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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Hrsg.]
Designtheoretisches Kolloquium — 11.1987

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Weber, Olaf: Eklektizismus und Formensprache
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https://doi.org/10.11588/diglit.31835#0048
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Bis in die ersten Bahrzehnte des 19. Jahrhunderts war auch der
Klassizisraus ein Monostil, dessen Hinwendung zur Antike eine große
ideologische Geste des Bürgertums aarstellte, doch der Rückgriff
auf historische Formen war nicht als Hilfe bei der Vermittlung
sozial-räumlicher Informatione.n gedacht. Die klassizistischen Ge-
staltungselemente waren nur in geringem Maße Sprachmittel, also
zum Ausdruck verschiedener architektonischer Sachverhalte geeignet,
sie verkörperten nur in summa, als Prinzip, ein Ideal und sollten
vor allem ein Inbegriff von natürlicher Schönheit sein. Erst im
Laufe der Industrialisierung entwickelten sich Kräfte, die die Auf-
lösung dieser Homogenität des Stils betrieben. Die Industrie ten-
dierte immer mehr zu den heterogenen Erscheinungen der verschie-
densten Serien, deren Exemplare wiederum eine uniforme Masse dar-
stellten. Außerdem wollte sich das Bürgertum nicht mehr mit dem
Ausdruck eines ohnehin mehr und mehr befremdlichen gesellschaft-
lichen Ideals begnügen und strebte nach einem Ausdruckssystem für
das Individuelle, vor allem für die Repräsentation von Reichtum,
Einfluß und Macht oder deren Surrogate. ünter dem Gesichtspunkt
der Entwicklung architektonischen Ausdrucks war der Übergang
zum Eklektizismus des 19. Jahrhunderts positiv, da er die Über-
windung des alten Stildogmas betrieb und auf einen zwar bornierten,
doch funktionalen Gebrauch der Gestaltungsmittel hinarbeitete.

Doch der Sinn der Gestaltung blieb unerfüllt und das System der
Ausdrucksmittel blieb unfrei und schematisch. Der einsetzende Plu-
ralismus der Gestaltung mußte zaghaft und unerfüllt bleiben, dabei
auch dogmatisch und mystisch-chaotisch, eben eklektisch. Die Ar-
chitektur hatte zwar wieder distingtive Einheiten, doch kein sprach-
liches Ausdruckssystem gewonnen.

Um 1900 entwickelte sich eine neue Qualität in der Ausprägung der
-Wirkungsbeziehung von Architektur und Mensch. Der klassische
Formenkanon, der seit dem 16. Jahrhundert die Architekturästhetik
beherrschte, wurde durch neue formale Mittel abgelöst, die zu-
nehmend nach dem Kriterium ihrer Wirksamkeit erfunden und verwendet
wurden. Die damals einsetzende Psychologisierung der Kunst revo-
lutionierte auch das Ausdruckssystem der Architektur. Das war eine
sehr viel bedeutendere Orientierung auf den Gestaltungspluralismus,
als es die Stilvielfalt des Eklektizismus gewesen war, und mar-
kierte einen bedeutsamen Entwicklungssprung. Es begann sich das
gestalterische Grundprinzip durchzusetzen, daß alle Mittel recht

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