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Demmin, August
Handbuch der bildenden & gewerblichen Künste: geschichtliche, archäologische, biographische, chronologische, monogrammatische und technische Encyclopaedie der Baukunst, Bilderkunde, Bildhauerei, Buchbinderei, Buchdruckerei, Buchmalerei ... (Band 1): Encyclopädie der Schriften-, Bilder und Wappenkunde, Trachten, Geräthkunst, Gefässkunde, der bürgerlichen und kirchlichen Baukunst, Kriegsbaukunst und Schiffsbaukunst: mit über 1000 Abbildungen — Leipzig, [1877]

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https://doi.org/10.11588/diglit.23810#0011
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Kunstrichtungen.

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alters erblickte, wurde der erste zur „classisehen", der andere zur
„romantischen" Parthei. — Unter sich selbst bis aufs Aeusserste
kämpfend, ziehen Beide dennoch vereint in'sFeld gegen den gemein-
schaftlichen Feind, welcher, alle, auch die unumstösslichsten Gesetze
des guten Geschmackes und Uebereinkommens verachtend, ja selbst
das Ideal zurückstossend, statt des Gedankens den äusseren Stoff er-
fasst und seine Irrthümer hinter den Benennungen: ,,naturalistisch"
und „realistisch" versteckt. Die erste Parthei hängt sich mit Un-
duldsamkeit gegen jede Abweichung an äussere Uebung im Her-
gebrachten und verbirgt hinter dieser den Mangel an freier Einzel-
entwickelung, die zweite aber besteht zumeist aus Leuten ohne
Kenntnisse und Belesenheit, zugleich auch ohne schöpferische Be-
gabung, welche, alle Erfahrung, ja selbst das richtige Denken ver-
schmähend, ganz mühelos zum Ziel zu kommen wähnen. Plier wird
alles Selbstschaffen, dort jeglicher höhere Aufschwung ertödtet. Die
eine treibt das Hängen an Ueberlieferung und Herkommen bis
zur tödtlichen Langeweile, die andere verfällt der empörenden
Hässlichkeit, der lüderlichen Ausführung in ausgesprochenstem
Materialismus. Die erstere verfehlt das Ziel in schulmeisterlicher,
knechtischer Nachahmung des längst Abgestorbenen, die zweite
in zügellos kecker Verletzung aller Regeln.

Jede dieser Partheien missversteht also die Kunst, indem sie,
obgleich völlig überlebt, dennoch sich für den einzig wahren Aus-
druck der Zeitströmung hält.

Der Künstler bleibe eben so fern von dem falschen „Classi-
cismus", der in Erinnerungen ohne Ende erstarrt, als von knech-
tischer und plumper Nachahmung gemeiner Dinge in handwerk-
licher Fertigkeit, welche dabei vorgiebt, Kunst nur um der Kunst
willen zu treiben. Er kann nicht selbst schaffen, ohne von der
Ueberlieferung und dem nackten Herkommen sich loszureissen, aber
er darf die Erfahrungen von Jahrhunderten nicht verachten. Er wird
unrettbar in Gemeinplätze verfallen, so lange er nur mit geschickter
Hand die grossen Meister nachahmt. Ideale Auffassung muss ihn
ebenso bei Wahl der Gegenstände leiten, wie Berücksichtigung
der Schönheitsgesetze bei der Ausführung. Verlässt er die Grund-
lagen, welche die Kunst durch eine ununterbrochene lange Reihe
von Studien ihren Jüngern gewonnen hat, so können seine Werke,
eben weil sie den geläuterten Geschmack nicht befriedigen, höchstens
dem Genuss des Augenblickes flüchtig dienen und desshalb nur Ein-
tagsfliegen sein!

Die wahren Meister der modernen, nichtclassischen Kunst,
wie sie Albrecht Dürer unter dem Einfluss der Ideen seines
grossen Jahrhunderts schuf, der Kunst, deren Ideale die christliche
Schule Kölns aufgestellt hatte und welche auf einen so hohen
Grad der technischen Vollkommenheit und des wahren Naturalismus
durch die Niederländer des 17. Jahrhunderts erhoben ward, haben
sich wohl gehütet, mit dem conventioneilen Baiast zugleich die
Früchte der Erfahrung und die Ehrfurcht vor dem Schönen über
Bord zu werfen. Indem sie sich von dem Missbrauch der Alle-
 
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