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Deutsches Kunstblatt: Literaturblatt des Deutschen Kunstblattes — 1.1854

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https://doi.org/10.11588/diglit.1203#0006
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lichsten Richtungen, Stile und Formen künstlerischer Gestaltung haben
ihn berührt und gehen in seinen Werken neben einander her. Wir
unterscheiden sogar deutlich hier den Einfluß der römischen Elegiker
und des Catull, dort die Vorliebe für das deutsch Volksthümliche,
hier wieder eine der späteren Goethe'schen Beschaulichkeit und Würde
eng verwandte Stimmung, dort einen abenteuerlichen Klang der Ro-
mantik. Und dennoch muthet uns Alles wie eigen und neu an,
nirgends verstimmt uns armselige Nachahmerei, und nirgends ver-
missen wir den mächtigen Hauch der Persönlichkeit, der das Fremd-
artige in die eigne Substanz aufschmilzt und in erobertem Gebiet
sich als Herrscher und Gesetzgeber geberdet.

Die Meisten nämlich, die an fremde Vorbilder sich gefangen
geben, empfinden die Macht derselben an ihrem Geschmack; Mörike
an seinem Gemüth. Nicht das Aeußerliche dieser und jener Form
wirkte auf sein Ohr und seine, künstlerische Phantasie und regte die
feinen sinnlichen Kräfte zu ähnlicher Schöpfung auf. Ihn ergriff
nur das Innerlichste, die geistige und sittliche Strömung, der er
sich verwandt fühlte, die Tonart des Gemüths, in der er seine eig-
nen Melodien ergießen mochte. Und so konnte er sich hingeben, ohne
sich zu verlieren. Keines seiner Gedichte macht jenen fatalen Ein-
druck eines gelehrten Kunststücks, auf den die Nachbildner der Alten
und des Wunderhorns sich sogar etwas zu Gute thun, daß sie
den Originalen zum Verwechseln gleich kommen. Denn das Per-
sönliche, die Form, ist dennoch sein eigen geblieben, und nur die
Eigenheiten des Stils, die sich der Regel entziehn, das also, was
immer genial bleibt und immer neu gezeugt sein will, hat er nach
den wechselnden Stimmungen des Lebens wechselnden Mustern nach-
empfunden. Sein Berhältniß zu ihnen ist immer das eines Freun-
des, den ein verwandter Zug zu ihnen führt, bei ihnen festhält und
durch innigen Verkehr mit ihrem tiefsten Wesen an seinem eignen
bereichert und bildet, nicht, daß eines Erbschleichers, den ihre Schätze
locken und dessen Benehmen, wenn sie ihm nun davon mitgetheilt
haben, den reich gewordenen armen Teufel nicht verleugnen kann.

Am schlagendsten zeigt dies Mörike's Stellung zu den Alten,
insbesondere zu Catull. Er theilt mit ihm, bis auf die Zügellosig-
keit, fast Alles, was den Römer unwiderstehlich macht, die gesunde,
von Gemüth getränkte Sinnlichkeit, die Grazie der Beobachtung im
Kleinsten, die glückliche Hand, die, wo sie das Alltäglichste berührt,
es zu poetischem Golde verwandelt, Leidenschaft 'der Freundschaft,
heftiges Treuebedürfniß, Pietät, die von Pedanterei sich immer rein
gehalten. Auch in der Art sich zu äußern ist ihm mit seinem Freunde
jene bezaubernde Augenblicklichkeit, jenes parlando des Stils gemein,
die uns die Kunst vergessen machen. Im Aeußerlrchen der Form
aber, im Metrischen, zeigt sich die seltsamste Unverträglichkeit. Es
braucht hier nicht gesagt zu werden, daß Catull trotz einem der
Wen über den Zauber des Rhythmus gebot und mit dem empfind-
lichsten Ohr sich selbst behorchte. Auch Mörike hat in leichteren,
seinem deutschen Ohr eingewohnteren Rhythmen sich feinhörig genug
bewiesen. Sobald er aber zu einem antiken Metrum gedrungen
wird, selbst da wo er ein Lied Catulls übersetzt, kann er sich nicht
entschließen, nur das Geringste von dem, was er zu sagen hat, um
des metrischen Wohllauts willen aufzuopfern. Denn das Gesetz der
antiken Form ist ihm fremd geblieben, obwohl er klar in sich die
Spur antiker Sinnesart aufgefunden. Keiner seit Goethe so unbe-
fangen und stark, wie er. Und Keiner seit Goethe so rücksichtslos
gegen das Aeußerliche, wie er. Denn seine Hexameter sind noch
schlechter, als die Goethe'schen in Herrmann und Dorothea. Wäh-
rend Goethe sich meist nur durch Trochäen versündigt, thut Mörike
den schwerfälligsten deutschen Wörtern aufs unbarmherzigst dakty-
lische Gewalt an, seiner Ketzereien gegen die Cäsur nicht zu geden-
ken. Hier wie überall will er sich seine lyrische Autonomie nicht
verkürzen lassen.

Jedem Andern wäre es leicht gewesen, mit jener „Formgewandt-
heit," die heutzutage in der Lust liegt, dem Uebel abzuhelfen, und
durch beharrliche, gleichmüthige Feile die saubersten Verse herzustel-
len. Mörike gehört-zu den Wenigen, die, wenn das Wort erlaubt
ist, immer nur nach innen feilen, denen die Vollendung eines
Gedichts darin besteht, daß die geringste Spur eines zufälligen,
flachen Ausdrucks, dergleichen beim ersten Entwurf stets mit unter-
läuft, getilgt ist. Er ruht nicht, bis er in die äußersten Spitzen
und geringsten Theilchen seines Werks seine Individualität ergossen
hat. Er weiß, daß in der Form nichts Nebensache ist, daß das
Centralfeuer des Lebens aus allen Poren sprühen will. Und so findet
sich in all seinen Werken nicht ein müßiges Beiwort, das nurseine
Stelle oder seinen Fuß füllt, und die oben erwähnte Verwandtschaft
mit Goethe beruht wesentlich in einer gewissen sinnlichen Nothwen-
digkeit des Ausdrucks, die Beiwort und Hauptwort zu einer glück-
lichen Ehe zusammenschmiedet. Am deutlichsten wird dies in seiner
Prosa. Er ist, wie entschiedene Lyriker pflegen, nicht immer bei der
Sache, aber immer bei der Form.

Und dies ist sein Vorzug, wie seine Schranke. Er ist freilich
nicht einer jener unbemittelten Lyriker, die mit den geringen Erspar-
nissen ihrer schönen Seele Haushalten. Das äußere Leben steht ihm
reich und hell offen und hat seine ganze Liebe. Es ist überall von
Seiten einsichtsvoller Kritik, — und neuerdings wieder von Julian
Schmidt in der Gesch. d. deutschen Nat.-Litt. des 19. Jahrh. —
seine ungewöhnliche Kraft und Tiefe psychologischer Beobachtung
anerkannt worden. Sie fängt gern da an, oder wird da erst recht
lebendig, wo andern Beobachtern ihre-Organe erlahmen, in jenen
Mittelzuständen der Seele, die keine Leidenschaften sind, aber ent-
weder ihre Nachwehen und Vorboten, oder nur darin den sogenann-
ter: Leidenschaften unähnlich, daß sie in reifen, bewußten Geistern
mit gelinder Macht nach den edelsten Zielen hin wirken. Seit das
Fieber des Contrastes die Poesie vergiftet hat, begegnen wir selten
in einem dichterischen Gemälde einer Tagesbeleuchtung. Sonnen-
unter- oder Aufgänge, Mondscheine, Gewitter, Feuersbrünste und
jeder Wirbel- und Nebelwind der Leidenschaft werden heraufbeschwo-
ren, obwohl es kein Geheimniß ist, wie armselige Kunst sich hinter
diese Maschinerien versteckt. Denn nichts ist leichter, als Puppen
im Helldunkel den Schein von Menschen zu geben. Mörike —
obwohl auch ihn seine Meisterschaft zuweilen zur Darstellung krank-
hafter Überspanntheit und baaren Irrsinns verführt — stellt seine
Gestalten sicher in den offenbaren Tag hinein, ohne Furcht, Gesund-
heit als Nüchternheit, Ruhe als Mattigkeit gedeutet zu sehn. Er
fühlt sich Kraft genug, dle einfachste Realität, anstatt sie steigern
zu müssen, um sie poetisch wirken zu lassen, durch den eingehauch-
ten Athen: einer liebevollen Freude an ihr, durch die Heiterkeit, die
alles natürlich Erwachsene an der Stirn trägt, mit Idealität so weit
zu begaben, als es für einen künstlerischen Eindruck unerläßlich ist.

Die angedeutete Schranke scheint uns aber darin zu bestehen,
daß er sich nach dieser Mitwirkung des Herzens bei Allem, was er
darstellt, nicht von seinen Gestalten zurückzieht, seine Kinder nicht
mündig erklärt, sondern wie ein überzärtlicher Vater sie überall be-
gleitet, über sie spricht, sie schilt, lobt, entschuldigt, und die Leitung
ihrer Schicksale allzu deutlich in Händen behält. Und wenn es
dabei bliebe! Man könnte vielleicht den berichtenden Ton, der im
Maler Nölten vorherrscht, dem Lyriker mit Freuden zu gute halten.
Denn die Persönlichkeit, in deren Spiegel wir die Gestalten dieses
Romans sehen, ist lauter und umfassend, die Betrachtungen, mit
denen die hie und da nur hingeworfenen Scenen der Geschichte in
einander geschlungen werden, sind schlagend, und was an dramati-
scher Wirkung eingebüßt wird, gewinnen wir an der Einheit, die
durch den Einschlag des Gemüths von Seiten des Autors in den
weitläufigen Aufzug der Ereignisse gewonnen wird. Nun aber ist
 
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