dabei aber auch Grundsätze auf-
gestellt, welche für die Gesamtkunst in ihren drei Ausdrucksformen: literarisch bildende
Kunst und Tonkunst, wertvolle Gedanken zu einer methodischen Weiterentwicklung
geben.
Zunächst handelt es sich bei der Frage Literatur und Schule für uns nicht um
die höheren Schulen. Dort hat ja die Literatur als starkes Bildungsmittel ihr Bürger-
recht. Daß aber auch für die höheren Schulen die literarische Kunsterziehungsfrage durch-
aus noch nicht gelöst ist, beweist die Forderung von Artur Bonus uud andern, daß alle
Literatur und Dichtung aus dem Schulbetrieb gebannt werden soll, der mit seinem töd-
lichen Begriffsverfahren alles Lebendige, also auch Kunst und Phantasie totschlage. (Bonus,
vom Kulturwert der deutschen Schills. Iena 1904.) Vie richtige Diagonale heißt aller-
dings nicht: Los von der Schule, sondern los von einer falschen Begriffsmethode, die die
Teile aufzählt, leider ohne das geistige Band, volkelt sagt a. a. G. (Seite 06), daß es
leichter sei, Schillers Wallenstein nach aristotelischen Begriffsgerüsten, oder nach Lessing
oder nach Freytag (Technik des Dramas) zu erörtern, als Schillers dichterische Gestaltung
au den Eigentümlichkeiten der Walleilsteinschöpfung den Schülern zu Gefühl zu bringen,
volkelt bezeichnet aber auch damit nicht das Wesen der eigentlichen Kunsterziehung, das
ich mit Förster in der Lharakterbildung sehe. Mit der Forderung volkelts wird der
Schüler iu seiuer literarischen Bildung gehoben, aber charakterbildend wird der Unterricht
erst, wenn derselbe zwischen dem künstlerischen und ethischen Willen Schillers im Wallen-
stein eine Brücke schlägt zu dem ethischen Willen des Schülers, eine Brücke, die sich aus
Bausteinen der Kunst aufbaut. In unserem Zusammenhang aber lautet für uns die erste
Frage: „Literatur in den Volksschulen". Anläßlich eines Goethebundvortrags
in Stuttgart 1909 habe ich dieses Problem im Zusammenhang mit der Frage behandelt,
warum unsere Iugend uud unser Volk so leicht auf Schundliteratur hereinfällt und warum
die vielen — damals noch im Anfangsstadium befindlichen — Gegenmittel niemals tiefere
 
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