Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
einen der schwersten Kämpfe verwickelt sah, die er seit seiner Begründung je zu
bestehen hatte.
Gehen wir von der Thatsache aus, dass, wie alle Revolutionen, die ja, wenigstens
im Augenblick des Ausbruches, gewöhnlich unerwartet kommen, auch die Umwälzung
des 16. Jahrhunderts zunächst eine tiefgehende Verwirrung in der Kirche wie in der
ganzen politischen Gesellschaft zur Folge hatte. Niemand vermochte vorherzusehen,
wohin der stürmische Appell führen würde, den der unbekannte Augustinermönch
Luther an die ganze christliche Welt ergehen Hess, und noch weniger war man sich
klar darüber, was zu thun sei. Im Augenblick, da man handeln sollte, stellte sich
vor allem klar heraus, wie die Zeiten sich geändert hatten und woran es, insbesondere
in Deutschland, dem Reich und der Kirche fehlte: an einer starken und geachteten
Zentralgewalt, die im Stande gewesen wäre, sich von einem bis zum andern Ende
des Reiches Gehorsam zu erzwingen.
Warum die Autorität im staatlichen Leben untergraben war, ist bekannt. Wir
wollen uns sragen, warum es auch in der Kirche an ihr gefehlt hat: denn was wir von
der Diözese Strassburg zu sagen haben,, gilt mehr oder weniger für die ganze Kirche
überhaupt, insbesondere in Deutschland. Die gesammten Verhältnisse lagen im Grossen
und Ganzen überall so ziemlich gleich.
Der Bischof von Strassburg sass im Deutschen Reichstage und war souveräner
Fürst einer weitausgedehnten Herrschaft, in religiösen Dingen aber war seine Gewalt
auf das äusserste beschränkt. Die Abteien und Klöster waren seiner Autorität ganz
entzogen, da sie unmittelbar unter dem Heiligen Stuhl standen. Die Kapitel hingen
eigentlich zwar dem Namen nach von ihm ab, in Wirklichkeit konnte er so gut wie
gar keinen Einssuss auf sie geltend machen. Bei den geistlichen Aemtern in der Diözese,
namentlich bei den Pfarreien, hatte er nur zum geringsten Theil ein wirkliches
Ernennungsrecht: sie hingen entweder von den Kapiteln ab, oder von den Klöstern,
denen sie inkorporirt waren; oder aber von Patronatsherren, die dem Bischof eine
Persönlichkeit zur Ernennung vorgeschlagen hatten; dies r letzteren konnte er nur im
Falle vollständiger Unwürdigkeit des Kandidaten seine Genehmigung versagen.
In der Kirche waren von Alters her die Inhaber von geistlichen Aemtern
unabsetzbar, eine an sich vortrefflich gedachte Massregel: sie waren gewissermassen
Eigenthümer ihrer Aemter wie einstens der Lehensmann in seinem Lehen. Um sie aus
dem Amte zu entfernen, bedurfte es eines förmlichen richterlichen Urtheils, für welches
natürlich Berufung an Erzbischof und Papst vorgesehen war. Nun war damals die Kunst
der advokatischen Knisfe bis zur höchsten Vollkommenheit ausgebildet, und man wusste
gründlich Bescheid in den Mitteln, solche Prozesse in die Länge zu ziehen, zum
schweren Nachtheil für die Disziplin. Diese Organisation war recht gut, um in
ruhigen Zeiten die Rechte des Einzelnen zu sichern; in Zeiten der Aufregung aber

63
 
Annotationen