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hinterlassen haben: durch abtrünnige Priester, die den von der Nationalversammlung
angeordneten Verfassungseid leisteten, und durch Handlanger der herrschenden Parteien.
Dazu beging sie noch einen weiteren grossen Fehler: sie tras die grosse Mehrheit des
Volkes auf das Empsindlichste in ihren wichtigsten Lebensinteressen. Thatsächlich war ja
die Pachtung der Adels- und der Kirchengüter in bäuerlichen Familien gleichsam erblich
geworden, und die Bauern hatten sich mit der Bewirthschaftung ihrer Höfe ganz
darnach eingerichtet, wieviel Grund und Boden sie pachtweise dazu bekommen konnten.
Und nun mussten sie von einem auf den anderen Tag mit ansehen, wie der Grund
und Boden, den sie und ihre Väter im Schweisse des Angesichts bebaut hatten, in
andere Hände überging und zur Beute einiger Spekulanten wurde, die entweder ganz
unbekannt waren oder aber — was noch öfter der Fall war — im schlimmsten Rufe
standen. Der Bauer selbst konnte aus dem Verkauf dieser Grundstücke keinen Gewinn
ziehen, selbst wenn er die erforderlichen Mittel besass: sein Gewissen, seine Religion,
seine Ehre verboten es ihm, ganz abgesehen von dem tiefen Misstrauen, das ihm die
gesammten neuen Verhältnisse einssössen mussten. In seinen Augen war die Konfiskation
der adeligen Besitzungen eine masslose Ungerechtigkeit, die der Kirchengüter ein
Sakrileg, und der Klerus bestärkte ihn natürlich nach Kräften in dieser Empsindung.
Die Lage der Protestanten war wesentlich günstiger: sie hatten die Genugthuung, dass
die Güter ihrer Kirche der Konfiskation entgingen, und bei dem Verkauf der übrigen
waren sie nicht durch die gleichen Rücksichten gebunden wie die Katholiken.
Diese Letzteren fühlten sich also tief verletzt in allem, was sie bisher geliebt und
verehrt hatten, und schwer geschädigt in ihrer ganzen bürgerlichen Existenz. Es war
zu viel aus einmal, und es ist nicht zu verwundern, wenn sie sich mit Abscheu von
den Neuerungen abwandten, die nur Unglück über sie brachten.
Der Zehnt und die Frohnden, aus denen man ein Schreckgespenst für die Bauern
gemacht, schienen diesen das geringere Uebel gegenüber dem, was die Revolution
versprach. Die alten Herren waren im Grossen und Ganzen milde gegen ihre Pächter:
wie aber die neuen Herren sein würden, musste erst die Zukunft lehren. Das schmerz-
liche Bedauern über das Verlorene verband sich also mit banger Furcht vor einer recht
trüb aussehenden Zukunft.
In den Städten mit gemischter Bevölkerung war die Stimmung getheilt. Die alten
Strassburger Erinnerungen waren der Monarchie nicht günstig und die von der Revolution
in Aussicht gestellte Freiheit musste namentlich auf die Protestanten Eindruck machen,
die sich mit einem Schlag von gewissen gesetzlichen Bestimmungen befreit sahen, durch
die sie sich verletzt fühlten. Auch ihnen aber ging die ganze Bewegung bald viel zu
weit; und nach dem Sturze des Direktoriums scheint die gesammte eingeborne Bevölkerung
einmüthig nur von dem Gefühl der Freude beseelt gewesen zu sein, dass unter einer
stärkeren Regierung wieder Ordnung geschasfen wurde.
 
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