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Demmin, August
Handbuch der bildenden & gewerblichen Künste: geschichtliche, archäologische, biographische, chronologische, monogrammatische und technische Encyclopaedie der Baukunst, Bilderkunde, Bildhauerei, Buchbinderei, Buchdruckerei, Buchmalerei ... (Band 1): Encyclopädie der Schriften-, Bilder und Wappenkunde, Trachten, Geräthkunst, Gefässkunde, der bürgerlichen und kirchlichen Baukunst, Kriegsbaukunst und Schiffsbaukunst: mit über 1000 Abbildungen — Leipzig, [1877]

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https://doi.org/10.11588/diglit.23810#0010
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Einleitung. Begriff der Kunst.

wenden und in das Gebiet der Wissenschaft gehören. Man folgte
dabei dem Vorgang der Alten, welche bekanntlich sieben freie
Künste annahmen: Grammatik, Rhetorik, Philosophie, Arithmetik,
Geometrie, Astronomie und Musik, von denen nur die letzte und
allenfalls noch die Rhetorik zu den Künsten gehören, während die
anderen Wissenschaften sind. Selbst die Schriftstellerei (Bellettristik)
dürfte nur insoweit zu den Künsten gerechnet werden, als Dichtung
und Erfindung dabei in's Spiel kommen. Der Lyriker, Helden-
dichter, Romanschreiber und Dramaturg sind Künstler, weil ihre
Werke sich ebenso sehr, ja noch mehr, an die Sinne, wie an den
Geist wenden, während der Sprachforscher und Geschichtsschreiber
ebenso, wie der Grammatiker, Philosoph, Mathematiker und Astro-
nom, für den Geist, für die Urtheilskraft arbeiten. Auch wäre der
Ausdruck Schriftkunde richtiger als Schreibkunst. Die Photo-
graphie endlich kann nicht zu den bildenden Künsten gerechnet
werden, denn ihre Erzeugnisse sind Naturergebnisse, erhalten durch
chemische und optische Hilfsmittel, deren Handhabung lediglich
Erfahrung, Uebung, Genauigkeit u. s. w., aber kein persönliches
Können, besonders keine Schöpferkraft erfordert.

Wenn nun schon über die einfache Deutung des Begriffs Kunst
im Allgemeinen so vielerlei Zwiespalt herrschte,. so blieb unser
Jahrhundert der Zergliederung dabei nicht stehen. Die Kunst,
diese heilige Flamme der Begeisterung, untheilbar in ihrem innersten
Wesen, allverständlich in ihren Aeusserungen, wurde von ihren
eigenen Jüngern zerfetzt, indem diese blindlings auf die Worte
ihrer Meister schworen, welche unter dem Vorwand, aus Beruf und
freier Wahl Priester der Kunst zu sein, hohle, aber hochtönende
Worte auf die Banner ebenso vieler und ebenso unklarer Parthei-
ungen schrieben, wie solche unter dem Schild des Sozialismus
auftauchten. So wurde denn selbst das Reich der Schönheit von
Spaltungen zerrissen, sein geweihter Boden von Neid und Parthei-
hass der Schulen besudelt. Zukunft aber und Grösse der Kunst,
wie jeder anderen menschlichen Vervollkommnung, sind bedingt
durch freieste Entwickelung der Einzelperson, welche, unbeengt
von Schulzwang und vorurtheilsvollem Ausschliessen, unter dem
Dargebotenen völlig frei wählt und bevorzugt, sowie durch eine
Kritik, welche, unbeeinflusst von persönlicher Neigung, nur der
reinen Schönheitslehre huldigt, deren Grundzüge eben so fest
stehen, wie die der Sittenlehre. Partheihass und Schulzwang haben,
wie in jedem derartigen Kampf, die durch sie Irregeleiteten nach
zwei Hauptrichtungen hin vom einzig wahren, geraden Wege ab-
geleitet und so zwei erbitterte Kampfschaaren erzeugt, deren Fehden
leider noch immer auf der Rednerbühne und in Schmähschriften
sich abspielen. Die eine dieser Kampfschaaren hat, in die straffen
Bänder der Schulregeln eingewickelt, das zur Mumie erstarren
lassen, was in ununterbrochener Umwandelung den Geist der sich
folgenden Zeitabschnitte abzupiegeln bestimmt war. Indem nun
der eine Theil dieser Schaar das Vorbild seines Schema's in den
Schöpfungen der Antike, der andere aber in denen des Mittel-
 
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