Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Hrsg.]
Designtheoretisches Kolloquium — 11.1987

DOI Artikel:
Köster, Hein: Die Deutung des Funktionalen: Ausstellungs- und Musealkonzeption in den 20er Jahren
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31835#0071
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
noch Aura - ihr Geschäft war die Gestaltung der Gegenwart; das
schloß ein: Ausstellungen als Prognose der Zukunft.

Die Avantgarde nahm Museen und Ausstellungen in die soziale Ver-
pflichtung, Quartiermacher einer künftigen Welt zu sein.

Der Funktionalismus, die theoretische Programmatik der Avantgarde,
demontierte das traditionelle Gefüge der Künste, indem er eine neue
Funktionsbestimmung der ästhetischen Praxis überhaupt zu geben
suchte. Folglich erstreckten sich die Aktivitäten der Avantgarde
nicht nur auf die Kunst- und Kunstgewerbemuseen, sondern ihre
Ideen durchpulsten Museen und Ausstelluntjen verschiedenster Art.

Die Akteure des Funktionalismus leiteten ihre Gestaltungspro-
grammatik und -praxis aus den Bedingungen der zunehmenden Verge-
sellschaftung der Produktion ab; sie wußten für ihre auf das So-
ziale gerichteten Intentionen die neuesten Technologien, Mate-
rialien, Konstruktionen, Wirkprinzipe und wissenschaftlichen Erkennt-
nisse in den Dienst zu stellen; sie nutzten die neuenästhetischen
Ausdrucksrepertoires des Konstruktivismus, des Films, der techni-
schen Vervielfältigung - und gelangten zu einer Sinnbestimmung der
materiellen Kultur, die praktisches Gebrauchen, soziale Massenhaf-
tigkeit, Dauerhaftigkeit und ästhetische Wertigkeit zielhaft formu-
Iierte.

Fritz Wichert, der Initiator der "Akademie für jedermann" an der
Mannheimer Kunsthalle, schrieb bereits 1912 in der Programmschrift
dieser museumsreformierenden Bewegung: "Kunst ist nicht Wiedergabe
der objektiven Wirklichkeit - Kunst ist Formgestaltung. Es ist Zu-
rechtmachen der ganzen sichtbaren Welt. Man darf dabei nicht nur an
die Werke der Malerei, Plastik und Architektur denken. In allen,
was uns umgibt, s'teckt ja doch gewollte Form, in jedem Tisch,

Stuhl, Ofen, Teller oder Kleid." /2/

Und mit den revolutionären Bewegungen in Rußland und in Deutschland
fand dieser Gedanke seine gesellschaftliche Radikalisierung; demo-
kratisch gesonnene Museumsdirektoren und -mitarbeiter waren bereit
und fähig, Museen und Ausstellungen "in den Dienst der großen so-
zialen Idee" /3/ zu stellen. Edwin Redslob schrieb 1919: "Die

69
 
Annotationen