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Beilage zum Diözesan-Archiv von Schwaben — 1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.20708#0002
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er namentlich in den 1820er und 1830er Jahren viel in der
näheren und weiteren Umgegend, und hielt sich so öfters vor-
übergehend auck zu Konstanz. Zürich, sowie in Lindau, in der
alten guten Stadt Ulm, sowie in dem lieblichen Ravensburg,
der Perle des Schussenthales, ans; zu Ulm logierte er indem
damals von Weißböck gehaltenen trefflichen Gasthof zum „gol-
denen Rad" und suchte namentlich gern das „Luginsland"
(vormalige „Lauseck" und jetzige „Wilhelmshöhe"), von wel-
chem man eine anmutige Aussicht auf die Donau und das
Jllerthal genießt, und von wo aus ihm wohl die Katastrophe
vom Jahr 1b05, zu welcher ja auch ein Mann (Bernadotte)
mitwirkte, welcher bald darauf für Schwedens Geschick so von
Bedeutung wurde, in den Sinn gekommen sein mag, auf; in
Ravensburg wohnte er u. a. im Februar 1826 in dem da-
mals von Nikolaus Müller betriebenen alten Gasthof zum
„goldenen Lamm" (oder „Post"); von hier aus besuchte er
auch einmal die 2 62 Stunden entfernte, durch ihre herrliche
Aussicht berühmte Waldburg, die noch wohlerhaltene Stamm-
burg der Truchsessen gleichen Namens, und am 17. Februar 1826
das nahe ehemalige Benediktinerreichsstift Weingarten, dessen
herrliche Kirche mit der „großen Orgel" er eingehend besichtigte.
An allen diesen süddeutschen Plätzen konnte er den Spuren
feiner Ahnen und Völker nachgehen, welche zwei Jahr-
hunderte vorher hier in der vandalischsteu Weise gehaust und bis
auf den heutigen Tag einen schlimmen Ruf zurückgelassen haben.
Nach einem vielbewegten, ihm viel Trauriges bereitenden Leben
beschloß er am 7. Februar 1837 in seinem Asyle St. Gallen,
ferne von der nordischen Heimat, lebenssatt und müde seine
irdische Pilgerlaufbahn. In der Nacht vom 9. Februar 1837
wurde der Leichnam des unglücklichen Fürsten in feierlichem
Zuge und unter allgemeiner Teilnahme aus dem „weißen
Nößli" in die Magnuskirche überführt; und da bei dieser
Ueberführung erstrahlte plötzlich u?ie zum letzten Gruß seiner
nordischen Heimat an ihren früheren König ein wunderbares
Nordlicht, daß man die kleinste Schrift auf der Straße lesen
konnte, und erlosch erst mit der Beisetzung — ein merkwür-
diges Zusammentreffen, welches auf alle diejenigen, so es er-
lebt, einen mächtigen, unvergeßlichen Eindruck hervorbrachte
und welches viel und lauge besprochen wurde. So starb ein-
sam an zerrissenem Herzen und verblutete an dem Schmerze,
kein Vaterland und keine Familie mehr zu haben — ein Fürst,
welcher, weit besser, als er schien — zwar nicht ohne eigenes
Verschulden aber doch auch durch ungeschickte Erziehung, durch
die Macht und Verkettung der Verhältnisse, durch eine unglückliche,
vielleicht krankhafte, hauptsächlich atich von der traurigen Erinne-
rung an das schreckliche Ende seines Vaters beeinflußte Geistes-
und Gemütsaulage, welche sich in ihm nach und nach zu einer
düsteren Melancholie ansgebildet hatte, um Thron und Hei-
mat gekommen war; einiges — aber lange nicht alles —
was er dachte und wollte, fühlte und litt, was er fehlte und
that, ist in den im Jahre 1829 erschienenen »memoireg du
colonel Gustavson«, welche vielleicht das am tiefsten ver-
wundete Herz unseres Jahrhunderts offenbaren, sowie in seiner
im Jahre 1835 herausgekommeneu Schrift »1a journee du
iz. Nar8 1809« niedergelegt; und sehr vieles ans dieser
dunklen Partie der schwedischen Geschichte harrt noch der Auf-
klärung. Es ist rühmend anzuerkennen, daß er sich trotz
seiner zahllosen seelischen Leiden und Peilten aufrecht zu er-
halten gewußt hat und denselben nicht erlegen, nicht, wie
man oft befürchtete, zum Selbstmord, zum Hochverrat au der
Gottheit geschritten ist. Gustav IV.*) hinterließ mehrere

*) Der letzte König aus dem Hause Wasa.

Kinder: einen hoffnungsvollen, im Jahre 1799 geborene»,
später zur katholischen Religioit übergetreteneu Sohn Gustav,
welcher sich nachmals im Jahre 1830 mit Prinzessin Luist
Amalie Stephanie von Baden verehelichte und in den 1870er
Jahren als k. k. Feldmarschalllieutenant zu Wien starb; ei»e
im Jahre 1803 geborene, nachmals im Jahr 1819 mit de>»
Großherzog Karl Leopold Friedrich von Baden verehelichte
(im Jahr 1865 ch) Tochter Sophie Wilhelmine und eine »»
Jahr 1807 geborene, später mit dem Großherzog Paul Friedrich
August voit Oldenburg verheiratete (im Jahr 1844 ch) Tochter'
Cäcilie. Sein Sohn, der letzte seines Stammes, dessen einzig^
Kind Karoline im Jahre 1853 beu jetzigen König Albert vv»
Sachsen ehelichte, kam aber nicht auf den Thron, da die ga»3e
Familie Gustavs IV. ungerechter- und unbilligerweise der Thrv»'
folge verlustig erklärt worden war; und eine eigentümliche
Fügung des Schicksals ist es, daß mit dem Ableben des Königs
Karl XIII., des Onkels und Thronnachsvlgers von Gustav IV. >»'
Jahre 1818 in dem durch jenen schon früher adoptierst»
französischen Marschall Jean Bapt. Bernadotte quasi ei»
König „von Napoleons Gnaden" als Karl XIV. Johann »»s
den schwedischen Thron kam, was den Exkönig Gustav 1*‘
vollends mit unsäglichem Wehe erfüllte. Bei der Adoptio»,
bezw. bei der Wahl Bernadottes zum schwedischen Thronfolge
war König Karl XIII. mit dem schwedischen Adel dem glühe»^
den Erbhasse gegen das russische Nachbarreich gefolgt lllU
hatte Befriedigung seines Rachedurstes und Abrechnung ,nI,
Rußland in einer engen Allianz mit Frankreich erhofft. Abe'
Fürst, Adel, Land und Volk von Schweden sollten sich
bald bitter in dem „Erkorenen des Volkes" täuschen! Ber»^
dotte, ein durchaus unzuverlässiger Charakter, aber diplomatisch ^
deutend veranlagt, welchen einst der „alte Blücher", als er geg^
ihn focht, in seiner kaustischen Weise den „verflüchtigen ir
geinter" benamset, und welcher sich bekanntlich eine Zeit lang r
gar mit nichts geringerem, als mit französischen Kaiseridee»'
sowie mit dem Gedanken trug, sich an Napoleons I. Stelle 3*
setzen, opferte den Schmeicheleien des Zaren Alexander
und hauptsächlich seinem persönlichen Hasse gegen Napoleon, ^
Interessen seines neuen Vaterlandes und schloß sogar, V
ganze bisherige natürliche Politik Schwedens auf deit K'vp!
stellend, statt eines ihm von Frankreich angebotenen sehr
teilhaften Bündnisses am 24. März 1812 ein solches »"
Rußland, dem bisherigen schwedischen Erbfeind. Dieses $»»*)
nis war in Schweden nie populär. Damals wäre es Jlv
Zeit und möglich gewesen, die an Rußland verlorene GE
Machtstellung und die von diesem annektierten finnischen »"
esthniseben Provinzen wieder zurückzugewinnen. Auf dem Wie»^
Kongresse war dann insbesondere auf das Betreiben der Bo"^.
boneu ernstlich davon die Rede, Bernadotte als den Svy
eines Landmannes und als ein Kind und General der RE
lution, sowie wegen seines bekannten zweideutigen Verhaltens
den Befreiungskriegen aus Schweden zu entfernen und Gustav 1 '
oder wenigstens, was den Grundsätzen des Rechts und der Leg^
mität einigermaßen entsprochen hätte, dessen Sohn als Gustav ’
auf den Thron seiner Väter zurückzurufen, auf was indes
Kaiser Alexander der Russen nicht einging, weniger aus FreuiidsE
mit Bernadotte als aus Anerkennung seiner ihm überaus üb-
lichen Politik und weil ihm in dem schwedischen Nachbarrst !
eine neugebackene Dynastie Bernadotte weniger gefährlich dü»
als das uralte historische stolze Haus der Wasa. Auch 0* L ■
Folgezeit behielt Bernadotte bekanntlich diese Politik '
welche seinem Laude zwar eine gedeihliche Entwickelung
Innern brachte, demselben aber fortan die Nolle einer Kld
macht zuwies.
 
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