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Parello, Daniel
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Regensburg und der Oberpfalz: ohne Regensburger Dom — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 13,2: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2015

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.52874#0133
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IJ2

KALTENBRUNN • PFARRKIRCHE

Farbigkeit, Technik, Stil, Datierung: Die Darstellungen sind in Grisaillemanier mit Silbergelb als einziger Farbe
ausgeführt. Mithilfe der Modellierung und des goldgelben Farbauftrags (Strahlengrund, Mond, Nimben, Szepter,
Haare und Krone) wird bei der Marienscheibe eine plastische Wirkung erzielt. Ein vergleichbares Erscheinungsbild
dürfte auch die stark verwitterte Ulrichsscheibe gezeigt haben, allerdings wurde hier das Silbergelb nur äußerst spar-
sam eingesetzt. Hervorzuheben ist die routinierte graphische Anlage der Zeichnung. Kräftige Konturlinien umgren-
zen die Gegenstände; Schatten sind in dichten parallelen Strichlagen aufgetragen, die von einem flächigen Halbtonauf-
trag unterstützt werden, aus dem die Lichter durch Wischen, Kratzen und Stupfen ausradiert sind. Die ausgeprägte
graphische Behandlung steht in der Tradition Nürnberger Kabinettscheibenmalerei, wie sie bereits für Werke der
Wolgemut-Werkstatt kennzeichnend ist. In maltechnischer Hinsicht sind die Scheiben in die Entwicklung der damals
führenden Hirsvogel-Werkstatt einzuordnen2. Gegen Ende des ersten Jahrzehnts des 16. Jahrhunderts verabschiedete
sich die Kabinettscheibenabteilung von einer netzförmigen Anlage der Schraffur und ging über zu einem weniger
schematischen und großzügigeren Duktus, der sich mehr an den zeichnerischen Vorlagen des Dürer-Kreises orien-
tierte. Die parallelen Linien dienten nicht mehr nur der Definition verschatteter Gewandtäler, sondern wurden - wie
an der Ulrichsscheibe noch gut zu erkennen ist - auch als Schattenflecken über die Hauptkonturen der Gesichter ge-
legt. Ungewöhnlich in der Nürnberger Glasmalerei sind allerdings die etwas derben, breit angelegten Physiognomien.
Nürnberg, um 1515/20.

Vorbemerkung zum Katalog: Die Scheiben wurden 1986 und 1988 von Gabriela Fritzsche in situ untersucht und von
Rafael Toussaint fotografiert.

CHORFENSTER süd III
1. HL. ULRICH Abb. 47
Durchmesser ca. 11 cm.
Ikonographie, Komposition: Der heilige Ulrich, Bischof von Augs-
burg (923-973), erscheint in bischöflichem Ornat vor einer hüge-
ligen, bewaldeten Landschaft. In seiner Linken hält er Stab und
Velum, in seiner Rechten einen Fisch, der an das Fischwunder
erinnert: Ulrich hatte am Freitag einem Boten des Herzogs die
Reste seines vorabendlichen Bratens als Wegzehrung mitgegeben;
als jedoch der übereifrige Gesandte den Verstoß gegen das freitäg-
liche Fleischverbot vor dem Herzog anzeigen wollte, hatte sich das
hervorgeholte Stück Fleisch auf wundersame Weise in einen Fisch
verwandelt3. Kompositorisch folgt die Darstellung des Heiligen in
einer Landschaft einem Typus, der in kleinformatigen Rundschei-
ben der Hirsvogel-Werkstatt öfters begegnet4. CVMA T 6040


Fig. 105. Strahlenkranzmadonna. Kaltenbrunn, St. Martin.
Nürnberg, um 1515/20.

2. STRAHLENKRANZMADONNA Fig. 105, Abb. 48
Durchmesser ca. 10 cm.
Ikonographie, Komposition: Die Madonna im Strahlenkranz war
eines der beliebtesten Andachtsbilder an der Schwelle zur Refor-
mation. Nachdem Papst Sixtus IV. (1471-1484) allen Gläubigen
einen elftausendjährigen Ablass für das von ihm verfasste Ge-
bet vor unser froven bild in der sonnen versprochen hatte, ex-
plodierte die Produktion von Ablassbildern mit diesem Motiv
regelrecht5. Die Darstellung wird lediglich von einem einfachen
Rahmenprofil eingefasst. Maria, mit Szepter und Krone als Him-
melskönigin ausgezeichnet, steht auf der Mondsichel, umgeben
von einem kreisförmigen, den gesamten Scheibengrund füllenden
Strahlenkranz. In ihrer frontalen Ausrichtung auf den Betrachter
wirkt sie statisch. Ihr Blick ist nach links auf einen außerhalb der
Darstellung liegenden Gegenstand gerichtet, vielleicht auf einen
Stifter, vielleicht auf ein Wappen. In die gleiche Richtung schaut
auch das nackte Jesuskind und streckt seine Hand danach aus6.
CVMA T 6039

2 Scholz 1991a, S. 200-203.
LCI, VIII, 1976, Sp. 507-510 (Friedrich Zoepfl).
4 Vgl. den um 1511-1515 datierten Rundscheibenriss mit dem
Hl. Sebaldus in Nürnberg, GNM, Hz 3798’; Zink 1968, Nr. 85
mit Abb. Die danach ausgeführte Scheibe ist erhalten, Nürn-
berg, GNM, M.M. 148. Vgl. hierzu Scholz 1991a, S. 321 mit
Abb. 423L
5 Noll 2004, S. 61-63, 247-265. Zahlreiche Ablassbilder mit
beigeschriebenem Gebet waren zu diesem Zweck in Umlauf ge-
bracht worden; vgl. T.I.B. 164, 1992, S. 125, 135, 143, 145. Noch
auf dem 1529 fertiggestellten Hallenser Marienaltar lässt sich
Albrecht von Brandenburg, der päpstliche Ablassverwalter
und Gegenspieler Martin Luthers, in Anbetung dieses Mo-
tivs malen. Zu diesem Werk Simon Francks, eines Mitarbeiters
Cranachs, s. Tacke 1992, S. 49-57.
6 Verwandte Monolithscheiben der Hirsvogel-Werkstatt befin-
den sich in den Sammlungen in Callenberg, Schloss (Kat. Ausst.
Callenberg 2003, S. 116, Nr. 171), Erbach, Schloss (Gast 2011,
S. 129, Nr. 39 mit Fig. 59) und Stuttgart, Württembergisches
Landesmuseum (Becksmann 1986, S. 253, Nr. 93, Abb. 339).
 
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